Über die Autobiografie des ANC-Aktivisten Denis Goldberg

Der Weiße, der mit Mandela kämpfte

Denis Goldberg saß als weißer ANC-Aktivist über 20 Jahre im Gefängnis. Seine Autobiografie erzählt vom Kampf gegen das Apartheidsregime.

Es gibt Menschen, zu denen sagt man: Du müsstest ein Buch über dein Leben schreiben. Sie haben besonders einschneidende Erfahrungen gemacht, wissen von unglaublichen Vorfällen zu erzählen und sind oft Sinnbild für die Verbindung von allgemeiner Geschichte und individuellem Schicksal. Der Südafrikaner Denis Goldberg ist ein solcher Mensch.
1933 als Sohn einer jüdischen Einwanderfamilie in Kapstadt geboren, schließt er sich 1961 dem bewaffneten Arm der Befreiungsbewegung ANC an. Zwei Jahre später wird er festgenommen und zusammen mit Nelson Mandela und weiteren Aktivisten im sogenannten Rivonia-Prozess zu lebenslanger Haft verurteilt – als einziger Weißer. 22 Jahre sitzt Goldberg im Gefängnis. 1985 wird er freigelassen. Unter der Bedingung, dass er dem bewaffneten Kampf abschwört, darf er nach Israel ausreisen zu seiner Tochter, die bei seiner Festnahme acht Jahre alt gewesen ist. Kurz darauf zieht er nach London, wo der ANC im Exil seinen Hauptsitz hat. Hier kämpft er weiter für die Abschaffung der Apartheid. Nach der Machtübernahme des ANC kehrt er nach Südafrika zurück, ist kurzzeitig als Regierungsberater tätig und übernimmt dann die Leitung bei einer Bildungs- und Kulturorganisation: eine Lebensgeschichte, die mehr als genug Stoff für ein Buch bietet.
»Ich habe lange gebraucht, um meine ›Stimme‹ zu finden, obwohl ich beim mündlichen Erzählen, wenn ich einmal angefangen habe, kaum zu bremsen bin, wie Ihnen meine Freunde bestätigen werden. Ich habe auch gezögert, weil ich mich selbst nicht zu wichtig nehmen wollte«, schreibt Goldberg über seinen Entschluss, seine Biografie zu schreiben. Titel: »Der Auftrag. Ein Leben für die Freiheit in Südafrika«. Auf 300 reich bebilderten Seiten schildert er chronologisch und sehr detailliert sein bisheriges Leben. Weiteres Material enthält die beiliegende DVD, mit Reden, Fotos und vielen privaten Filmaufnahmen. Es sind in erster Linie persönliche Dokumente, die politische Analyse ist nachrangig. Man guckt bei der Familie Goldberg durchs Schlüsselloch und erfährt – fast nebenbei – auch etwas über Südafrika.
Angefangen bei seiner »glücklichen Kindheit«, beschreibt der Autor zunächst sehr anschaulich das Kapstadt der dreißiger Jahre. Seine Eltern, litauische Juden und Kommunisten, sind in England aufgewachsen und erst 1927 nach Südafrika ausgewandert. Sie sind tolerant, atheistisch und haben enge Beziehungen zu der farbigen und schwarzen Mehrheitsbevölkerung. Eine absolute Ausnahme, denn das Zusammenleben von Schwarzen und Weißen wird durch die staatlich verordnete Segregation verhindert. »Die systematische Trennung nach Hautfarben konnte man schon auf einer Straße (…) klar erkennen. Am oberen Ende der einen Kilometer langen Rochester Road lebten eindeutig weiße Familien. Etwas weiter abwärts wohnten, so nannte man sie damals, ›Drei-Achtel-Farbige‹, gefolgt von halvies und ›Fünf-Achtel-Farbigen‹, und am Ende kamen die Menschen, die ganz klar ›Farbige‹ waren. Das war für alle scheinbar plausibel und auch die sozial Benachteiligten hielten sich ziemlich genau an diese Abstufung.« Denis Goldberg beschreibt eindrücklich, wie die Menschen mit der Apartheid umgehen: Ein Bekannter seines Vaters lässt sich beraten, wie er staatliche Stellen davon überzeugen kann, dass seine Einstufung als »farbig« falsch ist und er offiziell als »weiß« anerkannt werden müsste. Tante Daisy, eine Nachbarin, die zum Aufhellen ihrer Haut große Mengen Puder verwendet, wird von ihrem Mann verlassen, da er als »sehr dunkler Mann« seiner Familie »Unannehmlichkeiten« ersparen will. Und Denis selbst spielt mit seinen Freunden nach der Schule »natürlich« am liebsten Rugby, ein Sport, der den Weißen vorbehalten war. Es sind diese sehr persönlichen Erinnerungen des Autors, die den Lebensalltag im Apartheidsregime nachvollziehbar machen.
