Arbeitslose und Anwälte in Belarus werden immer weiter eingeschüchtert

Strafe für Arbeitslose, Knast für Anwälte

Arbeitslose müssen in Belarus Strafabgaben zahlen. Anwälte, die Oppositionelle verteidigen, werden dort und in Russland eingeschüchtert. Kürzlich nahm die Polizei die Anwälte des Regimegegners Aleksej Nawalnyj fest.

Wer in Belarus unter die Kategorie »Nichtstuer« fällt, ist verpflichtet, dem Staat einen Obolus zu entrichten. Wer keiner dauerhaften Lohnarbeit nachgeht, muss sich diesen Luxus also etwas kosten lassen. Vier Mal pro Jahr wird die »Datenbank nicht in der Wirtschaft beschäftigter arbeitsfähiger Bürger« aktualisiert, zuletzt geschah das im September. Darin wurden automatisch jene erfasst, die für den Zeitraum von April bis Juni keinen Arbeitsnachweis liefern konnten.

Bereits 2015 hatte Präsident Aleksandr Lukaschenko die zu Sowjetzeiten übliche Erfassung nicht in gesellschaftlich nützlichen Arbeitsverhältnissen stehender Nichtstuer zum Vorbild für eine Neuauflage genommen, beließ es jedoch bei finanziellen Sanktionen. In der Sowjetunion konnte Arbeitsverweigerung mit Haftstrafen geahndet werden. 2017 gab es jedoch in Belarus große Proteste gegen eine spezielle Abgabe für Personen, die weniger als 183 Tage im Jahr als offiziell beschäftigt gelten. Die Regelung wurde abgeschafft, stattdessen wurden ihre Kosten für Strom, Gas und andere Wohnnebenkosten angehoben und staatliche Kredite nicht gewährt.

Seit diesem Frühjahr nun gelten als Nichtstuer auch alle, die das Land für mehr als 30 Tage verlassen. Eine Initiative des Gesundheitsministeriums, auch den Zugang zur staatlich finanzierten medizinischen Versorgung für diese Gruppe einzuschränken, fand bislang keine Zustimmung, ist aber nicht vom Tisch. Wer seit diesem Jahr finanzielle Zuwendungen von Angehörigen bezieht und mindestens fünf Jahre lang in der Datenbank erfasst ist, muss, wenn die Zuwendungen 1.000 Euro pro Jahr übersteigen, zehn Prozent an den Staat abführen. ­Allein im Minsker Gebiet landeten dieses Jahr über 100.000 Personen automatisch in dem Register. Einige konnten nachweisen, ihren Lebensunterhalt mit einer aus staatlicher Perspektive nicht verwerflichen alternativen Tätigkeit zu bestreiten, beispielsweise mit privater Tierzucht. Diese Abgaben nehmen sich wie kleine Racheakte gegen Abtrünnige aus, insbesondere gegen im Exil Lebende. Viele haben ihre Wohnungen in Belarus beibehalten.

Seit Frühjahr gelten alle als Nichtstuer, die Belarus für mehr als 30 Tage verlassen.

Für im Land lebende Oppositionelle steigt indes das Risiko, belangt zu werden. So häuften sich in den vergangenen Monaten Mitteilungen über Festnahmen direkt am Arbeitsplatz, meist lauten die Vorwürfe auf Verbreitung »extremistischer« Materialien. In solchen Fällen Rechtsbeistand zu finden, wird immer schwieriger. Die belarussische Menschenrechtsorganisation Wjasna (Frühling) zählt 1.479 politische Gefangene im Land, darunter ein halbes Dutzend Anwält:innen.

Im Mai wurde Anastasia Lasarenko zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren verurteilt. Während der Massenproteste im August 2020 hatte sie Opfer von Polizeigewalt beraten, beschuldigt wurde sie der groben Störung der öffentlichen Ordnung und der Volksverhetzung. Zentraler Anklagepunkt war die Übergabe von Personendaten Polizeiangehöriger an einen Telegram-Kanal der Protestbewegung. Die Gerichtsverhandlung gegen Lasarenko fand nichtöffentlich statt, ihr Anwalt wurde als Zeuge vernommen und konnte ­daraufhin nach belarussischem Recht sein Mandat nicht mehr wahrnehmen.

