In Mecklenburg-Vorpommern ist der Rechtsextremismus tief verankert

Tief verwurzelt

Eine Anschlagsdrohung gegen ein linkes Zentrum, Nazi-Parolen auf einer Dorffeier, Lokalpolitiker, die sich mit Nazis arrangieren, und die AfD als stärkste Partei: Die vergangenen Wochen haben gezeigt, wie tief der Rechts­­extremismus in Mecklenburg-Vorpommern inzwischen verankert ist.

Die Drum-and-Bass-Party musste ausfallen. Ende November richtete sich das linke Kulturzentrum »Komplex« in Schwerin an die Öffentlichkeit. Mit »Bedrohung eines alternativen Freiraums durch Neonazis« war die Pressemitteilung überschrieben. In einem Drohbrief an das Kulturzentrum sei ein Anschlag angekündigt worden, die Party müsse deshalb abgesagt werden. Der Absender sei nicht bekannt, »Inhalte des Schreibens weisen jedoch auf eine Verortung im extrem rechten Spek­trum hin«.

Das »Komplex« ist seit vielen Jahren die einzige alternative Kulturstätte in der Landeshauptstadt Mecklenburg-Vorpommerns. »Orte wie das ›Komplex‹ sind auch als Schutzräume vor Neonazi-Gewalt in den neunziger und nuller Jahren entstanden«, berichtet Robert Schiedewitz von Lobbi, der landesweiten Opferberatung für Betroffene rechter Gewalt, der Jungle World. Das Kulturzentrum diene als Treffpunkt zur Vernetzung und Organisierung für Menschen, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren.

»Es macht einen erheblichen Unterschied, ob es solche Orte gibt oder nicht«, so Schiedewitz weiter. Eine solche Anschlagsdrohung richte sich nicht nur an die »unmittelbar Betroffenen«, sondern solle auch darüber hinaus »ein breites Gefühl der Unsicherheit« erzeugen: »Wenn du da hingehst, bist du in Gefahr. Wenn du dich engagierst, bekommst du Probleme.«

»Es gibt in Mecklenburg-Vorpommern Landstriche, in denen von einer rechten Hegemonie aus­gegangen werden muss.« Robert Schiedewitz, Beratungsverein Lobbi

Vor drei Monaten sei an der Hauswand des »Komplex« die Aufschrift »Das Haus muss fallen« entdeckt worden, kurz darauf ein Hakenkreuz auf einer Toilettenwand, berichtete das Zen­trum in der erwähnten Pressemitteilung. Den Neonazis und der organisierten Rechten gehe es darum, die Öffentlichkeit zu dominieren – »im Zweifel mit Einschüchterung und Gewalt«, sagt Schiedewitz.

In weiten Teilen des Bundeslands sind solche Methoden kaum mehr nötig. Die Neonazi-Szene ist auf dem flachen Land derart fest verankert, dass kommunale Verantwortliche das Problem nicht mehr wie früher ignorieren oder kleinreden, sondern längst zur Integration der Nazis übergegangen sind.

Ein aktuelles Beispiel ist die öffentliche Vorstellung einer Festschrift zum 750jährigen Bestehen der Kleinstadt Lassan durch den Bürgermeister Fred Gransow (CDU) am 1. Dezember. Bei der Veranstaltung war das »Festkomitee für das 750. Stadtjubiläum« zugegen, berichtete der Nordkurier. Dazu gehört Christian Hilse – ein ehemaliger Kader der NPD (die inzwischen in »Die Heimat« umbenannt wurde) und langjähriger Nazi-Aktivist. Er posierte gemeinsam mit Gransow und drei weiteren Mitgliedern für ein Foto, das im Nordkurier veröffentlicht wurde – ohne Hilses politischen Hintergrund zu erwähnen.

Besonders pikant: Die Festschrift wird von einem Grußwort der Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) eingeleitet – während im Impressum Hilse als Redakteur eingetragen ist. Das berichtete vergangene Woche der NDR; die Staatskanzlei teilte dem Sender mit, der Ministerpräsidentin konnte nicht »bekannt sein, dass ein Rechtsextremer Mitglied des Redaktionsteams der Festschrift war.«

Lassan, mit etwa 1.500 Einwohnern die drittkleinste Stadt im Land Mecklenburg-Vorpommern, war bereits im September in die Schlagzeilen geraten, weil auf dem dortigen Parkfest eine Band mit Verbindungen in die rechtsextreme Szene aufgetreten war, die Biertrinkaz. Die Musiker hatten vor dem Auftritt ihre Titelliste den Behörden vorlegen müssen, zwei Songs strichen die Beamten des Staatsschutzes.

