Die Wahl nach der Krise
Die ökonomische Lage hat sich entspannt. Die Inflationsrate, die zeitweise über 70 Prozent betrug, fiel im August weiter auf 0,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahresmonat. Gut zwei Jahre ist es her, dass Sri Lanka einen wirtschaftlichen Zusammenbruch erlebte und eine breite Protestbewegung den damaligen Präsidenten Gotabaya Rajapaksa zum Rücktritt und zur vorübergehenden Flucht ins Ausland zwang. Seither ging es mit dem Inselstaat zwar wieder bergauf, aber viele der 22 Millionen Einwohner leiden noch unter dem Kollaps, der viel neue Armut nach sich zog.
Am 21. September wird nun ein neues Staatsoberhaupt gewählt. Zwar würde der Konservative Ranil Wickremesinghe, der nach dem Sturz Gotabayas die Präsidentschaft übernahm, nur zu gern fünf Jahre weitermachen. Dass die 17 Millionen Wahlberechtigten mehrheitlich für ihn stimmen, ist aber unwahrscheinlich.
Mitte August ließ die Wahlkommission 39 Kandidaten zu, so viele wie noch nie in der Geschichte des Landes. Reelle Chancen werden aber nur dreien von ihnen eingeräumt, das Abschneiden eines Vierten mag ebenfalls von Bedeutung sein. Zudem geht es darum, wie sich die Parteien für die Parlamentswahl im kommenden Jahr präsentieren.
Von 2017 bis 2023 hat sich der Anteil der Armen von 11,3 auf 25,9 Prozent mehr als verdoppelt. Unterernährung und Mangelerkrankungen bei Kindern sind seit der Krise 2022 wieder verbreitete Probleme.
Noch zu Jahresbeginn führte Anura Kumara Dissanayake, der Kandidat der linken Allianz National People’s Power (NPP), als klarer Favorit die Umfragen mit 43 bis 46 Prozent an, gefolgt vom Oppositionsführer Sajith Premadasa von der Samagi Jana Balawegaya (SJB) mit 36 bis 37 Prozent. Nachdem es im Juni einen Schwenk zu seinen Gunsten (43 zu 30 Prozent) gab, sieht die jüngste Umfrage des Institute for Health Policy vom Juli beide nun gleichauf. Erstmals aber lagen beide deutlich unter 40 Prozent.
Die eigentliche Überraschung ist die gestiegene Zustimmung für Amtsinhaber Ranil Wickremesinghe. Noch vor Monaten schien der Politveteran hoffnungslos unpopulär zu sein. Inzwischen liegen seine zeitweise auf zehn Prozent abgestürzten Umfragewerte wieder bei 23 Prozent; bei Frauen, so das Institute for Health Policy, konnte er sogar um 17 Punkte zulegen. Dagegen büßte Dissanayake vor allem bei der Jugend, die weit überdurchschnittlich ihre Hoffnungen an ihn knüpfte, seit Juni an Beliebtheit ein.
Folgen des Bürgerkriegs
Sri Lanka ist ein noch immer zutiefst zerrissenes Land. Allgegenwärtig, obwohl nicht immer auf den ersten Blick auffallend, sind die Folgen des Bürgerkriegs, in dem ab 1983 die Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) mit oftmals auch terroristischen Mitteln für einen eigenen Staat der tamilischen Minderheit im Norden und Osten der Insel kämpften. Bis zu 100.000 Todesopfer hat dieser Konflikt in 26 Jahren gefordert. Im Mai 2009 gelang es der damaligen Regierung unter Mahinda Rajapaksa als Präsident und seinem jüngeren Bruder Gotabaya als Verteidigungsminister, in einer blutigen Offensive die LTTE militärisch zu besiegen. Fast die komplette Führungsriege wurde getötet, viele ehemalige Kader gelten bis heute als »verschwunden«.
Einer unabhängigen Untersuchung der Menschenrechtsverletzungen, nicht nur von UN-Gremien wiederholt gefordert, verweigert sich das Land bis heute – unabhängig davon, wer seither in Colombo regierte. Der lange beinahe allmächtige Rajapaksa-Clan wurde zunächst bei der Präsidentschaftswahl 2015 von Maithripala Sirisena abgelöst. Doch die erhofften und versprochenen Reformen blieben weitgehend aus, und so brachte Gotabayas Wahlsieg 2019 die Rajapaksas an die Macht zurück.
