Der russische Überläufer Maksim Kusminow wurde in Spanien ermordet

Sechs Kugeln für den Verräter

In Spanien wurde der ehemalige russische Helikopterpilot Maksim Kusminow, der im September spektakulär zur Ukraine übergelaufen ist, erschossen. Auch der bekannte kriegsbefürwortende Blogger Murs wurde tot aufgefunden.

Es sah wie eine Hinrichtung aus, und das sollte es wohl auch. Mit sechs Schüssen wurde der übergelaufene russische Helikopterpilot Maksim Kusminow vergangene Woche auf einem Parkplatz im spanischen Ort Villajoyosa in der Region Alicante getötet. Bekanntheit erlangte er im August 2023, als er seinen Einsatz als Angehöriger der russischen Streitkräfte beendete, indem er einen Armeehubschrauber vom Typ Mi-8 samt Besatzung nach vorheriger Absprache mit der ukrainischen Seite vom russischen Kursk in das Gebiet Charkiw flog. Die beiden anderen Soldaten im Helikopter waren nicht eingeweiht, leisteten Widerstand und seien nach Aussage des Direktors des ukrainischen Militärnachrichtendienst HUR, Kyrylo Budanow, daraufhin erschossen worden.

Der 28jährige Kusminow galt deshalb in der russischen Propagandasprache als Verräter. Sein Todesurteil war damit gefällt. Im Oktober ließ der Staatssender Rossija 1 maskierte Offiziere des Nachrichtendiensts der russischen Streitkräfte zu Wort kommen. In dem Beitrag hieß es, der Befehl zur Beseitigung Kusminows sei bereits erteilt worden. Dessen Ermordung kommentierte der ehemalige Präsident Dmitrij Medwedjew mit den Worten: »Ein Hund hat einen Hundetod verdient.« Dmitrij Kisseljow, der in seiner wöchentlichen Nachrichtensendung die erwünschte Lesart aller wichtigen Ereignisse der Woche vorgibt, frohlockte, dass der Verräter anstelle von »dolce vita sechs Kugeln abbekommen« habe.

Der ehemalige russische Präsident Dmitrij Medwedjew kommentierte den Mord mit den Worten: »Ein Hund hat einen Hundetod verdient.«

Kusminow hätte in der Ukraine bleiben können, wo er in ein staatliches Schutzprogramm aufgenommen worden war, bestätigte inzwischen der Berater des Präsidenten, Mychajlo Podoljak. Doch bereits im Herbst reiste Kusminow mit seinem neuen ukrainischen Pass unter dem Namen Ihor Schewtschenko nach Südspanien. Dort ließ er sich zuletzt in einem Wohnviertel an der Küste nieder, in dem hauptsächlich Russisch und Ukrainisch gesprochen wird.

Ob er im Gepäck eine halbe Million US-Dollar hatte, die ihm die Ukraine nach seinen Worten für seine Aktion versprochen hatte, ist unbekannt. Nachbarn berichteten, Kusminow habe auf dem Bau gearbeitet. Die spanische Polizei stellte ein ausgebranntes Fahrzeug sicher, das im Zusammenhang mit der Tat stehen soll.

Dass ein Aufenthalt in der Europäischen Union nur bedingt Schutz vor russischen Mordkommandos bietet, ist längst bekannt. Erinnert sei hier an den Mord im Kleinen Tiergarten in Berlin, bei dem 2019 der Tschetschene Selimchan Changoschwili erschossen wurde. Und auch an die mutmaßliche Vergiftung der in Berlin lebenden russischen Journalistin Jelena Kostjutschenko, die den Anschlag überlebte. Bundesinnenministerin Nancy Faeser warnte angesichts des jüngsten Vorfalls in Spanien vor der Gefahr für andere in Deutschland ansässige russische Regimegegner.

Den in Berlin für den Tiergartenmord verurteilten Wadim Krassikow nannte Putin einen »Patrioten«.

Im Übrigen hatte der russische Präsident Wladimir Putin in seinem Interview mit Tucker Carlson, einem ehemaligen Moderator des US-Fernsehsenders Fox News, den Tiergartenmord explizit erwähnt, und zwar im Zusammenhang mit einer Frage nach dem vor einem Jahr im Ural wegen Spionage verhafteten US-Journalisten Ewan Gerschkowitsch. Den in Berlin für den Mord verurteilten Wadim Krassikow nannte er einen »Patrioten« und gab zwischen den Zeilen zu verstehen, dass dieser möglicherweise gegen Gerschkowitsch ausgetauscht werden könne.

