Wiktor Medwedtschuk, Putins graue Eminenz

Putins graue Eminenz

Sozialdemokrat, steinreicher Oligarch, prorussischer Politiker und schließlich in der Ukraine wegen Hochverrat angeklagt und nach Russ­land überstellt – wer ist Wiktor Medwedtschuk, der Maximilian Krah (AfD) und andere prorussische Politiker in der EU bezahlt haben soll?

Der Wahlkampf für den Spitzenkandidaten der AfD bei der Europawahl, Maximilian Krah, ging nicht gut los: Nachdem sein Assistent im EU-Parlament wegen Verdachts der Spionage für China verhaftet worden war, leitete die Dresdner Generalstaatsanwaltschaft gegen Krah ein Vorvermittlungsverfahren wegen angeblicher Geldzahlungen aus prorussischen Quellen ein.

Petr Bystron, Nummer zwei auf der AfD-Wahlliste, wirft der tschechische Geheimdienst vor, ebenfalls Geld aus dem Umfeld des aus der Ukraine stammenden Politikers und Oligarchen Wiktor Medwedtschuk erhalten zu haben. Dieser finanzierte ein in Prag angesiedeltes Online-Medium namens Voice of Europe, das in mehreren Sprachen prorus­sische Propaganda verbreitete. Bystron und Krah streiten die Vorwürfe ab.

Vor allem Krah pflegte schon seit Jahren Kontakt zu Medwedtschuk. Dieser lebt heute in Russland, kann jedoch auf eine lange Karriere in der ukrainischen Politik zurückblicken. In den frühen nuller Jahren stieg er zum Stabschef des damaligen Präsidenten Leonid Kutschma auf und wurde einer der reichsten Männer der Ukraine, doch seine Laufbahn endete mit einer Anklage wegen Hochverrat, der Beschlagnahme von Vermögenswerten und dem Entzug der ukrainischen Staatsbürgerschaft.

Medwed­tschuks eigener Vater war wegen »antisowjetischer Umtriebe« sowie Verbindungen zur Organisation der Ukrainischen Nationalisten (OUN) zu acht Jahren Lagerhaft verurteilt worden.

Als junger Anwalt Ende der siebziger Jahre in Kiew verteidigte Medwedtschuk Dissidenten, darunter den wegen »antisowjetischer Umtriebe« angeklagten ukrainischen Dichter und Unabhängigkeitskämpfer Wassyl Stus. Dieser wurde gefoltert und zu Lagerhaft verurteilt. Viele sind inzwischen überzeugt, dass Medwed­tschuk schon damals mit dem KGB zusammenarbeitete. Es wäre die erste von vielen Kehrtwenden in Medwed­tschuks Biographie gewesen, denn sein eigener Vater war selbst wegen »antisowjetischer Umtriebe« sowie Verbindungen zur Organisation der Ukrainischen Nationalisten (OUN) zu acht Jahren Lagerhaft verurteilt worden.

Ab 1997 war Medwedtschuk Abgeordneter im ukrainischen Parlament, 2002 wurde er Vorsitzender der Vereinten Sozialdemokratischen Partei der Ukraine, die sich an den westeuropäischen sozialdemokratischen Parteien orientierte. Zu dieser Zeit sah er die Zukunft der Ukraine in der EU und verurteilte die kommunistische Vergangenheit des Landes. Auch das folgende Zitat wird ihm zugeschrieben: »Wir lieben das wahrhaft brüderliche russische Volk aufrichtig, mit dem wir so viel durchgemacht und erlebt haben, aber gleich­zeitig halten wir es für inakzeptabel, die imperiale Politik der russischen Autokratie gegenüber der Ukraine zu romantisieren.«

Mitverantwortlich für Verschärfung der Medienkon­trolle

Doch 2002 ernannte Präsident Leonid Kutschma, der das Land seit 1994 regierte, Medwedtschuk zum Leiter des Präsidialamts. Nun änderten sich dessen Ansichten radikal: Er erwarb sich den Spitznamen »graue Eminenz« und wurde zu einem der verhasstesten Po­litiker des Landes, denn er war mitverantwortlich für Verschärfung der Kon­trolle der Medien durch die Regierung und die Zunahme politischer Repressionen. Medwedtschuk verteidigte Kutschma gegen Vorwürfe aus dem Westen, dass dieser das Land in Richtung Autoritarismus führe, politische Gegner verfolge und den Auftragsmord an dem Journalisten Heorhij Gongadse befohlen habe. Statt für die Westorientierung setzte sich Medwedtschuk von nun an für ein engeres Bündnis mit Russland ein. 2004 machte er den russischen Präsidenten Wladimir Putin zum Taufpaten seiner Tochter.

