Die Reaktionen von Antifa-Gruppen auf jüngste Verbote von Nazi-Organisationen

Zwei Scheißvereine weniger

Kürzlich wurden zwei bedeutende Nazi-Organisationen verboten – die Hammerskins und die »Artgemeinschaft«. Andere ähnliche Gruppen lösten sich anschließend auf. Antifaschistische Gruppen bewerten die Verbote jedoch ambivalent.

Gleich zwei wichtige Nazi-Organisationen wurden im September verboten. Zuerst verordnete die Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) Mitte September das Verbot der Hammerskins Deutschland, einschließlich ­aller re­gionalen Chapter und der Unterstützerorganisation Crew 38. Die ­Hammerskins verstehen sich als elitäre »Bruderschaft«, sie sind international vernetzt und straff organisiert. Insgesamt gehen die Sicherheitsbehörden bundesweit von etwa 120 Anhängern in 13 regionalen Chaptern aus. Der erste deutsche Ableger der Hammerskins wurde 1992 gegründet. Die Gruppe spielte eine wichtige Rolle in der rechtsextremen Musikszene. Sie organisierte klandestine Konzerte und handelte mit illegalen CDs.

Hunderte Einsatzkräfte durchsuchten die Wohnungen von 28 Vereinsmitgliedern in zehn Bundesländern. Dabei wurden laut Bild-Zeitung »Gewehre, Pistolen und ganz viel rechtsextremer Schrott« beschlagnahmt. Allein im Bundesland Mecklenburg-Vorpommern soll es sich um fast 7,5 Tonnen verbotenes Material handeln. »Das Verbot der Hammerskins Deutschland ist ein harter Schlag gegen den organisierten Rechtsextremismus« und ein »klares Signal gegen Rassismus und Antisemitismus«, sagte Faeser nach der Razzia.

Nach einem Verbot gebe es zwar »einen Scheißverein weniger«, sagt Dissens – Antifa Erfurt, doch irgendwann »sitzt die­selbe Schlägerbande unter einem anderen Namen wieder beisammen«.

Knapp eine Woche später sendete das Bundesministerium des Inneren und für Heimat ein weiteres »Signal«. Ende September wurde die rechtsextreme Vereinigung »Die Artgemeinschaft – Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung« verboten – einschließlich aller Teilorganisationen wie den sogenannten ­Gefährtschaften, Gilden, Freundeskreisen und dem eingetragenen Verein Familienwerk. Diesmal durchsuchten die Ordnungsbehörden rund 26 Wohnungen von 39 Vereinsmitgliedern ­sowie Räumlichkeiten des Vereins in zwölf Bundesländern. Die oft als ­sektenartig beschriebene Organisation propagierte ein »nordisch-germanisches Heidentum«. Gegründet wurde sie bereits 1951. Obwohl sie zuletzt nur rund 150 Mitglieder zählte, galt die Artgemeinschaft mit ihren weitverzweigten personellen Verflechtungen und Verbindungen innerhalb der rechts­extremen Szene als ein wichtiges organisatorisches Bindeglied.

Antifaschistische Organisationen reagierten jedoch ambivalent auf die beiden kurz aufeinanderfolgenden Verbotsverfügungen. »Wir begrüßen die Verbote der Hammerskins und der Artgemeinschaft als wichtige, längst überfällige Schritte«, sagte die Bundesvorsitzende der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN-BdA), Cornelia Kerth, der Jungle World. Doch solche Verbote hätten »nicht zwangsläufig eine nachhaltige Wirkung auf neofaschistische Strukturen«. Wichtiger sei auf Dauer angelegte antifaschistische Arbeit wie »antifaschistische Recherche, Aufklärung und Organisierung«.

Staatliche Verbote bedeuteten durchaus »eine organisationale sowie finanzielle Schwächung der Szene«, hebt die antifaschistische Gruppe Redical M aus Göttingen im Gespräch mit der Jungle World hervor. Die Mitglieder der ver­botenen Gruppen könnten derzeit »nicht wie gewohnt ihrem täglichen Geschäft nachgehen«. Positiv sei außerdem, »dass bei den Durchsuchungen gefundene Waffen eingezogen werden«. Antifaschistische Gruppen seien »momentan nicht in der Lage, Neonazis konsequent zu entwaffnen«.