Seine politische Tätigkeit beginnt Denis Goldberg während des Ingenieurstudiums. An der Kapstädter Uni lernt er Esmé kennen, seine spätere Frau und Aktivistin in der SACP, der Kommunistischen Partei Südafrikas – jahrzehntelang die einzige politische Organisation, der Menschen aller Hautfarben beitreten können. Goldberg und Esmé sind aktiv in der Allianzbewegung, in der verschiedene fortschrittliche (und nach den Hautfarben streng getrennte) Organisationen und Parteien unter der Führung des ANC auf dem »Volkskongress« in Kliptown 1955 die Freiheits-Charta verabschieden.
Dieses Dokument erlangt im Kampf gegen die Apartheid historische Bedeutung und findet sich heute in weiten Teilen der Verfassung des Landes wieder. 1961 schließt sich Goldberg, nun ebenfalls Kommunist, dem neu gegründeten bewaffneten Arm des ANC an, der Befreiungsarmee Umkhonto we Sizwe (»Speer der Nation«), kurz MK. Hintergrund ist die Erfahrung, dass das Apartheidregime mit dem bisherigen, von Gandhi beeinflussten Prinzip der Gewaltlosigkeit nicht zu stürzen sein würde, setzt doch der Staat gegen friedliche Demonstranten und Streikende massiv Gewalt ein. »Nur so konnten wir der weißen Minderheitsbevölkerung zeigen, dass sie nicht bis in alle Ewigkeit regieren konnte.« Eine radikale Position, ist doch Goldberg selbst ein Weißer und damit privilegiert.
Doch der staatliche Repressionsapparat beginnt zu arbeiten. Bereits 1963 wird die Farm in Liliesleaf – der klandestine Sitz des MK – hochgenommen, die Führungskader werden verhaftet. Bis heute wissen Goldberg, Mandela und die anderen Aktivisten nicht, wie die Behörden an die Informationen gelangt sind – war es ein interner Spitzel, die eigene Unaufmerksamkeit oder doch der US-Geheimdienst?
Die Schilderungen des anschließenden Rivonia-Prozesses und der langen Gefängnisjahre machen einen Großteil des Buches aus. Wie kam es dazu, dass die Gefangenen nicht zum Tode verurteilt wurden, sondern »nur« lebenslänglich bekamen, warum saß Goldberg nicht in Robben Island, sondern in Pretoria ein, welche Möglichkeiten zur politischen Aktion gab es für die Inhaftierten, und welches Familienmitglied kam wann zu Besuch? Das alles erklärt der Autor sehr genau.
Während die Schilderungen der Kindheit und des politischen Werdegangs durch die Verknüpfung von Politik und Alltagsleben lebendig und anschaulich ausfallen, wird es an diesen Stellen zäh. Und wenn Goldberg seine Freilassung und den Niedergang des Apartheidregimes beschreibt, vermisst man die historische Kontextualisierung. Von einem Tag auf den anderen, so scheint es, ist das Regime gestürzt, Mandela ist Präsident.
Um ein interessantes Buch zu schreiben, reicht es eben nicht, dass man eine politisch interessante Lebensgeschichte hat, von der man erzählen kann. Man muss sich auch überlegen, für wen man schreibt und was außer den eigenen Erfahrungen relevant ist: nämlich die Geschichte, die Politik und die theoretische Durchdringung der Ereignisse. Die gelungene Verbindung von beiden Aspekten, der Biografie und des Kontexts, schaffen nur wenige. Auch Denis Goldberg gelingt das in seiner Autobiografie nur teilweise.

Denis Goldberg: Der Auftrag. Ein Leben für die Freiheit in Südafrika. Aus dem Englischen übersetzt und bearbeitet von Birgit Morgenrath. Assoziation A, Berlin/Hamburg 2010. 308 Seiten, 19,80 Euro

geändert am 05.07.2010