Als Leiter des ukrainischen Präsi­dialamtes zu Zeiten von Leonid Kutschma verteidigte Wiktor Med­­wedtschuk diesen gegen Vorwürfe aus dem Westen, dass er das Land in Richtung Autoritarismus führe.

Putin betrachtete Kutschma und Medwedtschuk als seine Verbündeten in der Ukraine, ebenso wie den von Kutschma ausgewählten Nachfolger für das Präsidentenamt, Wiktor Januko­wytsch, für den Putin bei der Präsidentschaftswahl 2004 persönlich in der ­Ukraine Wahlkampf machte. Nach Vorwürfen des Wahlbetrugs erzwangen die als Orangene Revolution bezeichneten Massenproteste eine Wiederholung der Präsidentschaftswahl, wobei Janukowytsch schließlich seinem prowest­lichen Herausforderer Wiktor Juscht­schenko unterlag. Damit musste auch Medwedtschuk die Leitung des Präsidialamts abgeben. Auch die von ihm geführten Sozialdemokraten erlebten in den folgenden Jahren einen Niedergang und weitere Parteiprojekte scheiterten. Seine politische Karriere lag am Boden.

Einer der reichsten Männer des Landes 

Der Sieg der nächsten »Maidan-Revolution« im Jahr 2014 durchkreuzte auch Medwedtschuks Versuch, mit der 2012 gegründeten Organisation Ukrainische Wahl eine prorussische Bewegung aufzubauen. Nach dem Ausbruch des Kriegs in der Ostukraine und der russischen Annexion der Krim verhängten die USA Sanktionen gegen ihn. Medwedtschuk blieb jedoch aufgrund seiner Verbindungen zu Putin der großen Politik nahe, denn die ukrainische Regierung beteiligte ihn an Verhandlungen mit Russland und den von Russland kontrollierten Separatisten.

Medwedtschuk war in seiner politischen Laufbahn zu einem der reichsten Männer des Landes geworden, unbeschadet aller genannten politischen Umwälzungen. Sein Vermögen machte er im Öl-, Gas- und Energiesektor, mit Immobilien und Medien. Einigen Berichten zufolge besaßen er und seine damalige Frau direkt oder indirekt um die 100 Unternehmen. 2015 kaufte Medwedtschuk eine Luxusjacht für über 200 Millionen Euro, er besaß Privatjets und eine Flotte Luxusautos. Im Jahr 2021 stand er auf der Liste der reichsten Ukrainer auf Platz zwölf, sein Vermögen wurde auf 620 Millionen US-Dollar geschätzt.

Als Politiker geriet Medwedtschuk jedoch in Vergessenheit, bis er 2018 unerwartet in die Führung der Oppositionspartei »Plattform – Für das Leben« eintrat, die nach dem Maidan-Umsturz aus den Trümmern der ehemaligen Partei der Regionen des flüchtigen ehemaligen Präsidenten Janukowytsch entstanden war. Medwedtschuk übernahm die Kontrolle über mehrere Fernsehsender, die für seine Partei warben. Nach der Parlamentswahl 2019 verfügte diese wieder über eine starke Fraktion und machte Opposi­tion gegen den frisch gewählten Präsidenten Wolodymyr Selenskyj.

Die von Medwed­tschuk kontrollierten Fernsehsender begannen eine heftige politische Kampagne gegen Selenskyj nach dessen Wahlsieg.

