Mit Pogromen gegen Tamilen ­begann vor 40 Jahren der Bürgerkrieg in Sri Lanka

Verdrängte Massaker

Vor 40 Jahren begann mit den Pogromen gegen die tamilische Minderheit der Bürgerkrieg in Sri Lanka, der bis 2009 andauerte. Damals begangene Kriegsverbrechen sind bis heute nicht aufgearbeitet.

Es ist ein Jahrestag, der vor allem bei der größten ethnischen Minderheit Sri Lankas schlimme Erinnerungen weckt: Im »Schwarzen Juli« 1983 wurden Tausende Tamilinnen und Tamilen getötet. Die damaligen Pogrome bildeten den Auftakt für einen Bürgerkrieg, der sich 26 Jahre hinzog und etwa 100.000 Menschen den Tod brachte. Während die Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) bewaffnet für einen eigenen Staat im Hauptsiedlungsgebiet der überwiegend hinduistischen Tamilen im Norden und Osten der Insel kämpften, antwortete der Staat insbesondere unter der Präsidentschaft von Junius Richard Jayewardene (1978–1989), der die zumeist buddhistische singhalesische Bevölkerungsmehrheit klar bevorzugte und Politiker tamilischer Abstammung entmachtete, indem er brutal schon gegen vermeintliche Sympathisanten der Separatisten vorging.

Das dunkle Kapitel der Geschichte ist so gut wie nicht aufgearbeitet bis heute und bleibt äußerst brisant: Am Donnerstag voriger Woche haben Ausgrabungen auf dem Gelände eines Massengrabs aus der Bürgerkriegszeit in Mullaitivu begonnen. Mitarbeiter der Wasserbehörde (NWSDB) waren bei Arbeiten Ende Juni auf einige Skelette gestoßen. Mullaitivu, eine Stadt im äußersten Nordosten, war während des Bürgerkriegs zunächst ein wichtiger Stützpunkt der Armee und gehörte dann von 1996 bis 2009 zum von der LTTE kontrollierten Territorium. Wahrscheinlich sind es die sterblichen Überreste von LTTE-Kadern, auf die man gestoßen ist.

In den Jahrzehnten nach der Unabhängigkeit 1948 hatte es friedliche Proteste gegen Gesetze gegeben, die die tamilische Minderheit benachteiligten. Die 1976 gegründeten LTTE waren anfangs nur eine von diversen militanten Gruppen, die gegen die seit Anfang der sechziger Jahre verschärfte Diskriminierung der Minderheit aufbegehrten – bis die LTTE in der Nacht vom 23. zum 24. Juli 1983 einen Überfall auf eine Militärbasis im Norden des Landes verübten. Er galt als Vergeltung dafür, dass Soldaten zuvor tamilische Schulmädchen entführt und missbraucht haben sollen.

Kurz vor Mitternacht zündeten die Rebellen eine Bombe unter einem Armeejeep. Als weitere Soldaten den Verletzten zu Hilfe kamen, griffen LTTE-Kämpfer sie an. 13 Soldaten starben. Der Vorfall ließ dem Hass von Extremisten aus der singhalesischen Bevölkerungsmehrheit freien Lauf: Bei den Pogromen vom 24. Juli bis zum Monatsende kamen landesweit mindestens 400, nach den meisten Schätzungen eher zwischen 3.000 und 4.000 Angehörige der Minderheit ums Leben. Selbst in den Gefängnissen griffen singhalesische Insassen ihre tamilischen Zellengenossen an und ermordeten Recherchen von BBC zufolge 53. In der Hauptstadt Colombo und anderen Städten wurden tamilische Läden niedergebrannt – die Inhaber hatten Glück, wenn sie selbst halbwegs unbeschadet davonkamen.

Von vielen inhaftierten einfachen Kadern und Sympathisanten der LTTE, die nach dem Sieg der Armee 2009 in diverse Lager verfrachtet wurden, fehlt bis heute jede Spur.

Der Staat versäumte es bei all dem nicht nur, die tamilischen Bürger und Bürgerinnen zu schützen; vielmehr, so der Tamil Guardian in einer detaillierten Betrachtung der damaligen Ereignisse, waren allein in Jaffna, der größten Stadt im tamilischen Norden, Soldaten aktiv an der Ermordung von etwa 50 Menschen beteiligt. Andernorts transportierten LKW der Armee singhalesische Extremisten, die bei der Auswahl ihrer Mordopfer auf offizielle Wählerlisten zurückgriffen.

»Ich schere mich nicht um die Meinung der Tamilen. Jetzt können wir nicht an sie, ihre Leben oder ihre Meinung denken. In der Tat, wenn ich die Tamilen aushungern würde, wären die Singhalesen zufrieden«, zitierte der Daily Telegraph am 11. Juli 1983 Präsident Jayewardene. Das Staatsoberhaupt war nicht der einzige Spitzenpolitiker, der schon vor den Pogromen den Hass noch angestachelt hatte. Zudem wurde für ausländische Journalisten ab Mitte Juli die Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt und eine strenge Pressezensur verkündet – Maßnahmen, die nahelegen, dass die Massenmorde kurz darauf kein rein spontaner Akt waren.

