Berliner Klimaaktivisten wollten durch einen Hungerstreik Kanzler Olaf Scholz beeindrucken

Die Lebensopferer

Vier Menschen wollten im Berliner Invalidenpark hungern, bis Bundeskanzler Olaf Scholz drei wissenschaftliche Fakten über den Klimawandel öffentlich angesprochen hat. Nun haben sie ihre Aktion abgebrochen, fragwürdig bleibt sie dennoch.

Vielleicht ist es die christlich-religiöse Märtyrerinbrunst, gepaart mit extinction-rebellionesker Weltuntergangsprosa sowie kleinkindlichem »Und ich halt jetzt solange die Luft an, bis getan wird, was ich sage«, die es so schwer machte, die Hungerstreikenden in Berlin-Mitte wirklich ernst zu nehmen. Oder vielleicht ist es auch nur der Umstand, dass ein ähnlicher Hungerstreik zur Durchsetzung klimapolitischer Forderungen am 25. September 2021 von den Aktivisten kurzerhand beendet worden war, ohne dass das erklärte Ziel, die Einberufung eines Bürgerrats, erreicht worden wäre.

Womöglich ist es aber auch die Absurdität des Ganzen, die darin besteht, den deutschen Bundeskanzler nötigen zu wollen, im Rahmen einer Regierungserklärung ein paar vorformulierte Sätze zu sagen, weil dann – ja was eigentlich? Weil dann die Republikbewohner ganz sicher alle vor dem Fernseher sitzen werden und diesmal aber wirklich denken: »Oh, so ist das also, na dann werden wir doch mal sofort aktiv werden«, da die Worte des geliebten Kanzlers so überzeugend klangen? Oder der Klimawandel selbst einsieht, dass er besser weggeht, bevor er richtig Ärger bekommt? Oder Olaf Scholz, ergriffen von den Worten, die er aufsagen musste, zurücktritt und die Macht der Einfachheit halber gleich den Klimaaktivisten übergibt?

Zu verhungern oder zu verdursten wird nur bewirken, dass man dann tot ist, und nicht, dass die Weltöffentlichkeit erschrocken innehält und auf der Stelle damit beginnt, die Forderungen des Lebensopferers oder der Lebensopferin zu erfüllen. 

Man weiß es nicht, und eigentlich will man es auch gar nicht wissen. Und schon gar nicht möchte man sich vorstellen, was los wäre, wenn sich der Hungerstreik als politische Aktionsform durchsetzen würde. Das wäre, zugegeben, einerseits für die öffentliche Gesundheit nicht ganz schlecht. Aber andererseits würde es auch rasch sehr unübersichtlich in der Gegend rund um das Bundeskanzleramt. Schließlich haben eine ganze Menge Leute Anliegen, die ihnen am Herzen liegen, selbst wenn die auf andere eher läppisch wirken oder auch objektiv nicht so dringlich sind.

Gut, dagegen könnten spezielle Stadtführungen helfen: »Hier vorne sehen Sie den Hungerstreik der Gruppe ›Todesstrafe einführen, und zwar sofort‹, daneben sitzen die Leute von ›Lieber tot als Tempo 100 fahren‹, die nun auch schon seit 20 Tagen nichts mehr gegessen ­haben, während die Aktivisten von ›Weltfrieden und die sofortige Rücknahme der Rechtschreibreform von 1996‹ gerade erst mit ihrer Kampagne begonnen haben. Da hinten war eigentlich der Platz derjenigen, die das Recht von Kampfhunden auf maulkorbloses ­Leben durchsetzen wollten, aber nachdem einer der Hunde in einem unbeobachteten Moment jemanden von ›Free Palestine, aber ­zackig‹ gefressen hat, dürfen sie nicht mehr hier sein und hungern jetzt irgendwo im Grunewald.«

Von Jan Palach bis Wynn Bruce 

Neinneinnein, so geht das aber nicht, sich über Menschen lustig machen, die ihr Leben für das Wohl der Allgemeinheit zu opfern bereit sind! – Wohl. Weil zu verhungern oder zu verdursten nur bewirken wird, dass man dann tot ist, und nicht, dass die Weltöffentlichkeit erschrocken innehält und auf der Stelle damit beginnt, die Forderungen des Lebensopferers oder der Lebensopferin zu erfüllen. Nix, nope.

Hat sie schon damals im Jahr 1969 nicht getan, als sich der junge Student Jan Palach in Prag aus Protest gegen die durch den Einmarsch der Warschauer-Pakt-Staaten beendeten Reformen in der ČSSR selbst verbrannte. Wie im Übrigen auch die Selbstverbrennung vor dem Obersten Gerichtshof in Washington, D.C., von Wynn Bruce am World Earth Day 2022 nicht zu nennenswerten Konsequenzen führte; Bruce wollte gegen die politische Untätigkeit angesichts der Klimakrise protestieren.

Mehr als kurzes Schockiertsein (oder bei unfreiwilligen Augenzeugen vermutlich längeres, traumatisches) wird einfach nicht erreicht, und danach ist wieder Alltag. Außer für die Familien und Freunde von denen, die ihre Leben aufgaben, natürlich.

Am 6. Juni kündigten die Hungerstreikenden zunächst an, die Aktion wegen »positiver Signale aus der Politik« für eine Woche auszusetzen. Eine Woche später dann, am 13. Juni, brachen sie ihre Aktion ab. Fragwürdig bleibt sie dennoch.

Aktualisiert am 15.6.24