In Mecklenburg-Vorpommern wird das Magazin »Katapult« von Rechten bedroht

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In Mecklenburg-Vorpommern wird das Magazin »Katapult« von Rechten bedroht, es werden so viele Schutzsuchende aufgenommen wie noch nie und die Polizei umgeht das Kirchenasyl.

Mitte Dezember veröffentlichte Benjamin Fredrich einen eindringlichen, als »Notruf« ausgewiesenen Text in der Regionalzeitung Katapult MV. Diese ist mit dem von Fredrich herausgegebenen populärwissenschaftlichen Magazin Katapult verbunden; Fredrich hat beide gegründet. Ein von Katapult beauftragter Bauunternehmer habe mehrfach von ungebetenen Gästen auf einem Baugrundstück in Greifswald berichtet. Der zu Katapult gehörige Verlag lässt dort eine Lagerhalle errichten. »Eine Gruppe Männer nötigt unsere Bauarbeiter, die Arbeit einzustellen«, beschrieb Fredrich in seinem Artikel die Situation. Die Übergriffe wiederholten sich bereits seit längerem; es seien »Rechte und Rechtsextreme«, die immer wieder das Grundstück beträten und die Bauarbeiter nötigten. Die Bauarbeiter seien »irgendwann derart eingeschüchtert« gewesen, »dass sie nicht mehr wissen, wie sie reagieren sollen«.

Dem Spiegel teilte der Chefredakteur von Katapult MV, Patrick Hinz, mit, dass sich die Vorfälle seit Februar 2023 ereignet hätten. Grund sei die Annahme in rechtsextremen Kreisen, dass nicht eine Lagerhalle, sondern eine Unterkunft für Flüchtlinge gebaut werde. Eine Unterbringung von Geflüchteten auf dem Verlagsgelände sei zwar zeitweise diskutiert, letztlich aber verworfen worden.

An den Einschüchterungsversuchen beteiligte sich Fredrich zufolge auch der ehemalige AfD-Politiker Thomas Kerl, der der »Querdenken«-Bewegung zuzurechnen sei. Demnach tauchte Kerl unangemeldet im Verlagshaus auf und versuchte Mitarbeitende von Katapult »zu überreden, dass wir kein Geflüchtetenheim bauen sollen«.

Die Gewalt gegen alle, die nicht ins rechte Weltbild passen, werde perspektivisch zunehmen, so Robert Schiedewitz von der Opferberatung für Betroffene rechter Gewalt.

Stets zur ungefähr gleichen Zeit sei »fast jede zweite Nacht ein Ei auf die Windschutzscheibe« von Fredrichs Auto geworfen worden – an seiner Privatadresse. In Fredrichs Bericht heißt es weiter, es sei »mittlerweile Normalität«, dass Mitarbeiter von Katapult bei der Berichterstattung von Demonstrationen verfolgt und bedroht werden würden und sie ihre Autos weiter entfernt parken und ihre Identität geheim halten müssten. Dies alles sei der Versuch, kritischen Journalismus in Mecklenburg-Vorpommern zu verhindern.

»Wie nie zuvor merken wir derzeit, dass die Rechten stärker und selbstbewusster werden, dass sie uns einschüchtern wollen – und es tatsächlich auch klappt«, schreibt Fredrich. Er appelliert an die Zivilgesellschaft, sich zu engagieren und »sich gegen den deutlich spürbaren Rechtsruck zu stellen«. Man suche derzeit Menschen, an die man sich wenden könne, »wenn die Nazis bei uns vor der Tür stehen« oder »wenn sie unsere Bauarbeiter bedrohen und wenn unsere Mitarbeitenden Hilfe brauchen«.

Solche Erfahrungsberichte seien »besorgniserregend, doch leider nur die Spitze des Eisbergs«, sagt der Pressesprecher der Landesweiten Opferberatung Beistand und Information für Betroffene rechter Gewalt in Mecklenburg-Vorpommern e. V. (Lobbi), Robert Schiedewitz, im Gespräch mit der Jungle World. Insbesondere in den ländlichen Regionen, in denen die Neonazi-Szene ihre Dominanz auszuüben versuche, »sind diejenigen, die dagegenhalten und weniger laut und wehrhaft sein können, den Rechten nicht selten völlig ausgeliefert«.