Wechselseitige Gewalt wurde fortan für ein Vierteljahrhundert zum Alltag im Land. Die LTTE unter ihrem so charismatischen wie skrupellosen Anführer Velupillai Prabhakaran begannen ihren Guerillakrieg, 1985 kontrollierten sie bereits weite Gebiete im Norden rund um Jaffna und hatten bis 1987 auch die meisten ihrer Konkurrenzorganisationen ausgeschaltet.

In jenem Jahr gab es auch den ersten Selbstmordanschlag. Bis 2009 folgten rund 240 weitere, ausgeführt von einer Eliteeinheit, den sogenannten Schwarzen Tigern. Ziele waren auch konkurrierende Anführer aus der eigenen Bevölkerungsgruppe wie 1997 Arunasalam Thangathurai, Abgeordneter der gemäßigten Partei Tamil United Liberation Front (TULF) aus Trincomalee. Die prominentesten Opfer der LTTE waren allerdings Indiens ehemaliger Premierminister Rajiv Gandhi, der am 21. Mai 1991, und Ranasinghe Premadasa, Jayewardene Nachfolger als Präsident Sri Lankas, der am 1. Mai 1993 getötet wurde.

Die LTTE hatte Gandhi für den indischen Militäreinsatz in Sri Lanka von 1987 bis 1990 verantwortlich gemacht. Die bis zu 80.000 Mann starke indische Friedenstruppe (IPKF) war nicht unparteiisch, sondern agierte klar gegen die LTTE, zog aber wieder ab, weil aus der geplanten schnellen Ausschaltung der Guerilla ein blutiger Krieg geworden war. Später gab es von Nor­wegen vermittelte Verhandlungen zwischen Rebellen und Regierung, doch Letztere entschied sich 2009 für eine militärische Lösung. Die finale Offensive der Armee wurde rücksichtslos geführt, die komplette LTTE-Führung wurde bis zum im Mai verkündeten Sieg eliminiert. Von vielen inhaftierten einfachen Kadern und Sympathisanten, die damals in diverse Lager verfrachtet wurden, fehlt aber bis heute jede Spur.

Der Wille zur Aufarbeitung der blutigen Vergangenheit ist kaum ausgeprägt. Schon unter Präsident Mahinda Rajapaksa (2005–2015) verweigerte sich Sri Lanka strikt einer unabhängigen Untersuchung, die die UN-Menschenrechtskommission 2014 gefordert hatte. Unter den nachfolgenden Regierungen änderte sich nur der Tonfall, nicht aber die Haltung. Das Kabinett von Präsident Ranil Wickremesinghe hat nun den Plan für eine Wahrheits- und Versöhnungskommission nach südafrikanischem Vorbild vorgelegt, das Gesetz dazu soll im August beschlossen werden. Kritiker halten den Vorstoß aber für reine Symbolpolitik.

In einer Erklärung vom 22. Juni forderte ein Bündnis von fünf Menschenrechtsgruppen umfassende Untersuchungen über Massengräber. Manche werden, wie jenes in Mullaitivu, zufällig gefunden. »Wir alle wissen von Zehntausenden Toten, die überall auf der ­Insel in flachen Gräbern liegen«, zitiert die Zeitung The Island Brito Fernando von der Organisation Families of the Disappeared.

Hunderte Leichen mutmaßlicher LTTE-Kader wurden bereits 2013 nahe dem Krankenhaus von Matale gefunden. Brisant an jenem Fall: Präsident Gotabaya Rajapaksa, der vor einem Jahr nach Straßenprotesten zurücktrat, war 1989 zum mutmaßlichen Todeszeitpunkt der Verscharrten Militärkommandant der Region. Nach Öffnung des Massengrabs 2013 ließ er alle älteren Polizeiakten in Matale vernichten – nicht der einzige Fall der Intervention höchster Stellen zur Vertuschung. Von einem »Verantwortungsdefizit« der Regierung, die sich Untersuchungen nicht stellen wolle, sprach Ende Juni Nada al-Nashif, UN-Vizehochkommissarin für Menschenrechte.

In Mannar, wo 2019 ein Massengrab mit 318 Skeletten, davon 18 von Kindern, gefunden wurde, beschäftigt dieser Fund nun die Justiz. Experten halten das Grab, in dem sich auch Metallstücke (offenbar Überreste von Fesseln) fanden, für nicht älter als 30 Jahre. Ein Labor in Florida datierte sechs Knochenproben aber auf eine Zeitspanne zwischen 1477 und 1719. Das Magistratsgericht ordnete am 5. Juli eine umfassende Untersuchung an.