Die Zahl in Belarus zugelassener An­wält:innen ist nach Angaben der Organisation Right to Protection zwischen 2020 und 2023 von 2.200 auf 1.650 gesunken. In 128 Fällen, also fast einem Viertel der weggefallenen Zulassungen, verloren die Anwälte diese auf staatlichen Druck hin. In Russland konnte man sich, auch wenn viele Gerichtsprozesse einer Farce gleichen, selbst in den vergangenen Jahren darauf verlassen, dass zumindest für die Berufsausübung im Rahmen einer gesetzlich garantierten Strafverteidigung in der Regel keine unmittelbaren einschneidenden Sanktionen drohten, selbst bei brisanten politischen Verfahren.

In Einzelfällen waren jedoch Strafverfahren eingeleitet worden: Der aus Ischewsk stammende Strafverteidiger Dmitrij Talantow sitzt wegen »bewusster Verbreitung falscher Informationen« in Untersuchungshaft. Iwan Pawlow, der mit seiner Organisation Team 29 als Rechtsbeistand in Spionageverfahren agierte, konnte sich vor einer etwaigen Strafverfolgung im Ausland in Sicherheit bringen.

Anders verhält es sich bei den Anwälten Wadim Kobsew, Aleksej Lipzer und Igor Sergunin. Am 13. Oktober verfügte ein Moskauer Gericht nach Hausdurchsuchungen die Festnahme der drei. Gegen sie wird wegen Zugehörigkeit zu einer extremistischen Ver­einigung ermittelt, worauf bis zu sechs Jahre Freiheitsentzug steht. Lipzer und Sergunin vertraten den Anfang August zu einer Haftstrafe von 19 Jahren verurteilten Oppositionspolitiker Aleksej Nawalnyj bei vorangegangenen Klagen gegen die Strafkolonie, in der er nach einer früheren Verurteilung inhaftiert war. Doch diese Zusammenarbeit liegt bereits ein Jahr zurück. Kobsew trat bei Nawalnyjs jüngstem Prozess als dessen Strafverteidiger auf. Sie alle sollen Botschaften von Nawalnyj aus dem Gefängnis übergeben haben.

Das Signal ist eindeutig: Nawalnyj wird noch weiter von der Außenwelt isoliert und mit den jüngsten Festnahmen werden zudem alle abgeschreckt, die noch den Mut aufbringen, mit Rechtsmitteln gegen politische Strafverfolgung vorzugehen. Am Montag verfügte zudem ein Gericht in Kasan die Inhaftierung von Alsu Kurmaschewa, eine Journalistin von Radio Liberty. Der Grund dafür war, dass sie zu Fragen der Rekrutierung von Universitätsdozenten recherchiert hatte und sich nicht in das Register »ausländischer Agenten« eintragen ließ. Radio Liberty erhielt diesen Status bereits vor geraumer Zeit, aber es ist der erste Fall, dass einer Mitarbeiterin zum Vorwurf gemacht wird, sie hätte sich zudem persönlich bei den Behörden melden müssen.

Im Übrigen bietet auch die Flucht ins Ausland nicht unbedingt Sicherheit. Im Juni wurde der Antikriegsaktivist Aleksej Roschkow von Kirgisien nach Russland abgeschoben, Aljona Krylowa steht das gleiche Schicksal bevor. In der Nacht auf den 17. Oktober wurde Lew Skorjakin vom russischen Linksblock, einer 2015 gegründeten Vereinigung verschiedener linker Gruppen, in ­Bischkek von zehn Angehörigen der Kriminalpolizei de facto entführt. ­Seither fehlt jede Spur von ihm.