Der tunesische Präsident hat die ­Premierministerin Bouden kurzerhand entlassen

Despot feuert Devote

Inmitten einer eskalierenden Brotkrise entlässt der tunesische Präsident Kaïs Saïed die Premierministerin Najla Bouden und ernennt mit Ahmed Hachani einen weitgehend Unbekannten als ihren Nachfolger.
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Undank ist der Welten Lohn, und nichts anderes hat man insbesondere von den Despoten dieser Welt zu erwarten, auch wenn man ­ihnen treue Dienste geleistet hat. Vorige Woche war es an Najla Bouden, der tunesischen Premierministerin, diese Erfahrung zu ­machen; sie war die erste Frau der sogenannten arabischen Welt in dieser Funktion. Um 23.42 Uhr ließ der autoritäre Präsident Kaïs Saïed, der sie im Oktober 2021 auf ihrem Posten installiert hatte, das folgende Kommuniqué in den sozialen Medien publizieren: »Der Präsident der Republik hat am Dienstag, 1. August, beschlossen, Frau Najla Bouden Romdhane des Amtes zu entheben und Ahmed Hachani zu ihrem Nachfolger zu bestimmen.« Tschüss, das war’s. Einen Grund für den Rausschmiss anzugeben, einen Dank zu ­äußern, hat Saïed nicht nötig; ein Halbsatz, der ihr kurz vor Mitternacht gewidmet wird, reicht vollständig aus. Es ist die Spezialität des nachtaktiven Präsidenten, noch seine engsten Mitarbeiter auf diese brachiale Weise aus dem Amt zu entfernen.

Bouden war stets loyal gegenüber dem Präsidenten und seinem autoritären Kurs. Die Ergebnisse ihrer Amtsführung sind wenig überzeugend, auch wenn sie institutionell nichts zu melden hatte, weil alle Macht beim Präsidenten liegt; gemäß der auf Kaïs Saïed maßgeschneiderten Verfassung ist der Regierungschef in Tunesien faktisch lediglich ein Geschäftsträger des Präsidenten. Engpässe insbesondere bei Treibstoff und Nahrungsmitteln sind in Tunesien seit zwei Jahren gang und gäbe, in jüngster Zeit hat sich zudem eine sogenannte Brotkrise breit gemacht, die Erinnerungen an die Brotunruhen mit mehr als 80 – manche Quellen sprechen von fast 150 – Toten Ende 1983, Anfang 1984 weckt. Nicht ausgeschlossen, dass diese unangenehme Aussicht in den Augen des Präsidenten mit ein Grund für Boudens Rausschmiss war.

In einem Social-Media-Post von September 2019 verglich der neue Premier Hachani den heutigen Präsidenten Saïed mit einem Kalifen und bezeichnete ihn als Gefahr für Tunesien.

In den letzten Monaten ihrer Amtszeit führte Boudens Regierung Gespräche mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) über ­einen Kredit in Höhe von 1,9 Milliarden Euro, während der Präsident sich unaufhörlich gegen dessen »Diktate« aussprach. Bis heute ist der Kredit nicht ausgezahlt. Der IWF verlangt von Tunesien im Gegenzug für den Kredit die Reduzierung der Staatsausgaben, wie die Verringerung der Zahl der Staatsangestellten oder die Reduzierung der Subventionen auf Nahrungsmittel wie Mehl. Der tunesische Staat dümpelt am Rand des Bankrotts herum, weswegen er weniger Getreide importieren konnte, zudem fiel wegen der Dürre die Getreideernte geringer aus als in den Jahren zuvor. Subventioniertes Mehl ist knapp, eine Brotkrise mit teils langen Schlangen vor den Bäckereien ist die Folge, Anfang dieser Woche streikten zudem etwa 1.400 Bäckereien.

Große Aufgaben harren also Boudens Nachfolger Hachani, der über ebenso viel politische Erfahrung verfügt wie Bouden bei ihrer Amtseinführung, nämlich gar keine. Er ist ausgebildeter Jurist, der bis zu seinem Ruhestand im Jahr 2018 in der tunesischen Zentralbank arbeitete. Nichts spricht dafür, dass er der sozialen und ökonomischen Krise in Tunesien besser entgegenwirkt als seine Vorgängerin Bouden. Der Öffentlichkeit ist er weitgehend unbekannt, in der ersten Woche seiner Amtsführung hat er nichts über seine ­politischen Pläne verlauten lassen. Sein Vater Salah Hachani war Offizier der Armee und wurde 1963 wegen eines Putschversuchs ­gegen Habib Bourguiba, den ersten Präsidenten des unabhängigen Tunesien, hingerichtet. Möglich, dass dieses Familiendrama sich auf seine politischen Ideen auswirkte, Medienberichten zufolge lässt seine Facebook-Seite ihn als glühenden Verteidiger der Monarchie erscheinen, die Bourguiba 1957 abgeschafft hatte.

Internetnutzer haben eine Nachricht von September 2019 in den sozialen Medien ausfindig gemacht, in der Hachani den damaligen Präsidentschaftskandidaten Saïed mit einem Kalifen vergleicht und ihn als Gefahr für Tunesien bezeichnet, er sei »das Ende eines freien, offenen Tunesien, stolz auf seine Frauen und ihre Errungenschaften, das Ende des modernen und unabhängigen Tunesien«. Nun fungiert Hachani als Vollstrecker von Saïeds Politik.