»Dieser Auftakt ist gelungen«, bilanzierte die Ostsee-Zeitung später das Fest und zitierte Christian Hilse »von den Lassaner Bierfreunden, der zusammen mit Susann Martens vom Grundschulförderverein ›Lassaner Sprösslinge‹ die Strippen zog«, mit den stolzen Worten: »Alles ist selbst organisiert.« Unter den rund 350 Gästen seien etwa 250 Personen aus der rechten Szene gewesen, informierte die Polizei nachher.

»Es gibt in Mecklenburg-Vorpommern Landstriche, in denen von einer rechten Hegemonie ausgegangen werden muss, die sich über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte etablieren konnte«, beschreibt Schiedewitz die Situation. Dagegen werde kaum etwas getan, meint er, ob wegen »fehlender Rückendeckung, im Weg stehenden Eigeninteressen oder gar offenen Sympathien«.

Als im Oktober auf einem Erntefest in dem Ort Bergholz zu dem Hit »L’Amour Toujours« von Gigi D’Agostino die versammelte Menge »Deutschland den Deutschen, Ausländer raus« grölte und mehrere Personen den rechten Arm zum Hitlergruß erhoben, ging das Video auf mehreren sozialen Medien viral.

Überregionale Aufmerksamkeit erfährt der Rechtsextremismus im Bundesland nur noch als Meme. Als im Oktober auf einem Erntefest in dem Ort Bergholz zu dem Hit »L’Amour Toujours« von Gigi D’Agostino die versammelte Menge »Deutschland den Deutschen, Ausländer raus« grölte und mehrere Personen den rechten Arm zum Hitlergruß erhoben, ging das Video auf mehreren sozialen Medien viral. Mittendrin in der grölenden Menge findet sich ein Typ mit Brille und weißem Sweatshirt mit aufgedrucktem Preußenadler, offenbar der Sohn des Pasewal­ker Bürgermeisters Danny Rodewald (parteilos) – das berichteten mehrere Medien.

»Ich distanziere mich von dem Video und auch vom Inhalt«, sagte Rodewald dem Nordkurier und ging umgehend in die Offensive: Egal, wo es solche Vorkommnisse gebe, der fragliche Ort gerate schnell in Verruf, beklagte er sich prophylaktisch. Gerade auch für die weitere Entwicklung Pasewalks, insbesondere was die Ansiedlung von Industrie anbelange, sei dies alles nicht gerade förderlich. Eine über die erste Empörung hinausgehende Reaktion gab es nicht, weder in Mecklenburg-Vorpommern noch sonst irgendwo.

»Regionale Medien, die nicht die richtigen Fragen stellen, sind ebenso Teil des Problems wie Verantwortungsträger, die sich mehr um das Image Ihres Dorfes, Vereins, Events oder die nächste Wahl sorgen, als offen rechte oder rassistische Umtriebe klar zu benennen«, meint Schiedewitz.

Währenddessen sucht der Landesverband der AfD den Kontakt zum außerparlamentarischen Rechtsextremismus. In einem Podcast besprach kürzlich der Fraktionsvorsitzende der AfD im Landtag, Nikolaus Kramer, mit dem ehemaligen Anführer der rechtsextremen Identitären Bewegung Österreich, Martin Sellner, wie ein »Regime Change von rechts« gelingen könnte. Sellner bezeichnete darin die Bundesrepublik Deutschland als »Demokratiesimulation« und verbreitete die rechtsextreme Verschwörungserzählung von einem »Bevölkerungsaustausch«. Er kritisiert das Verbot neonationalsozialistischer Organisationen wie der Hammerskins als »staatliche Repression«. Kramer sagte, die Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hole mit der Maßnahme zu einem »Rundumschlag« aus. In den jüngsten Umfragen zur Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern erreicht die AfD 32 Prozent, womit sie stärkste Partei wäre. Die SPD landet mit 23 Prozent auf dem zweiten Platz.

Das Fazit des Opferberaters Schiedewitz über die Situation in Mecklenburg-Vorpommern ist düster: »Wenn Gemeinden, Landkreise und Land sich nicht gemeinsam eingestehen, hier viel zu lange zugeschaut zu haben, und die wenigen verbliebenen Engagierten nicht gestärkt werden, statt sie als Nestbeschmutzer in die Städte oder außer Landes zu treiben, dann werden viele weitere böse Erwachen folgen.« 28 Gewaltdelikte gegen Flüchtlinge habe es bis Ende Oktober in diesem Jahr gegeben, teilt das Landeskriminalamt Mecklenburg-Vorpommern auf Anfrage mit; das sind fünf mehr als im selben Zeitraum im Vorjahr.