Die russische Präsidentschaftswahl soll im März stattfinden, auch in den annektierten ukrainischen Gebieten

Putin lässt wählen

Im März soll in Russland und in den von Russland annektierten ­ukrainischen Gebieten die Präsidentschaftswahl stattfinden. An einer weiteren Amtszeit Wladimir Putins bestehen kaum Zweifel.

Nun ist es amtlich: Vom 15. bis 17. März 2024 soll in Russland und den im Zuge des laufenden Angriffskriegs gegen die Ukraine besetzten Gebieten die Präsidentschaftswahl stattfinden. Sie wird wohl Wladimir Putins fünfte Amtszeit einläuten, die 2020 geänderte russische Verfassung erlaubt ihm sogar noch eine sechste bis 2036. Bis dahin kann noch viel passieren, während die Zeit bis Frühjahr keine großen Überraschungen verspricht. Seine Kandidatur gab Putin am Freitag voriger Woche im Kreml bekannt, im Beisein des Armee­helden der »Donezker Volksrepublik«, Artjom Schoga, der Mütter weiterer sogenannter Helden Russlands, einer Reihe staatsloyaler Ärzt:innen und sonstigen Fußvolks.

Damit erklärt sich das Wahlprogramm des Präsidenten wie von selbst. Wer die Botschaft trotzdem nicht verstanden hat, dem hilft der kremlnahe Politologe Sergej Markow nach: Putin kandidiere nicht auf die Bitte einfacher Armeeangehöriger oder Helden hin, sondern kam Schoga entgegen, der aus Slowjansk stammt, also der Stadt in der Ostukraine, wo die bewaffneten Auseinandersetzungen 2014 begonnen hatten – und die sich weiterhin unter ukrainischer Kontrolle befindet. Putin, so Markow in seinem Telegram-Kanal, habe sich verpflichtet, Schogas Heimat, den gesamten Donbass, Russland einzuverleiben.

Anders ausgedrückt – mit Putin dürfte es keine Kompromisse und damit auch keinen Frieden geben. Da die ukrainische Gegenoffensive weitgehend gescheitert ist und die Regierung in Kiew bei ihren westlichen Partnern weitaus mehr Waffen und Munition anfordert, als geliefert werden, scheint sich der russische Präsident nicht ganz unbegründet Hoffnung auf künftige militärische Geländegewinne zu machen.

Nun, da der Wahltermin feststeht, schlägt auch wieder die Stunde von Aleksej Nawalnyj.

Auf Teile der russischen Opposition wirkt diese Entwicklung ernüchternd. Im November hatte der in London lebende russische Geschäftsmann und Milliardär Jewgenij Tschitschwarkin, der nicht nur oppositionelle Gruppen in Russland, sondern auch die ukrainischen Streitkräfte finanziell unterstützt, mit einem Meinungsbeitrag für die Zeitung Moscow Times eine Debatte ausgelöst. Sein Fazit: »Lasst uns einfach festhalten: Wir haben verloren.« Der Westen habe alles für Putins Sieg getan, indem er Hürden errichtet habe, die Menschen und Finanzmittel in Russland hielten, und gleichzeitig füttere er das Land weiterhin mit Geldern durch den Kauf von Gas und Öl. Der ebenfalls in London ansässige ehemalige Oligarch Michail Chodorkowskij widersprach Tschitschwarkin insofern, als er einräumte, dass Putin zwar vorerst weiter an der Macht bleibe, die durch seine Politik verursachten Schäden hingegen eklatant anstiegen.

Bei der medialen Selbstdarstellung läuft es für Putin derzeit verhältnismäßig rund. Auslandsreisen nach China und in die Vereinigten Arabischen Emirate wirkten dem Eindruck entgegen, dass der russische Präsident ein zwar mächtiger, international jedoch wenn nicht völlig isolierter, so doch in seinem Handlungsspielraum eingeschränkter Staatsführer sei.

