Die einstmals widerständige Berliner Techno-Subkultur wurde zum Unesco-Welterbe erklärt

Raven in Berlin, Bergsteigen in Sachsen

Auf Initiative der Vereinigung »Rave the Planet« ist die »Technokultur in Berlin« zum immateriellen Kulturerbe erklärt worden. Was als widerständige Subkultur begann, wird jetzt dem Kanon deutscher Kulturtraditionen zugerechnet.
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»Warum sollte der Rave jemals enden? Warum sollte es für irgendjemanden einen miserablen Montagmorgen geben?« schrieb der britische Kulturwissenschaftler Mark Fisher in einem Aufsatz 2016, der die Repression gegen die Rave-Kultur im Großbritannien der neunziger Jahre behandelt. Der Rave fungiere in der kollektiven Erfahrung von Ekstase und der auto­nomen Aneignung von öffentlichen und privaten Räumen sowie von Zeit jenseits der Lohnarbeit als Reminiszenz an vor­kapitalistische Zustände und verweise zugleich auf die Vorstellung einer postkapitalistischen Welt, in der Technologie und Fortschritt nicht rein herrschaftsförmig, sondern zur gesellschaftlichen Maximierung von Freizeit und Genuss gebraucht würden. In dieser Widerständigkeit sieht Fisher den Grund für die staatliche Repression.

Die Aufnahme einer Subkultur mit emanzipatorischen Facetten in die Unesco-Liste sorgt vor allem für ihre Musealisierung.

Nach der Repression erfolgt nun die Musealisierung der Rave-Kultur: Die Unesco hat die »Technokultur in Berlin«, so die ­offizielle Bezeichnung, zum immateriellen Kulturerbe erklärt. Angestrebt haben das maßgeblich Matthias Roeingh alias Dr. Motte, der in der Vergangenheit durch mangelnde Distanz zur sogenannten Querdenken-Bewegung auffiel und Mitinitiator der »kulturpolitischen Demonstration« »Rave the Planet« ist, und sein Mitstreiter Hans Cousto, der 1978 sogenannte »Planetentöne« entdeckt haben will, auf deren Basis heute pseudowissenschaftlich-esoterische Behandlungsverfahren vermarktet werden.

Neben der Berliner Technokultur wurden in diesem Jahr auch das Bergsteigen in Sachsen, die Finsterwalder Sangestradition, der Kirchseeoner Perchtenlauf, die Schwälmer Weißstickerei und der Viez in das »Bundesweite Verzeichnis des immateriellen Kulturerbes« aufgenommen.

Für Claudia Roth (Grüne), Staatsministerin für Kultur, veranschaulichen die Neuzugänge »nicht nur die regionale Vielfalt und thematische Breite der ­gelebten Kultur in Deutschland, sie stehen auch für einen erweiterten Kulturbegriff, der sich gegen die absurde Trennung von E- und U-Kultur wendet. Bezeichnend ist dafür die Aufnahme der Berliner Technokultur. Seit mehr als 30 Jahren ist Techno ein wichtiger Sound unserer Hauptstadt, auch für viele Menschen, die aus Europa und der ganzen Welt nach Berlin kommen.«

Es gibt aber auch Kritik an dieser Entscheidung. »Warum wird Detroit in der Unesco-Würdigung nicht erwähnt?« fragt der DJ und Autor Tajh Morris in einem Artikel für das Online-Magazin Resident Advisor. Er verweist auf die Anfänge der Subkultur in der Metropole des US-Bundesstaats Michigan: »Wo wäre der Berliner Techno ohne Underground Resistance, Mike Huckaby oder Jeff Mills?«

So begrüßenswert es auch ist, wenn durch den Entscheid Fördermittel an Veranstalter fließen und staatliche Zugeständnisse an subkulturelle Orte ermöglicht werden – die Aufnahme einer Subkultur mit, glaubt man Fisher, zumindest emanzipatorischen Facetten in die Unesco-Liste sorgt vor allem für ihre Musealisierung. Damit wird genau jenes widerständige Potential ab­geschliffen, das sie vormals interessant machte.