Die Schilderungen der Journalisten unterstrichen aus seiner Sicht, »dass das Selbstbewusstsein der Szene merklich zunimmt«. Das bedeute immer auch, dass die Gewalt gegen alle, die nicht ins rechte Weltbild passen, per­spektivisch zunehmen werde. Für die von rechter Gewalt Bedrohten bedeute dies schlichtweg eine größere Gefährdung und eine dringende Notwendigkeit breiter solidarischer Bündnisse. Bereits für das Jahr 2022 registrierte die Lobbi mit 114 Angriffen eine erhebliche Zunahme rechter Gewalt in Mecklenburg-Vorpommern im Vergleich zu den Vorjahren. Für 2023 geht die Opferberatung von einer weiteren Zunahme aus.

Im vergangenen Jahr wurden in Mecklenburg-Vorpommern so viele Schutzsuchende aufgenommen wie noch nie. Aus aktuellen Zahlen des Schweriner Innenministeriums geht hervor, dass Mitte Dezember 24.944 ukrainische Kriegsflüchtlinge im Bundesland gemeldet waren. Die Zahl der Asylbewerber belief sich auf 8.951 Menschen. Somit hat Mecklenburg-Vorpommern 33.895 Personen aufgenommen; im Jahr 2015 waren es etwa 24.000. Die Unterbringung und Versorgung überlastet viele Kommunen, vor allem die Suche nach neuen Unterkünften gestaltet sich äußerst schwierig. Seit Jahresbeginn hat sich die Zahl der Gemeinschaftsunterkünfte von 29 auf 50 erhöht.

Die verstärkte Tändelei der Christdemokraten mit der AfD beziehungsweise der Versuch einer inhaltlichen Annäherung an deren Positionen stärke letztlich nur die Rechtspopulisten, sagte Robert Schiedewitz.

Die Situation führt zu Auseinandersetzungen in der Lokalpolitik. Bei einer Kreistagssitzung im Landkreis Rostock wurde jüngst ein Antrag abgelehnt, den Mietvertrag einer Unterkunft in Graal-Müritz zu verlängern. Die CDU-Fraktion wollte dem nur unter der Bedingung zustimmen, dass Landrat Sebastian Constien (SPD) sich bei Land und Bund gegen eine weitere Zuweisung von Asylsuchenden ausspricht. Die AfD schloss sich dem Antrag an. Zwar stimmten die Kreistagsabgeordneten mehrheitlich für diese Ergänzung zum ursprünglichen Antrag um die Verlängerung des Mietvertrags. Danach lehnten sie aber mehrheitlich den gesamten Antrag mit den ergänzten Punkten ab.

Solche politischen Spielchen bei der Unterbringung Geflüchteter sprächen, so der Opferberater Schiedewitz, »eine Sprache der Plan- und Verantwortungslosigkeit, die rechten Hetzern in die Karten spielt«. Die verstärkte Tändelei der Christdemokraten mit der AfD beziehungsweise der Versuch einer inhaltlichen Annäherung an deren Positionen stärke letztlich nur die Rechtspopulisten. Die Leidtragenden seien jene Menschen, die, aus welchen Gründen auch immer, Schutz suchen.

Ende Dezember kam es zudem zu einem ungewöhnlichen Großaufgebot der Polizei, das für einige Kritik sorgte. Am 20. Dezember sollten in Schwerin zwei junge Afghanen im Alter von 18 beziehungsweise 22 Jahren abgeschoben werden. Die beiden befanden sich im Kirchenasyl. Dietlind Jochims, die Flüchtlingsbeauftragte der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland, äußerte Kritik. Im Gespräch mit dem NDR zeigte sie sich besorgt. Von der Ausländerbehörde erwarte sie, dass sie den vom Staat bekundeten Respekt vor Kirchenasyl einhalte. Der Flüchtlingsrat Mecklenburg-Vorpommern klagte: »Das allererste Mal wurde in Mecklenburg-Vorpommern die rote Linie überschritten und durch Polizei ein Kirchenasyl gebrochen.« Für Geflüchtete, die in Deutschland Schutz suchen, sei dies ein erschreckendes Signal: »Nicht einmal zu Weihnachten dürfen sie sich sicher fühlen.«