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Was sind das nur für Leute? Ehemalige Mitglieder der SPD, Gewerkschafter und Wirtschaftswissenschaftler stehen ganz oben auf den Landeslisten der Wasg. von markus ströhlein

Ich bin nicht mehr in der Lage, dies zu ertragen, und ich mag auch euch nicht mehr ertragen.« Mit diesen Worten endete Ulrich Maurers Abschiedsbrief. Ende Juni erklärte er darin nach 35 Jahren der Mitgliedschaft seinen Austritt aus der SPD. 25 Jahre lang saß er für die Partei im baden-württembergischen Landtag, zwölf Jahre lang war er Vorsitzender der Sozialdemokraten in Baden-Württemberg. Von 1990 bis 2003 gehörte er dem Bundesvorstand der SPD an.

Der Bruch mit den Sozialdemokraten ist nicht das Ende der politischen Karriere Maurers. Denn bei der Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (Wasg) ist das Etikett »verbitterter Ex-Sozialdemokrat in leitender Funktion« eine gute Referenz für den Einstieg. Da er zudem nicht auf sein Mandat im Landtag verzichten will, ist er der erste Abgeordnete der Wahlalternative in einem Parlament.

Die Wasg hat Maurer aber bereits für höhere Aufgaben vorgesehen. Am Samstag wurde er als baden-württembergischer Spitzenkandidat für die Bundestagswahl vorgeschlagen. Für den Fall, dass er ins Parlament gewählt wird, hat er sich bereits etwas vorgenommen. Das Hauptziel sei es, eine Regierung der CDU/CSU und der FDP zu verhindern, sagte er auf einer Pressekonferenz.

Er spricht in Interviews und seinem Austrittsschreiben von der »Schröder-SPD«, bezeichnet den noch amtierenden Kanzler als »Parasiten«, der sich an der Spitze der Partei eingenistet habe, und polemisiert gegen die Parteiführung, die einen »Putsch von oben« inszeniert und den linken Flügel der SPD marginalisiert habe. Aber auch die Parteilinke trage ihre »äußerst bescheidenen Wünsche nach ein bisschen Symbolpolitik zu Lasten der Superreichen bei Hofe im Kanzleramt mit Kaffee und Kuchen« vor, schreibt er an seine ehemalige Partei.

Annähernd ebenso lange in der SPD wie Maurer war auch Klaus Ernst, Mitbegründer der Wasg und Mitglied des Bundesvorstands. Er gilt als Spitzenkandidat für die Landesliste in Bayern. Im Jahr 2004 wurde er nach dreißigjähriger Mitgliedschaft aus der SPD ausgeschlossen, da er Mitinitiator der »Initiative Arbeit und soziale Gerechtigkeit« war.

Ernst, der nach eigenen Angaben noch vor der Bundestagswahl im Jahr 2002 Hoffnungen auf die SPD gesetzt habe, hat nicht das Image eines Parteipolitikers, sondern eines unabhängigen und kämpferischen Gewerkschafters. Er ist Bevollmächtigter der IG Metall im nordbayerischen Schweinfurt. Im Gegensatz zur allgemeinen Entwicklung in Deutschland steigen dort die Mitgliederzahlen. Ernst gelang es, im Juni 2003 eine Arbeitsniederlegung von 5 000 Beschäftigten aus Protest gegen die Agenda 2010 zu organisieren, in einer Provinzstadt mit 50 000 Einwohnern.

Für die Parteistruktur der Wasg hat sein Durchsetzungsvermögen jedoch auch Nachteile. Ein Funktionär wünscht sich, dass der Laden läuft, Abweichler sind da nur lästig. So drängte er etwa auf den sofortigen Ausschluss der trotzkistischen Splittergruppen Sozialistische Alternative Voran (SAV) und Linksruck aus der Wasg. Diese hatten versucht, ihre Mitglieder in gute Positionen zu bringen. Ernst scheiterte mit seinem Vorhaben jedoch am Einspruch seines bayerischen Parteikollegen Thomas Händel. Diesem ging es wahrscheinlich nicht darum, die Trotzkisten zu unterstützen, sondern dem Eindruck entgegenzutreten, die Wasg sei eine autoritäre Funktionärspartei, in der eine kleine Gruppe um Klaus Ernst den Ton angebe.

