Die von der Bundes­regierung geplanten Einschnitte bei der ­Entwicklungshilfe hätten fatale Folgen

Das Elend mit dem Hilfsbetrieb

Die Bundesregierung plant erneut Kürzungen im Bereich der Entwicklungs­hilfe, AfD und Rechtspopulisten in anderen Ländern fordern sogar eine noch drastischere Reduzierung. Auch wenn deren Motive durchsichtig sind, ist Kritik daran, wie internationale Hilfe organisiert wird, dringend notwendig.

Im dritten Jahr in Folge hat die Bundesregierung bei der Entwicklungshilfe den Rotstift angesetzt. Schon in diesem Jahr wurde der Etat des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) im Vergleich zum Vorjahr um 7,6 Prozent gekürzt, der Etat des Auswärtigen Amts sogar um 17,6 Prozent. Für das kommende Jahr sollen nochmal 1,3 Milliarden Euro beim BMZ gestrichen werden. Dabei gilt doch, zumindest in der deutschen Eigenwahrnehmung, wie es jüngst ein Kommentar im MDR zusammenfasste, Entwicklungspolitik »als eines der Aushängeschilder der Bundesrepublik bei internationalen Partnerländern«.

Immer mehr internationale Hilfe dient schlicht nur noch der auf Dauer angelegten Verwaltung des Elends. Dafür ist Syrien ein besonders deprimierendes Beispiel.

Als die geplanten Kürzungen im Bundestag diskutiert wurden, war es dann auch ausgerechnet die CDU, die Kritik übte. So bezeichnete Volkmar Klein das Vorhaben als »peinlich« und verwies darauf, dass unter der Kanzlerschaft von Angela Merkel entsprechende Ausgaben sogar erhöht worden seien. Auf volle Zustimmung stießen die Kürzungen dagegen bei der AfD, für die Michael Espendiller kundtat, er begrüße die Absenkung des Etats, sie reiche ­allerdings bei weitem nicht aus. Damit befindet er sich im Einklang mit anderen rechtspopulistischen Parteien in Europa, denen Entwicklungshilfe generell ein Dorn im Auge ist. In den Niederlanden forderte Geert Wilders’ Partei für die Freiheit (PVV), die seit Juni Teil der Regierungskoalition ist, für die Koalitionsvereinbarungen neben Dutzenden von Maßnahmen zur Verschärfung des Asylrechts vor allem eine starke Kürzung von internationalen Hilfsgeldern.

Vor allem das selbstgesteckte Ziel, die sogenannte Schuldenbremse einzuhalten und keine zusätzlichen Staatsschulden aufzunehmen, verleitet die Bundesregierung aus SPD, Grünen und FDP zu den Kürzungen. In einer kürzlich von dem Magazin Politico veröffentlichten internen Argumentationshilfe der FDP für die bevorstehenden Haushaltsverhandlungen preist diese die sogenannte Schuldenbremse, weil sie helfe, sich »von ineffizienten oder ideologiebasierten Programmen zu trennen«. Mittelfristig sollte das Entwicklungsministerium sogar abgeschafft werden und die Entwicklungshilfe »als Instrument der Außenpolitik verstanden und konsequenterweise ins Auswärtige Amt eingegliedert werden«.

Vorzeigeprojekt Deutschlands

Den geplanten Kürzungen fällt ein Ressort zum Opfer, das lange als Vorzeigeprojekt Deutschlands gehandelt wurde. Schließlich betonten in den vergangenen Jahrzehnten Politiker aller Regierungsparteien immer wieder, wie wichtig nicht etwa militärische Interventionen, sondern zivile Aufbauhilfe, Gelder für Konfliktlösungen und die Bekämpfung des Hungers seien.

