Nach 32 Jahren hat die Polizei den Mord an Samuel Yeboah aufgeklärt

Der Sumpf von Saarlouis

1991 wurde Samuel Yeboah durch einen Brandanschlag auf eine Flüchtlings­unterkunft in Saarlouis ermordet. Nun ist ein bekannter Nazi deswegen verurteilt worden. Der Prozess zeigte, wie gleichgültig die Polizei damals mit dem Fall umging. Etliche Brandanschläge aus der Zeit wurden nie aufgeklärt.

Es hat 32 Jahre gedauert, nun gab es endlich ein Urteil. Am 19. September 1991 wurde im saarländischen Saarlouis ein Brandanschlag auf eine Unterkunft für Geflüchtete verübt. 21 Menschen befanden sich in dem Gebäude, viele schliefen in den oberen Stockwerken. Samuel Kofi Yeboah konnte den Flammen nicht entkommen. Er erlitt schwere Verbrennungen und starb kurz darauf.

Am 9. Oktober wurde am Oberlandesgericht in Koblenz ein Urteil gesprochen: Sechs Jahre und zehn Monate Haft gab es für den 52jährigen Peter Werner Schröder (früher Schlappal). Der zur Tatzeit 20jährige wurde nach dem Jugendstrafrecht verurteilt, schuldig ­gesprochen wurde er des Mordes an Samuel Kofi Yeboah, zwölffachen versuchten Mordes und besonders schwerer Brandstiftung. Alle Prozessparteien – Verteidigung, Staatsanwaltschaft und Nebenklage – haben gegen das Urteil Revision eingelegt.

Die Ermittlungen waren 2019 wiederaufgenommen worden, nachdem sich eine Zeugin bei der Polizei gemeldet hatte. Sie sagte aus, der Täter habe sich vor ihr bei einer Grillfeier mit der Tat gebrüstet: »Das war ich, und sie haben mich nie erwischt.«

Der Staatsschutz ermittelte, und schnell tat sich in Saarlouis ein Sumpf auf. Die lokale Nazi-Szene reagierte verdächtig panisch und es zeigte sich, dass die Polizei in den neunziger Jahren bestenfalls schlampig ermittelt hatte. Die Sache ging an die Generalbundesanwaltschaft. Im November 2022 begann der Prozess am Oberlandesgericht. Der Koblenzer Staatsschutzsenat ging diesmal akribisch vor. In einem aufwendigen Verfahren wurden rund 90 Zeu­g:in­nen vorgeladen, viele davon aus der Nazi-Szene, dazu Poli­zist:innen, Betroffene, An­wohner:innen, Feuerwehrleute, Sozial­arbeiter:innen und Sachverständige.

Die Antifa Saar listet in einer Dokumentation allein für die Jahre 1990 bis 1992 über 20 Brand- und Bombenanschläge in der Region um Saarlouis auf, von denen kaum einer aufgeklärt wurde.

In 48 Verhandlungstagen hörte sich der Senat oftmals kopfschüttelnd an, wie Zeug:innen aus der Nazi-Szene offenbar falsche oder fragwürdige Aus­sagen machten und ehemalige Ermittler sich an nichts mehr erinnern konnten. Vor Gericht wurden die schmalen Ermittlungsakten von damals untersucht. Es zeigte sich, dass Aussagen zum Teil gar nicht oder mit rassistischer Schlagseite protokolliert worden waren. Alibis waren nicht überprüft, wichtige Zeug:innen nicht vernommen worden. Die Ermittlungen in der Nazi-Szene waren im September 1991 nach nur acht Tagen eingestellt worden. Kein Wunder, dass bei der Beweisaufnahme auch Recherchen der Antifa Saar herangezogen wurden.