Im Fall der Hammerskins deutet freilich einiges darauf hin, dass sich die Organisation auf das Verbot vorbereiten konnte. Drei Szeneversandgeschäfte aus dem Umfeld der Hammerskins wurden zum Beispiel schon 2019 an den Rechtsextremen Nils B. übertragen, der zwar zum ­engsten Vertrauenskreis der Gruppe gehört, aber offiziell kein Mitglied ist. Weder B. noch die Versandgeschäfte waren vom aktuellen Verbot und den Durchsuchungen betroffen, berichtete der MDR. Dasselbe ­gelte laut MDR für »weitere bundesweit wichtige Vertreter für die Wirtschafts- und Sicherheitsstruktur des konspirativen Neonazi-Bundes«.

Aus Sicht von Tina Simons, Pressesprecherin der Basisgruppe Antifaschismus aus Bremen, kommt das Verbot beider Organisationen »viel zu spät« – im Fall der Artgemeinschaft »sogar 70 Jahre zu spät«. Zwar sei aus ihrer Sicht »grundsätzlich alles, was Nazis und ihren Strukturen Schaden zufügt, richtig und nicht falsch«. Die Verbote seien jedoch »ein aktionistischer Ausdruck des hilflosen bürgerlichen Antifaschismus angesichts immer weiter steigender Zustimmung für die AfD«.

Der Staat versuche sich derzeit »im Sinne seiner eigenen Extremismus­theorie an den scheinbar radikalsten Rändern zu verteidigen«, meint Redical M. Die derzeitige Betriebsamkeit im Bundesinnenministerium ändere jedoch nichts an der »Faschisierung des deutschen Normalvollzugs«. Wer sich in Deutschland »aktiv gegen Neonazis und Menschenfeindlichkeit stellt, bekommt es selbst mit der Staatskeule zu tun«, kommentieren die linksradikalen Antifaschisten aus Göttingen das derzeitige Vorgehen der bundesrepub­likanischen Sicherheitsbehörden.

Auch Dissens, eine antifaschistische Gruppe aus Erfurt, ist der Ansicht, es sei kein Zufall, dass ausgerechnet »die zweite öffentliche Fahndung nach ­einem militanten Antifaschisten zwischen die beiden Verbote fällt«. Gemeint ist die Fahndung nach Johann G., dem Verlobten der inzwischen zu fünf Jahren und drei Monaten Haft verurteilten Antifaschistin Lina E. Die Staatsanwaltschaft wirft G. die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung und die Beteiligung an mehreren gewalttätigen Übergriffen vor. Für Hinweise sind 10 000 Euro Belohnung ausgesetzt.

Die Verbote der beiden Nazi-Organisationen haben offenbar dazu geführt, dass andere Nazis ihre Organisationen präventiv selbst auflösten. So etwa die »Arische Bruderschaft«, die von Thorsten Heise angeführt wurde, der im Bundesvorstand der Partei Die Heimat (vormals NPD) sitzt. Ebenfalls aufgelöst hat sich die Gruppe »Zusammenrücken in Mitteldeutschland«, die Rechtsextremen dabei half, sich im ländlichen Ostdeutschland anzusiedeln.

Tina Simons sieht darin den »Versuch, sich den juristischen Folgen eines Verbotes, der Strafverfolgung und dem Verlust von Vermögensgütern, Infrastruktur, Immobilien und Geld zu entziehen«, damit die Neonazis dann »weiter ihrem politischen Werk nach­gehen« könnten. Selbstauflösungen seien keineswegs mit der Einstellung der politischen Tätigkeiten zu verwechseln. Cornelia Kerth wertet die gerade stattfindende Auflösungswelle »als Abtauchen«. Die Gefahr, die von den weiterhin gut vernetzten Rechtsextremisten ausgeht, sei deshalb keineswegs kleiner geworden.

Die Erfahrungen der vergangenen Jahrzehnte bestätigen dies. »Die ­großen Verbotswellen in den neunziger Jahren haben gezeigt, dass die rechtsextreme Szene darin geübt ist, sich wieder neue Strukturen zuzulegen«, sagt Tina Simons. Die Antifaschistin geht davon aus, dass trotz Verbot oder Selbstauflösung »rasch neue Organisationsformen an die Stelle der ­alten treten werden«. Nach einem staatlichen Verbot gebe es zwar erst einmal »einen Scheißverein weniger«, sagt der Pressesprecher von Dissens – Antifa ­Erfurt der Jungle World, doch irgendwann »sitzt dieselbe Schlägerbande unter einem anderen Namen wieder beisammen«.