Der Name des zwei Wochen später plötzlich in Haft verstorbenen Aleksej Nawalnyj fiel in dem Zusammenhang nicht. Wieso auch, da Putin den Oppositionspolitiker bestenfalls als »Person« bezeichnete und ansonsten meist beschwieg. Nawalnyj gegen Krassikow eintauschen zu können, schien ein reiner Wunschtraum.

Für umso mehr Überraschung sorgte Anfang der Woche Marija Pewtschich von Nawalnyjs Team mit der Aussage, dass just am Vorabend von dessen Tod langwierige Verhandlungen über einen möglichen Austausch in die entscheidende Phase gegangen seien. Ihre Schlussfolgerung: Russlands Oppositioneller Nummer eins wurde ermordet, um seine Freilassung zu verhindern.

Gelegentlich werden Menschen auch in den Freitod getrieben. So könnte es sich beim gegen Putin kritisch eingestellten Kriegsbefürworter Andrej Morosow alias »Murs« verhalten haben. Auf seinem Telegram-Kanal mit 138.000 Followern hatte der 44jährige »Z-Blogger« – wie russische Kriegsfanatiker in den sozialen Medien genannt werden – angekündigt, Selbstmord zu begehen. Als Grund nannte er eine Hetzkampagne gegen ihn.

Am 18. Februar hatte er sich über die kurz zuvor erfolgte Einnahme des lang umkämpften ukrainischen Ortes Awdijiwka ausgelassen – und nicht zuletzt darüber, dass dabei 16 000 russische Soldaten ums Leben gekommen seien. Zwei Tage später löschte er den Eintrag, weil er, wie er mitteilte, dazu gezwungen worden sei. Am folgenden Morgen berichteten Morosow nahestehende Kanäle von seinem Tod. Vermutlich hat er sich erschossen. Bei einem Treffen mit Putin im Kreml berichtete Verteidigungsminister Sergej Schoigu indes, Awdijiwka sei von russischen Truppen »unter minimalen Verlusten« eingenommen worden.

Bereits im Dezember 2022 schrieb Morosow vom »völligen Zusammenbruchs des Rufs von Putin« und davon, dass dessen »gerissener Plan« zum allseitigen Gespött verkommen sei.

Morosow hatte eine lange Karriere als Blogger hinter sich. In jungen Jahren hing er nationalsozialistischem und stalinistischem Gedankengut an. Wegen Beschädigung eines Aushangs an einem Büro der Kreml-Partei Einiges Russland saß er eine dreijährige Haftstrafe ab. 2014 machte er sich in den ukrainischen Donbass auf und schloss sich einer militärischen Einheit der »Luhansker Volksrepublik« an. Morosow erlaubte sich lautstarke Kritik an der Kriegsführung des Verteidigungsministeriums. Bereits im Dezember 2022 schrieb er vom »völligen Zusammenbruchs des Rufs von Putin« und davon, dass dessen »gerissener Plan« zum allseitigen Gespött verkommen sei.

Einerseits dürfte sich Morosow, der in einem seiner letzten Posts noch einmal dazu aufrief, »die ukrainischen Faschisten zu töten«, mit seiner Kritik durchaus Sympathien bei Ultranationalisten verschafft haben, andererseits sorgen kremltreue Propagandisten und Schoigus Ministerium dafür, Leute wie ihn in ihre Schranken zu weisen. Machen dennoch Informationen über hohe Verluste bei den Streitkräften die Runde oder solche, die von einer fahrlässigen Haltung, Unprofessionalität und Gleichgültigkeit bei Offizieren zeugen, versucht man sich in Schadenbegrenzung.

Gerade erst wieder hatten Z-Blogger von einem tödlichen Vorfall auf einem russischen Militärstützpunkt unweit des Dorfes Trudowskoje in der Oblast Donezk berichtet. General Oleg Moisejew ließ dort vergangene Woche seine Soldaten auf freiem Feld antreten, als eine ukrainische Rakete einschlug. 68 Militärangehörige aus dem sibirischen Transbaikalien sollen dabei ums Leben gekommen sein. Der dortige Gouverneur Aleksandr Osipow reagierte ungehalten: Die Angaben seien »zweifelhaft und stark übertrieben«.