Der nun verurteilte Täter kommt aus der Nazi-Skin-Szene und ist aus Antifa-Recherchen schon lange bekannt. Während der Verhandlung schwieg er und wirkte starr und teilnahmslos. Erst als sich im Frühjahr abzeichnete, dass er verurteilt werden würde, ließ er über seinen Ver­teidiger eine Erklärung verlesen. In diesem »Geständnis« gab er zu, bei der Brandlegung dabei gewesen zu sein, die Hauptschuld schob er aber einem anderen in die Schuhe, einem einstigen Kameraden, der schon in den neunziger Jahren nicht mehr Teil der Szene war. Seinen langjährigen Freund Peter St., mit dem er sich am Abend der Tat betrunken hatte und der als Führungsfigur der saarländischen Nazi-Szene galt, entlastete er hingegen. Seit Juni sitzt auch St. wegen des Verdachts auf Beihilfe zum Mord an Samuel Yeboah in Untersuchungshaft.

Wegen damaliger Unreife und Alkoholisierung verurteilte das Gericht Peter Schröder nach Jugendstrafrecht, das bis zu zehn Jahren Haft zulässt. Er muss die gesamten Kosten des Verfahrens, auch die der Nebenkläger, tragen und bleibt in Haft. Das Urteil des Koblenzer Senats betont in der Urteilsbegründung die rechtsextreme Gesinnung des ­Täters. Er habe heimtückisch, mit gemeingefährlichen Mitteln und aus ­einem besonders verachtenswerten Motiv getötet. Vor allem aber wird auf das Leid hingewiesen, das er den Opfern zugefügt hat.

Acht Opfer des Brandanschlags waren als Nebenkläger am Prozess beteiligt. Zum Zeitpunkt des Anschlags schliefen zwölf Bewohner in den oberen Stockwerken, acht Menschen befanden sich auf einer kleinen Geburtstagsfeier im Erdgeschoss. Vor Gericht schilderten einige von ihnen, teilweise unter Tränen, den Horror der Brandnacht: wie sich das Feuer mit rasender Geschwindigkeit in dem Gebäude ausbreitete, wie sie Yeboahs Schreie aus dem Obergeschoss hörten, ihm aber nicht helfen konnten, wie sie aus den Fenstern sprangen und vor dem Haus, teilweise schwer verletzt, mitansehen mussten, wie Yeboah bis zur Unkenntlichkeit verbrannt, aber noch lebend, schließlich von der Feuerwehr aus den Flammen geholt wurde. Er verstarb in den Morgenstunden qualvoll an seinen schweren Verbrennungen.

Die Bewohner:innen wurden damals mit ihren Traumata im Stich gelassen, niemand kümmerte sich um sie. Einige wurden abgeschoben, andere wurden kurze Zeit danach erneut Opfer eines Brandanschlags. Die Aussagen der Betroffenen zeigten eindrücklich, wie sehr der Anschlag ihr ganzes Leben beschädigte.

Dass jetzt im Urteil nur von zwölf­fachem versuchtem Mord die Rede ist, da die acht Be­suche­r:in­nen der Geburtstagsfeier zum Tatzeitpunkt nicht schliefen und daher davon auszugehen war, dass sie sich würden retten können, ändert zwar nichts am Strafmaß, ist aber für die Betroffenen nur schwer hinzunehmen. Der Nebenklageanwalt Björn Elberling, der mehrere dieser Betroffenen vertritt, sagte der Jungle World: »Ich bin irritiert, dass das Gericht Gedanken über eine Rettungsmöglichkeit bestimmter Personen in den Angeklagten hineindenkt, für die die Beweisaufnahme keine relevanten Anhaltspunkte erbracht hat.« Für ihn stehe fest: »Der Angeklagte hat es gezielt darauf angelegt, so viele Bewohner der Unterkunft wie möglich zu töten.«

Die Generalbundesanwaltschaft hatte neun Jahre und sechs Monate gefordert, also fast die höchste mögliche Jugendstrafe. In ihrer Begründung nahm sie Bezug auf die Pogromstimmung in den neunziger Jahren. Die habe der Täter habe mit seinem Brandanschlag weiter verstärken wollen. Auch falle schwer ins Gewicht, dass er stolz auf seine Tat war und sich damit brüstete – und dass seine Gesinnung bis heute rechtsextrem geblieben ist.