Die russische Wirtschaft ist indes von einem Zusammenbruch weit entfernt. Doch Wähler:innen achten vorzugsweise auf den eigenen Konsum, die Teuerungsraten und weitere sie unmittelbare betreffende Vorkommnisse. In den vergangenen Tagen schlug vor allem der Preisanstieg bei Eiern hohe Wellen. Nach Angaben der Statistik­behörde Rosstat liegt die Teuerungsrate für Eier seit Dezember vergangenen Jahres im Schnitt über 36 Prozent, in einigen Regionen verteuerten sich Eier im November im Vergleich zum Vormonat um 28,6 Prozent. Das rief die Antimonopolbehörde auf den Plan, die Ende November an Handelsketten mit dem Vorschlag herantrat, den Preisanstieg bei Eiern bis März 2024, also bis zur Präsidentschaftswahl, auf fünf Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum zu beschränken. Außerdem soll die Menge der in Russland angebotenen Eier um Importe aus der Türkei aufgestockt werden.

Auch sich auffallend häufende Mitteilungen über technische Zwischenfälle in der Zivilluftfahrt wirken beunruhigend, handelt es sich dabei doch um eine direkte Folge westlicher Sanktionen. Da Originalersatzteile für Flugzeuge nicht importiert werden dürfen, liegt ein Teil der Flotte der Fluggesellschaften lahm oder wird durch Improvisation am Laufen gehalten.

Nun, da der Wahltermin feststeht, schlägt auch wieder die Stunde von Aleksej Nawalnyj. Vergangene Woche gab das Team des zu einer hohen Haftstrafe verurteilten Oppositionellen die Wahltaktik für 2024 bekannt: Am 17. März sollten so viele Menschen wie möglich ihre Stimme gegen Putin ab­geben, indem sie ihr Kreuz egal bei welchen anderen Kandidaten setzen. Wer die Wahlteilnahme für sinnlos erachtet, solle wenigstens die Zeit bis dahin nutzen, um gegen Putin zu agitieren. Über eine Website verbreitet Nawalnyjs Antikorruptionsfonds diverse Handlungsanleitungen und sucht nach Freiwilligen, um tagtäglich Zehntausend Telefonanrufe zu tätigen und Zweifel unter Unentschlossenen zu säen.

So manche Wahlberechtigte werden sich die Frage stellen, wem sie ihre Stimme zu geben bereit sind, sollte es keine Kandidat:innen geben, die zumindest eine Beendigung des Kriegs in der Ukraine befürworten.

Teile der russischen Opposition, so auch Michail Chodorkowskij oder der populäre Youtuber Maxim Katz, begrüßten Nawalnyjs Initiative. So manche Wahlberechtigte werden sich allerdings die Frage stellen, wem sie ihre Stimme zu geben bereit sind, sollte es keine Kandidat:innen geben, die zumindest eine Beendigung des Kriegs in der Ukraine befürworten.

Die fordert Jekaterina Dunzowa, ehemalige Stadtratsabgeordnete von Rschew, Oblast Twer, unzweideutig. Bereits Mitte November kündigte sie an, bei der Wahl kandidieren zu wollen. Prompt erhielt sie eine Vorladung zur Staatsanwaltschaft. Realistische Chancen auf eine Zulassung hat sie kaum.

Grigorij Jawlinskij, einer der Gründer der liberalen Partei Jabloko, die nicht mehr in der Duma vertreten ist, darf sich zumindest theoretisch weitaus mehr Hoffnungen machen. Bei seinem persönlichen Treffen mit Putin Ende Oktober sei die Wahl jedoch kein Thema gewesen, teilte der Politiker mit. Jawlinskij, Urgestein der russischen Liberalen und vehementer Kritiker von Nawalnyj, befürwortet einen schnellstmöglichen Waffenstillstand.

Eine Kandidatur setzt unter anderem voraus, dass es dem Bewerber oder der Bewerberin gelingt, 300.000 Unterschriften von Unterstützern zu sammeln. Befreit von diesem aufwendigen Verfahren sind lediglich Kandi­dat:in­nen im Parlament vertretener Parteien.