Noch im Februar, anlässlich der Münchner Sicherheitskonferenz, lancierten namhafte Politiker unter anderem von SPD und CDU ein Papier, das sich kritisch zu erhöhten Militärausgaben für die Ukraine äußerte, und forderten: »Armut, Hunger und der Klimawandel müssen aktiv bekämpft und mehr Mittel in Bildung und Gesundheit investiert werden, insbesondere in Ländern des Globalen Südens. (…) Deutschland spielt hier eine Schlüsselrolle und muss weiter seine internationale Verantwortung wahrnehmen.«

Schon immer allerdings klaffte eine Lücke zwischen schönen Worten und Realität – und diese Lücke wurde immer größer. Das Ziel, auf das sich die reichen Industrieländer 1970 verständigt hatten, 0,7 Prozent des jeweiligen Bruttoinlandsprodukts für, wie es im Fach­jargon heißt, Official Development Assistance (ODA) auszugeben, sei von der Bundesrepublik schon im Jahr 2022 nur mit Tricksereien erreicht worden, kritisiert der Verband für Entwicklungspolitik und humanitäre Hilfe Venro.

Deutschland größter Empfänger deutscher Mittel

So werden etwa immer mehr Ausgaben für Unterbringung von Flüchtlingen oder Studenten aus dem Ausland unter diesem Posten verbucht. Auf diese Weise sei Deutschland durch Haushalts­tricks inzwischen sogar »zum größten Empfängerland seiner eigenen Mittel für Entwicklungszusammenarbeit geworden«, sagte Venro-Referent Lukas Goltermann der Wochenzeitung Kontext.

Dass ein bedeutender Teil der für Entwicklungshilfe deklarierten Gelder die Länder, aus denen sie stammen, nie verlassen, beobachten Kritiker schon seit längerem. Laut einer Studie des »Kiel Institute for the World Economy« über 29 Geberländer, die meisten davon in der EU, galt das bereits 2016 für mindestens ein Viertel aller als internationale Hilfe ausgewiesenen Gelder, Tendenz steigend. Bezeichnenderweise betreffen die Streichungen im neuen Bundeshaushaushalt diese Ausgaben nicht – wenn auch im Bereich Integra­tion, beispielsweise bei den Sprachkursen für Flüchtlinge, gespart werden soll.

Zu Recht also kritisieren Hilfswerke in Deutschland die ausschließlich bei der Auslandshilfe vorgenommenen Kürzungen und verweisen darauf, dass besonders ­bedürftige Menschen und »vergessene Konflikte« wie etwa in Somalia, Myanmar oder dem Jemen unter den Folgen zu leiden hätten und auch das von den UN anvisierte Ziel, Hunger bis 2030 aus der Welt zu schaffen, so nicht erreicht werden könne. Ganz im Gegenteil nehme die Zahl hungernder Menschen global sogar wieder zu, während, wie die Welthungerhilfe und Terre des Femmes in einem im Juni veröffentlichten gemeinsamen Bericht beklagen, die aus Deutschland dringend benötigten Mittel für Ernährungssicherung und ländliche Entwicklung im vergangenen Jahr um mehr als 30 Prozent zurückgegangen seien.

Bestenfalls nicht verhungern

Dazu kommt, dass immer mehr internationale Hilfe schlicht nur noch der auf Dauer angelegten Verwaltung des Elends dient. Dafür ist Syrien ein besonders deprimierendes Beispiel: Schon längst wurde in den westlichen Staaten jede Hoffnung auf Veränderung zum Besseren für die Millionen Binnenvertriebenen aufgegeben, die seit Jahren ohne Perspektive im Nordosten des Landes, der nicht unter Kontrolle des Assad-Regimes steht, ihr Leben fristen. Internationale Beachtung finden sie kaum noch, außer während der alljährlichen Geberkonferenz, bei der dann Milliarden für ihre Versorgung freigegeben werden, Gelder, die das Elend nicht beheben, sondern zementieren und von denen ein Großteil über die UN die Kriegskassen des Regimes füllt.

Wie den syrischen Binnenflüchtlingen geht es Millionen Menschen auf der Welt: Sie erhalten internationale Hilfe, damit sie bestenfalls nicht verhungern oder an heilbaren Krankheiten sterben. Und in zahlreichen Fällen, etwa bei der Unterstützung der Bevölkerung Afghanistans mittels »lokaler Partner«, wie es seit Machtübernahme der Taliban Praxis ist, stellt sich außerdem die Frage, ob internationale Hilfe hier nicht zur indirekten Finanzierung geächteter despotischer Regimes entscheidend beiträgt.