Zu den Besonderheiten der bevorstehenden Wahl gehört, dass traditionelle Parteilager und Allianzen aufgeweicht sind. Wickremesinghe, offiziell als Unabhängiger antretend, hat neben seiner United National Party (UNP) an die 30 kleinere Parteien hinter sich. Über Jahrzehnte war die gesellschaftlich konservative, sozioökonomisch neoliberale UNP die dominante Kraft des rechten bürgerlichen Lagers – als Gegenpol zur sozialliberalen Sri Lanka Freedom Party (SLFP), deren breites Bündnis die wichtigsten linken Parteien einschloss und die lange von der Familie Rajapaksa dominiert wurde.
Gegenentwurf für die enttäuschte Jugend
Doch die SLFP ist nur noch ein Schatten ihrer selbst, seit die Rajapaksa-Brüder die Sri Lanka Podujana Peramuna (SLPP, englischer Name: Sri Lanka People’s Front) gründeten, die aber schon wieder zersplittert ist. Auch die UNP ist nach einer Spaltung geschwächt – weit erfolgreicher agiert nun die von Premadasa geführte SJB, die derzeit stärkste Oppositionspartei.
Die bestimmende Formation der NPP, die bei der Parlamentswahl 2020 nur drei der 225 Mandate holte, ist Dissanayakes Janatha Vimukthi Peramuna (JVP, auch bekannt als People’s Liberation Front), die 27 weitere linke Parteien sowie Frauenrechtsorganisationen und gewerkschaftliche Verbände um sich geschart hat. Noch 1971 und 1989 hatte die JVP mit Aufständen versucht, gewaltsam eine sozialistische Revolution auf der Insel in Gang zu setzen.
Schon länger beteiligt sie sich nun ohne revolutionäre Ambitionen am parlamentarischen Betrieb und der charismatische Dissanayake kommt öffentlich eher als linker Sozialdemokrat daher. Während Wickremesinghe und Premadasa die enge Kooperation mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) fortsetzen wollen, propagiert die NPP den Kampf gegen Korruption und Günstlingswirtschaft sowie einen starken Sozialstaat – zu dem, was die etablierten Kräfte im Programm haben, ist das ein echter Gegenentwurf, den gerade die enttäuschte Jugend oft attraktiv findet.
Bewerber aus der tamilischen Minderheit chancenlos
Schließlich hat sich von 2017 bis 2023 der Anteil der Armen von 11,3 auf 25,9 Prozent mehr als verdoppelt. Unterernährung und Mangelerkrankungen bei Kindern sind seit der Krise 2022 wieder verbreitete Probleme, gerade junge Leute haben es schwer, ein verlässliches Einkommen zu finden. Für Anura Dissanayake wollen deshalb Umfragen zufolge auch viele stimmen, die vor zwei Jahren an den Massenprotesten gegen Gotabaya Rajapaksa teilnahmen und zunächst dessen Flucht bejubelten – und enttäuscht wurden, als eine parlamentarische Mehrheit für Wickremesinghe als Nachfolger votierte.
Dass der lange dominante Familienclan noch nicht abgeschrieben ist, zeigt die Tatsache, dass eine Fraktion der SLPP jetzt Namal Rajapaksa ins Rennen schickt – den ältesten Sohn des Familienoberhaupts Mahinda Rajapaksa. Er erreicht in den Umfragen aber nur einstellige Werte. Ebenfalls chancenlos sind zwei Bewerber aus der tamilischen Minderheit. Viele Tamilen und Muslime – die zweite wichtige Minderheit, die der Mehrheit buddhistischer Singhalesen gegenübersteht – dürften Umfragen zufolge für Premadasa stimmen.
China und Indien werden den Wahlausgang besonders genau beobachten.
Für den Wahlsieg braucht es mehr als 50 Prozent der Stimmen, berechnet wird dies jedoch nach einem komplexen Verfahren des ranked voting, bei dem auch eine Zweit- und Drittpräferenz angegeben werden kann, aber nicht muss. Mutmaßlich wird nicht schon die erste Präferenz eine Entscheidung bringen, so dass es darauf ankommen dürfte, wie die zweiten und dritten Stimmen der anderen Kandidaten sich auf die beiden Bestplatzierten verteilen. Sollten, wie es Umfragen zufolge zu erwarten ist, Wähler Wickremesinghes als zweite Präferenz mehrheitlich Premadasa ankreuzen, würde der Linke Dissanayake selbst bei einem Vorsprung von drei Prozent unterliegen.
Zwei Länder werden den Wahlausgang besonders genau beobachten: China hat viele teils umstrittene Investitionen in Sri Lanka getätigt und ist größter Gläubiger des weiter auch am Tropf des IWF hängenden Landes, der traditionell bedeutsamste Partner Indien wiederum ist etwas ins Hintertreffen geraten.