Queerfeindliche Angriffe in Berlin nehmen zu, ein Gastronom sieht seine Existenz ­gefährdet

Verprügelt, bespuckt und beleidigt

Die Statistik zeigt einen Anstieg LGBT-feindlicher Gewalt in Deutschland, auch das angeblich weltoffene Berlin ist keine Ausnahme. Ein Berliner Gastronom sieht inzwischen seine Existenz gefährdet, will aber nicht aufgeben. Melde- und Beratungsstellen fordern mehr Aufmerksamkeit für das Problem.

Ein Hakenkreuz aus Hundekot am Fenster, SS-Runen, eingeschlagene Scheiben, verprügeltes und angespucktes Personal, Anzeigen beim Ordnungsamt, Beleidigungen als »Schwuchtel« – die Liste der Übergriffe, die der Gastronom Danjel Zarte und seine rund 26 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den vergangenen Monaten erlebt haben, ist lang. Drei LGBT-freundliche Lokale betreibt er in Berlin: das Café »Das Hoven« und die Bar »Kleine Freiheit« in Neukölln sowie die »Große Freiheit 114«, eine Bar mit All-Gender-Darkroom in Friedrichshain.

»Ich werde hier systematisch fertiggemacht.« Gastronom Danjel Zarte, Betreiber dreier LGBT-freundlicher Lokale in Neukölln und Friedrichshain

»Queers and friends« steht in großen Leuchtbuchstaben über dem Tresen des Hoven; besonders in der Nacht, wenn das Café geschlossen ist, ein deutlich sichtbares Zeichen der Offenheit für sexuelle Vielfalt. »Ich werde hier systematisch fertiggemacht«, erzählt Zarte der Jungle World. »Engstirnige Menschen brauchen immer einen Schuldigen für ihre eigenen Probleme und das allgemeine Weltgeschehen, darum greifen sie Kleingruppen wie uns an.«

Die Angriffe sind laut Zarte derart häufig und schlimm geworden, dass er seine Angestellten nicht mehr allein in den Lokalen arbeiten lässt; das ist auf Dauer aber ziemlich teuer. »Als Unternehmer stehe ich finanziell mit dem Rücken zur Wand.« Er habe Kameras installiert und zeige alle Vorfälle an. Wegen der rechtsextremen Symbole sei sogar der Staatsschutz eingeschaltet worden. Ans Aufgeben denkt Zarte aber nicht, es gebe ja schließlich auch viel Solidarität im Kiez. Die Neuköllner Nachbarn haben das ganze Haus mit Regenbogenfahnen dekoriert.

Riesenproblem mit Gewalt

Anfang September hat Zarte eine Party im Hoven veranstaltet, um die Kosten aufzufangen. Es gab eine Dragshow und Kuchen. Auch der Berliner Queerbeauftragte Alfonso Pantisano (SPD) war zu Gast. Seit einem Jahr ist er im Amt, der erste Queerbeauftragte der Hauptstadt. Jeden Tag registriere man rund drei queerfeindliche Angriffe in Berlin, sagt er der Jungle World am Rande der Party; 90 Prozent der Taten würden gar nicht angezeigt. »Manche denken, es gehört zur Queerness dazu, auf die Fresse zu bekommen. Gerade Transfrauen haben ein Riesenproblem mit Gewalt, besonders wenn sie schwarz sind.«

An einem Runden Tisch zum Thema Queerfeindlichkeit will Pantisano eine Strategie für das Land Berlin entwickeln. Ende 2025 sollen Maßnahmen vom Senat verabschiedet werden. Mit einer Umsetzung rechnet er 2026. Die Finanzierung sei noch unklar. Schon jetzt gebe es aber ein Budget für niedrigschwellige Hilfen für Gewaltbetroffene.