Selenskyj war mit dem Versprechen angetreten, alles daran zu setzen, den Krieg in der Ostukraine durch Verhandlungen mit Russland zu beenden. Doch obwohl Medwedtschuk in den Augen vieler Ukrainer das gleiche Ziel verfolgte, unterstützte er Selenskyjs Bemühungen nicht. Stattdessen begannen die von Medwed­tschuk kontrollierten Fernsehsender bald eine heftige politische Kampagne gegen Selenskyj und seine Regierung und versuchten, vor dem Hintergrund gescheiterter Wirtschaftsreformen und steigender Lebenshaltungskosten soziale Proteste im Land anzuheizen.

In diesen Jahren knüpfte Medwed­tschuk auch Kontakte zu prorussischen Politikern in der EU. 2020 traf er beispielsweise Bundestagsabgeordnete im Berliner Reichstagsgebäude, darunter Maximilian Krah. Medwedtschuk sei »die einzige Hoffnung auf Frieden in der Ukraine« zitierte einer der am Ort des Treffens berichtenden ukrainischen Fernsehsender den AfD-Politiker.

In der Ukraine eskalierte der Konflikt zwischen der Regierung und der von Medwedtschuk vertretenen prorussischen Opposition weiter. Anfang 2021 entschloss sich Selenskyj zu einem Schritt, den kein Präsident vor ihm gewagt hatte: Ohne Gerichtsbeschluss, nur auf der Grundlage eines Beschlusses des Nationalen Sicherheitsrats schloss er vier Fernsehsender, die mit Medwedtschuk und seiner Partei in Verbindung standen. Medwedtschuk wurde wegen des Verdachts auf Hochverrat und auf die Finanzierung der separatistischen »Volksrepubliken« in der Ostukraine verhaftet.

Medwedtschuk unter Hausarrest

Bis zum Beginn der russischen Invasion in der Ukraine stand Medwedtschuk unter Hausarrest. Im Herbst 2021 reisten Krah und Bystron zu einem »Solidaritätsbesuch« zu ihm nach Kiew. Wenige Monate später verhängten die USA Sanktionen gegen Personen aus Medwedtschuks engerem Umfeld, weil sie ebenso wie er von Russland zur Vorbereitung des Sturzes der ukrainischen Regierung rekrutiert worden seien.

Als die russischen Truppen im Fe­bruar Kiew umzingelten, floh Medwed­tschuk, wurde allerdings vom ukrainischen Sicherheitsdienst gefasst. Ein von den Behörden veröffentlichtes Foto zeigte ihn in einem erbärmlichen Zustand in Handschellen. Dies war die größte Demütigung für einen Politiker, der 20 Jahre zuvor noch als »graue Eminenz« der Ukraine gegolten hatte.

Heutzutage versucht Medwedtschuk, von Russland aus eine neue politische Bewegung namens »Die andere Ukraine« aufzubauen.

Einige Monate später gelangte Medwedtschuk bei einem Gefangenenaustausch nach Russland, sein Parlamentsmandat und die ukrainische Staatsbürgerschaft waren ihm ent­zogen worden. Heutzutage versucht er, von Russland aus eine neue politische Bewegung namens »Die andere Ukraine« aufzubauen. Er glaubt nicht mehr an die Eigenstaatlichkeit der Ukraine und unterstützt offen die Politik ­Putins.

In einem kürzlich erschienenen Artikel in der russischen Zeitung Komsomolskaja Prawda argumentiert Medwedtschuk, dass, »wenn eine Nation oder ein Gebiet keine Unabhängigkeit besitzt, sondern Teil eines mächtigeren Staates ist, das nicht bedeutet, dass sie minderwertig sei und nicht frei leben könne«. Die ukrainische Führung sei für alle Probleme verantwortlich, während »das ukrainische Volk die Freundschaft mit Russland wollte«.

Er beschuldigt Selenskyj, den Krieg angezettelt zu haben und bezeichnet die Annexion ukrainischer Gebiete als »Heimkehr«. Und Medwedtschuk drückt seine Hoffnung aus, dass das ukrainische Volk das zerstörte Land, das er mit einem alten Begriff für erst im 18. Jahrhundert vom Russischen Reich annektierte Gebiete in der Ukraine als »wildes Feld« bezeichnet, gemeinsam mit Russland wieder aufbauen werde – offenbar hofft er, ­dabei eine führende Rolle zu spielen.