Die Vernehmung der teilweise recht redseligen Zeugen aus der Nazi-Szene zeigten ein erschreckendes Bild. In der Szene wurden Brandanschläge begrüßt und gefeiert, Samuel Yeboah wurde noch Jahre später als Opfer verspottet, die Saarlouiser Nazi-Skins wurden als »Mordbrenner« bezeichnet. Von der Polizei waren die Skins bei den damaligen Ermittlungen freundlich geduzt worden, einem soll bei der Vernehmung sogar ein Bier angeboten worden sein.

Das passt ins Bild: Die Antifa Saar listet in einer Dokumentation allein für die Jahre 1990 bis 1992 eine unfassbare Serie von über 20 Brand- und Bombenanschlägen in der Region um Saarlouis auf, von denen kaum einer aufgeklärt wurde. Die Untätigkeit der ermittelnden Behörden im Fall Yeboah, die fragwürdige Rolle des Verfassungsschutzes, das Wegschauen der politisch Verantwortlichen, kurz: das saarländische Staatsversagen soll nun in ­einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss im Saarländischen Landtag aufgearbeitet werden.

Es war ein rassistischer Brandanschlag, begangen von organisierten und militanten Naziskins, er war getragen von ­einer pogromartigen Stimmung in der deutschen Bevölkerung und wurde durch Verleugnen und Verharmlosen der damaligen Behörden gedeckt.

Der saarländische Polizeipräsident Norbert Rupp entschuldigte sich bereits für »Versäumnisse und Defizite« der damaligen Ermittlungen, Ministerpräsidentin Anke Rehlinger (SPD) entschuldigte sich bei den Opfern, ein Entschädigungsfonds für Opfer rassistischer Gewalt ist beschlossen. Das Urteil des Koblenzer Senats spricht allerdings die schlechte Polizeiarbeit der neun­ziger Jahre von Verantwortung frei. Deren Pannen seien nicht entscheidend gewesen für das Scheitern der Aufklärung, sondern dass die Nazis damals dichtgehalten hätten.

Dennoch: Nach über 30 Jahren wurde jetzt bewiesen, was antifaschistische Gruppen wie die Antifa Saar/Projekt AK, der saarländische Flüchtlingsrat und die Aktion 3. Welt Saar in gemeinsamen Bündnissen und Kampagnen seit den neunziger Jahren anprangerten: Es war ein rassistischer Brandanschlag, begangen von organisierten und militanten Naziskins, er war getragen von ­einer pogromartigen Stimmung in der deutschen Bevölkerung und wurde durch Verleugnen und Verharmlosen der damaligen Behörden gedeckt.

Somit könnte der Prozess den Opfern rassistischer Gewalt immerhin si­­gnalisieren, dass doch noch ein Funken Hoffnung auf späte Gerechtigkeit besteht. Sarah Jost von der Antifa Saar/Projekt AK sagte der Jungle World: »Wir begrüßen die Aufarbeitung, sie kommt aber 30 Jahre zu spät. In 30 Jahren konnten die Täter und ihr Umfeld von staatlicher Seite weitgehend unbehelligt leben, ihren rassistischen Terror ausüben und neonazistische Strukturen und Organisierung weiter ausbauen.«

Wenn jetzt im Zuge des Verbots der Hammerskins die unweit von Saarlouis betriebene »Hate Bar« dichtgemacht werde, seien die Nazi-Kader trotzdem noch da und würden weitermachen, so Jost weiter. »Für uns ist das deshalb auch ein Signal, weiter die antifaschistische Recherche, Aufklärung und den Selbstschutz zu organisieren, da auf den Staat kein Verlass ist.« Die Aufklärung der saarländischen Zustände in den neunziger Jahren hat erst spät an Fahrt aufgenommen – es bleibt noch viel zu tun.