Hieß es früher noch in entsprechenden Sonntagsreden, man dürfe nicht nur an Symptomen herumdoktern, sondern müsse das Übel der weltweiten Armut an der Wurzel packen und, da neuerdings ja Flüchtlingspolitik fast alle entsprechenden »Diskurse« dominiert, auf diese Weise auch die Flucht­ursachen bekämpfen, sind solche Verlautbarungen inzwischen leise und selten geworden. Selbst neue Konflikte wie etwa der blutige Bürgerkrieg im Sudan mit über zehn Millionen Binnenvertriebenen finden kaum mehr politische und mediale Aufmerksamkeit.

Millionen in die Taschen von Autokratien

Stattdessen werden die Budgets für die Sicherung der Außengrenzen sowohl Deutschlands als auch der EU insgesamt Jahr für Jahr aufgestockt – so auch im neuen Haushalt – und äußerst fragwürdige sogenannte Flüchtlingsdeals abgeschlossen, bei denen Millionen in die Taschen von Autokratien in Nordafrika oder dem Nahen Osten fließen.

Entwicklungshilfe sei sowieso, fasste im Bundestag Michael Espendiller von der AfD eine inzwischen weitverbreitete Auffassung zusammen, »größtenteils wirkungsloser Nonsens«. Besonders hat er es dabei auf Nicht­regierungsorganisationen abgesehen, sogenannte NGOs, die zum beliebten Feindbild von Rechtspopulisten und Rechtsextremen geworden sind. Sie gelten ihnen als Inbegriff eines linksgrünen, elitären Selbstbedienungs­ladens in den europäischen Metro­polen.

Diese Kritik wird von Hilfsorganisationen regelmäßig als populistisch zurückgewiesen, nur trifft sie, wenngleich aus falschen Gründen, etwas Richtiges: In den vergangenen Jahrzehnten hat sich nämlich weltweit ein äußerst intransparentes, milliardenschweres Hilfsbusiness entwickelt. Auch wenn dabei viel von Compliance, Transparenz und Ähnlichem die Rede ist, fällt es immer schwerer, nachzuverfolgen, wofür diese Gelder eigentlich verwendet werden.

Es vergeht kaum ein Monat, ohne dass ein neuer Skandal um finanziellen oder, wie in der Vergangenheit beispielsweise in der Demokratischen Republik Kongo und Haiti, sexuellen Missbrauch unter Beteiligung von Angestellten internationaler Hilfsorganisationen bekannt wird.

Und es handelt sich dabei um Milliardenbeträge, die nicht nur an UN-Organisationen, sondern auch an wie Großbetriebe geführte Hilfswerke fließen, die Hunderte Beschäftigte in Lohn und Brot halten. Es vergeht zudem kaum ein Monat, ohne dass ein neuer Skandal um finanziellen oder, wie in der Vergangenheit beispielsweise in der Demokratischen Republik (DR) Kongo und Haiti, sexuellen Missbrauch unter Beteiligung von Angestellten internationaler Hilfsorganisationen bekannt wird.

In Afrika, dem Kontinent, auf den bis heute die meiste Hilfe fließt, sind dem Global Corruption ­Barometer zufolge 20 Prozent der Bevölkerung der Überzeugung, dass ­Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von NGOs korrupt seien. Vertrauen in Hilfsorganisationen sei in den vergangenen Jahren kontinuierlich gesunken, nicht selten hafte ihnen ein schlechter Ruf an, warnt das Netzwerk »Core Humanitarian Standard Alliance«, das sich für Verbesserungen bei der Arbeit von internationalen Hilfsorganisationen einsetzt.

Gelder für Entwicklungshilfe sind eben nicht per se »gut«, vielmehr können sie – die DR Kongo, wo Skandale um sexuellen Missbrauch und Selbstbereicherung wenigstens rudimentär aufgearbeitet wurden, ist nur ein Beispiel unter vielen – auch Schaden anrichten. Das wiederum schadet nicht nur denjenigen, für die diese Hilfe ­eigentlich bestimmt ist, jeder Skandal wird auch begierig aufgegriffen von allen, für die Entwicklungshilfe eh nur »wirkungsloser Nonsens« und Spielwiese »linksgrüner« NGOs ist. Solange Kritik an Kürzungen seitens der Hilfs­organisationen nicht auch mit entsprechender Selbstkritik am Hilfsbetrieb einhergeht, dessen Teil man ist, wirkt solche Kritik deshalb nur bedingt überzeugend.