Der größte Anreiz zur Altersarbeit ist die Armut

Arbeiten kann man später immer noch

Immer mehr Menschen in Deutschland gehen schon heute im Alter von 63 bis 67 Jahren einer Beschäftigung nach. Die meisten tun das nicht aus Langeweile, sondern aus ökonomischer Notwendigkeit.
Kolumne »Schicht im Schacht« Von

»Warum muss die Oma eigentlich nicht arbeiten, du aber schon?« fragte mich neulich meine Tochter. Eine gute Frage. Aber hey, es ist wohl nie zu früh, um das Thema Rente zu besprechen. Lange Zeit habe ich die Bescheide der Rentenversicherung ungeöffnet auf den Stapel mit den anderen ungeöffneten wichtigen Briefen gelegt. Zu frustrierend war der Inhalt, zu vorhersehbar der winzige Betrag.

Mein Arbeitsleben begann zwar relativ früh mit Gelegenheitsjobs als Schülerin (Nachhilfe, Babysitten, Zeitungaustragen) und ging währen der Uni unregelmäßig weiter (Meinungsforschung, Pornos digitalisieren, Gastro). Meine erste und vorerst ­letzte versicherungspflichtige Vollzeitstelle hatte ich aber erst mit 25, bevor ich schließlich zur Freibe­ruflerin wurde. Als Freie gingen meine Arbeitszeiten oft über eine 40-Stunden-Woche hinaus.

Immer mehr Menschen in Deutschland gehen schon heute im Alter von 63 bis 67 Jahren einer Beschäftigung nach.

Die Menschen leben länger, wodurch sie auch länger arbeiten können. Statt eines 40jährigen ­Arbeitslebens könnte die Karriere in Zukunft ganze 60 Jahre oder länger dauern, prognostizieren Forscherinnen und Forscher der US-amerikanischen Universität Stanford in einem 2021 veröffentlichten Bericht.

Zum Ausgleich, schlagen sie vor, könne es ermöglicht werden, die wöchentliche Arbeitszeit künftig besser an die jeweiligen Be­dürfnisse und Anforderungen des Lebensabschnitts anzupassen. So könnte man zeitweise weniger arbeiten, anstatt die Arbeit mühsam mit Kindererziehung, Haushaltsarbeit, Freund:innen und ausschweifenden Partys unter einen Hut bringen zu müssen.

Keine ganz schlechte Idee. Aber es gibt da ein paar Haken. Voraussetzung für solch ein flexibleres Arbeitsleben wäre nämlich, die finanzielle Absicherung in der Gesellschaft zu verbessern. Besonders für diejenigen, deren Einkommen bisher kaum Spielraum für Arbeitszeitverkürzungen lässt – indem die Gehälter für diese Berufsgruppen erhöht werden und ein ausreichendes Angebot an günstigem Wohnraum gewährleistet wird. Außerdem gibt es bestimmte, beispielsweise körperlich anstrengende Berufe, die man mit Mitte 60 nicht mehr erledigen will oder kann.

Und dann ist da ja noch die Frage der Zuständigkeit für die Care-Arbeit. Denn wenn das Konzept dazu führt, dass Frauen einfach länger Lohnarbeit verrichten, weil sie zwischen 30 und 50 die Kinder hüten, wäre es auch kein Fortschritt.

Immer mehr Menschen in Deutschland gehen schon heute im Alter von 63 bis 67 Jahren einer Beschäftigung nach. Die meisten tun das nicht aus Langeweile, sondern aus ökonomischer Notwendigkeit. Das soll so bleiben, wenn es nach der SPD geht: Bundesarbeitsminister Hubertus Heil will jetzt mit Gewerkschaften und Arbeitgebern über mögliche Anreize für ältere Arbeitnehmer:innen sprechen und im Sommer entsprechende Vorschläge vorstellen. Ich bin gespannt.