Immer mehr Angriffe

Nach Angaben des Bundeskriminalamts und des Bundesinnenministeriums wurden 2023 bundesweit 1.499 Fälle im Bereich »sexuelle Orientierung« und 854 Fälle im Bereich »geschlechtsbezogene Diversität« gemeldet. Angriffe auf lesbische, schwule, bisexuelle und queere Menschen nahmen demnach im Vergleich zum Vorjahr um etwa 49 Prozent zu, solche gegen trans-, inter- und nichtbinärgeschlechtliche Menschen um etwa 105 Prozent. Die Berliner Staatsanwaltschaft spricht von 791 LGBT-feindlichen Angriffen, die im vergangenen Jahr in der Stadt zur Anzeige gebracht wurden. Innerhalb von vier Jahren hat sich die Zahl fast verdoppelt. Das schwule Antigewaltprojekt Maneo registrierte sogar 1.014 Fälle und Hinweise mit LGBT-feindlichen Bezügen.

Der Soziologe Bastian Finke beschäftigt sich seit 34 Jahren mit dem Problem. Bei Maneo berät er Betroffene und versucht, sie dazu zu motivieren, die Übergriffe anzuzeigen. Aber es gibt Gründe, warum manche das nicht tun. »Betroffene haben leider immer noch das Gefühl, von einzelnen Polizeibeamten gar nicht ernst genommen zu werden«, berichtet Finke im Gespräch mit der Jungle World. »Außerdem sagen die Leute immer wieder, sie hätten keine zeitlichen und emotionalen Ressourcen für Anzeigen, Zeugenaussagen und Verfahren. Manche sagen, sie müssten eigentlich jeden Tag eine Anzeige machen.«

»Betroffene LGBT-feindlicher Gewalt haben leider immer noch das Gefühl, von einzelnen Polizeibeamten gar nicht ernst genommen zu werden.« Bastian Finke, Maneo

Er könne es daher nachvollziehen, wenn Betroffene keine Anzeige erstatten, freue sich aber, wenn sich jemand nach der psychosozialen Beratung durch Maneo doch dazu ermutigt fühle. »Das ist eine Form von Wehrhaftigkeit, eine Aufforderung an den Staat, Gewalt zu verfolgen und zukünftige Taten durch verbesserte Gewaltpräventionsarbeit zu verhindern.« Auch zwei Mitarbeiter vom Hoven wollten keine Anzeige erstatten, nachdem sie verprügelt worden waren. Zarte teilte der Jungle World mit, die beiden hätten befürchtet, nicht ernst genommen zu werden.

Als Täter identifiziert Finke unter anderem Rechte und Islamisten. »Wir müssen die Dinge beim Namen nennen und nicht als Teil einer Folklore betrachten.« Er empfiehlt, sich immer ein solidarisches Umfeld aufzubauen, Nachbarn einzubinden und bei Konflikten, die rund um die Gastronomie bestehen, Kompromissbereitschaft zu zeigen, wenn es beispielsweise um nächtlichen Lärm geht.

Hotspots der Queerfeindlichkeit

Wer den Aufwand einer Anzeige scheut, kann Vorfälle auch anonym online beim 2016 gegründeten Berliner Register melden, einer Dokumentationsstelle für Diskriminierung und rechtsextreme Aktivitäten. Im Gegensatz zur Kriminalitätsstatistik der Polizei nimmt das Berliner Register auch kleinere Vorfälle auf, die keine Straftaten sind, wie diskriminierende Sprüche oder Aufkleber und Graffiti. Als Hotspots der Queerfeindlichkeit nennt Kati Becker vom Berliner Register Neukölln und Kreuzberg. Aber auch aus dem »Regenbogenkiez« in Schöneberg würden viele Vorfälle gemeldet – weil Schwule dort so präsent seien.

»Mit einer Meldung bei uns kann man andere schützen«, sagt Becker der Jungle World. »Nur wenn man die Gewalt benennt und dokumentiert, kann man das Problem angehen und zum Beispiel Antigewaltprojekte stärken.« Das Berliner Register werde in direkter Folge »rechter Shitstorms« leider auch immer wieder für Falschmeldungen missbraucht, die migrantische Jugendliche als Täter anprangern sollen, so Becker. Darum werde die Glaubwürdigkeit jeder Meldung durch Rückfragen überprüft.