Die SAV und Linksruck sind in der Wasg zwar weiterhin geduldet. Doch gerade in Nordrhein-Westfalen, wo die SAV am stärksten ist, wird sie sich gegen die Politik des Spitzenkandidaten Oskar Lafontaine innerparteilich kaum durchsetzen können. Dem Ziel von Ernst, die Wasg »in der Mitte des fortschrittlich-demokratischen und damit linken Spektrums zu positionieren und nicht am Rand« (Jungle World, 23/05), stehen keine wirklichen Widerstände im Weg. Kommt er ins Parlament, muss sich die Wasg nicht um die Parteidisziplin sorgen.

Mit Herbert Schui und Axel Troost könnten auch zwei wichtige Parteiideologen in den Bundestag einziehen. Schui wurde am 2. Juli zum Spitzenkandidaten in Niedersachsen gewählt, Troost gilt als aussichtsreicher Kandidat in Bremen. Die beiden Wirtschaftswissenschaftler sind seit den siebziger Jahren Mitglieder der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik. Der auch als Memorandum-Gruppe bekannte Zusammenschluss veröffentlicht alljährlich im April ein Gutachten zur gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland.

Die jährlichen Variationen des Keynesianismus, die die Memorandum-Gruppe vorträgt, finden großen Anklang in der Wasg. Die Stärkung der Binnennachfrage mit staatlichen Investitionen und der Ausbau des öffentlichen Beschäftigungssektors und der Sozialsysteme seien die einzigen Möglichkeiten, die derzeitige Krise zu überwinden. Welche Zeit sich dieser sozialdemokratische Etatismus zum Vorbild nimmt, deutete Schui in einem Vortrag im Jahr 1999 an: »Nach dem Zweiten Weltkrieg ging es 30 Jahre lang besser. Der Wettbewerb war reguliert. Auf dem Arbeitsmarkt durch konfliktfähige Gewerkschaften, international durch fixe Wechselkurse und einigermaßen funktionsfähige internationale Arrangements. Markt und Wettbewerb waren eingebettet in ein effizientes demokratisches System.«

Dass der soziale Kompromiss im Deutschland der Nachkriegszeit vor allem auf dem Boom des »Wiederaufbaus« beruhte, nachdem die Nazis zuvor alles in Schutt und Asche gelegt hatten, davon will Schui offenbar nichts wissen. Der Charakter dieses angeblichen sozialen Ausgleichs wird gerade an Schuis Beispiel deutlich: Er ist immer auch ein Abkommen darüber, die Grundlagen der Vergesellschaftung unangetastet zu lassen.

Auf anderen Feldern als der Wirtschafts- und Sozialpolitik hat die Wasg bis jetzt wenig zu bieten. Murat Cakir, der als Spitzenkandidat in Hessen gehandelt wird, versucht, das zu ändern. Er ist der Bundesvorsitzende der türkischen Immigrantenvereine und der Ausländerbeiräte Deutschlands. Er äußert sich zur Zuwanderungs- und Integrationspolitik und kritisiert sowohl die Zunahme nationalistischer und islamisch-fundamentalistischer Einstellungen in der türkischstämmigen Bevölkerung in Deutschland als auch den paternalistischen Umgang des deutschen Staats mit Immigranten.

In Ostdeutschland wollen die Landesverbände der Wasg demnächst ihre Spitzenkandidaten ernennen. Hier ist man noch mit dem Aufbau von Parteistrukturen beschäftigt. Außerdem ist klar, dass der Osten das Hoheitsgebiet der PDS darstellt. Die dortige Schwäche der Wasg dürfte es auch verhindern, dass Nazis, sollten sie ihre Ankündigung wahrmachen und die Wahlalternative unterwandern, als Maulwürfe in den Bundestag einziehen.

Dass bis jetzt keine Frau als Spitzenkandidatin auf einer Landesliste steht, sollte indes nicht überraschen. Frauen waren in den Nachkriegsjahrzehnten, also in den goldenen Zeiten des sozialen Ausgleichs, überwiegend im Haushalt beschäftigt. Als Männerbund in den Bundestag einzuziehen, ist aus der Sicht keynesianischer Nostalgiker daher nur konsequent.