Pilze sind aus der Entwicklung der Menschheit nicht wegzudenken

Ohne Pilz kein Pils

Die Menschheit hat den Pilzen viel zu verdanken und kann noch viel von ihnen lernen.
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Es ist ein uralter Trick, aber er funktioniert immer noch. Die Hyphen (Pilzfäden) des Ophiocordyceps unilateralis dringen in eine Ameise ein und beeinflussen deren Nervensystem. Nach drei bis sechs Tagen beißt die »Zombie-Ameise« sich an einem für die Verbreitung des Pilzes geeigneten Blatt fest und stirbt. Sie bietet Ophiocordyceps unilateralis Nahrung, der Pilz bildet nun Fruchtkörper und Sporen aus, die auf ahnungslose Ameisen herabfallen. Diese Fortpflanzungsstrategie praktizierten Pilze den Forschungsergebnissen von David P. Hughes, Torsten Wappler und Conrad C. Labandeira zufolge schon vor 48 Millionen Jahren.

Der Trick funktioniert nur bei einigen wenigen Ameisenarten – soweit bekannt. Mehr als 90 Prozent der Pilzarten sind bislang nicht erforscht worden, es könnte also noch manch eine Überraschung geben. Wer nach verborgenen Mächten sucht, die uns manipulieren, sollte jedenfalls diese unterschätzte Lebensform nicht länger ignorieren. Sie haben unsere Körper längst befallen und infiltriert, zum Beispiel in Gestalt des Fuß- und Darmpilzes. Solche Kollateralschäden sollte man den Pilzen aber nicht übelnehmen, schon weil es uns ohne sie gar nicht gäbe. Pilze haben nämlich auch die Evolution manipuliert und vor 500 Millionen Jahren den Pflanzen den Übergang ans Land ermöglicht; nur deshalb konnten später Tiere dort gedeihen.

Unter ihnen der Homo sapiens, der sich zunächst mit dem Jagen und Sammeln begnügte. Zum wesentlich arbeitsaufwendigeren Ackerbau bequemten Menschen sich wohl vornehmlich wegen ökologischer Zwänge – Klimaveränderung und Überjagung. Etwas aber hatte ihnen zuvor gefehlt. Um sich zu berauschen, waren sie auf ein spärliches Angebot wildwachsender Pflanzen – und natürlich Pilze – angewiesen. Erst der Ackerbau ermöglichte es, Bier zu brauen – allerdings nur, weil es Saccharomyces cerevisiae (Hefepilze) gibt, die für die Gärung sorgen.

Es ist bemerkenswert, dass Ägypter:innen, Kelt:innen, Zulu und viele andere Gesellschaften Biergöttinnen verehrten und das babylonische Gilgamesch-Epos einen engen Zusammenhang zwischen Bier und Zivilisation postuliert.

Hätte sich die neue, so viel anstrengendere Lebensweise überhaupt halten können, wenn es tagein, tagaus immer nur fade Getreidesuppe gegeben hätte? Wissenschaftlich lässt sich diese Frage nicht eindeutig klären, doch ist bemerkenswert, dass Ägypter:innen, Kelt:innen, Zulu und viele andere Gesellschaften Biergöttinnen verehrten und das babylonische Gilgamesch-Epos einen engen Zusammenhang zwischen Bier und Zivilisation postuliert.

Der nun mehr oder weniger zivilisierte Homo sapiens beschäftigt sich derzeit viel mit Intelligenz, sei es künstlicher und solcher auf anderen Planeten. Zur Eitelkeit neigend, denkt er dabei aber zumeist am Kopien seiner selbst. Das ist ein Fehler. Im Erdreich erstreckt sich ein weitverzweigtes Netzwerk, ein »Wood Wide Web«, das Pilze untereinander und mit Pflanzen verbindet; es ermöglicht den Austausch von Substanzen und Informationen. Die Spannungsspitzen der elektrischen Impulse ähneln denen von Neuronen, die komplexen Signale der menschlichen Sprache, so die Forschungsergebnisse des Informatikers Andrew Adamatzky.

Das »Wood Wide Web« ist ein wirklich sehr, sehr weit verzweigtes Netzwerk, hintereinander gelegt würden alle Pilzfäden der Erde eine Länge von etwa 450 Billiarden Kilometern erreichen und somit die Hälfte der Galaxis durchmessen. Legte man hingegen die Gehirnzellen aller derzeit lebenden Menschen hintereinander, käme man auf bescheidene 800 Millionen Kilometer; das reicht nur bis zum Jupiter.

Gewiss, es kommt nicht nur auf die Länge an, Adamatzky zufolge bringen es selbst die eloquentesten Pilze – Gemeiner Spaltblättling und Puppen-Kernkeule – auf höchstens 50 »Wörter«. Bedenkt man aber, dass im »Wood Wide Web« hierarchiefreie Kommunikation und nachhaltiger Fair Trade – ein Substanzaustausch ohne Übervorteilung, der oft langfristig angelegt ist – ganz selbstverständlich stattfinden, sollte eine künstliche Intelligenz doch wohl eher nach diesem Vorbild gestaltet werden als nach dem von Elon Musk.

Romantisieren sollte man die Pilze allerdings nicht. Sie nutzen bedenkenlos andere Spezies für ihre Zwecke. Könnten sie so die für den Aufbau einer Zivilisation sehr hinderliche Immobilität kompensieren? Gibt es irgendwo da draußen womöglich einen Planeten, auf dem fremdgesteuerte Kreaturen im Dienste eines unterirdischen Hyphen-Netzwerks schuften? Das lässt sich mit den vorhandenen technischen Möglichkeiten leider nicht herausfinden, und ihrerseits wird eine solche Fungokratie wohl keinen Kontakt zu einer Spezies aufnehmen, die sie in Butter schmoren würde.