Dutzende von der tunesischen Regierung in die Wüste verfrachtete Migranten sind ums Leben gekommen

Tod in der Wüste

Der tunesische Staat hat subsaharische Migranten ins Wüstengebiet gekarrt, einige von ihnen kamen dort zu Tode. Die ersten Leichen wurden inzwischen identifiziert. Tunesische NGOs demonstrierten ihre Solidarität mit den Migranten.

Was im Juli noch Gerüchte waren, ist inzwischen bittere Gewissheit: Dutzende in der Wüste ausgesetzte Menschen sind im tunesisch-libyschen und tunesisch-algerischen Grenzgebiet ums ­Leben gekommen.

Dorthin hatte die tunesische Staatsmacht insgesamt über 1.000 Migranten, die sich im Land aufhielten, gekarrt und unter der sommerlichen Sonne der Sahara zurückgelassen. Besonders viele von ihnen kamen aus der Stadt Sfax an der Ostküste Tunesiens, die in den vergangenen Monaten zum Sammelpunkt auf den Durchreiserouten von Migranten geworden ist. Rund 600 der Deportierten, die bis zu 15 Kilometer auf libysches Territorium gelaufen waren, erhielten dort Nahrungsmittel und Wasser von mitleidigen libyschen Uniformierten und konnten am 11. Juli über die tunesische Grenze zurückkehren. Später wurden sie auf Unter­künfte in Schulgebäuden im Süden ­Tunesiens verteilt.

Doch mindestens 150, möglicher­weise mehrere Hundert Menschen harrten weiterhin in sengender Sonne im Niemandsland an den Grenzen Tunesiens und Libyens aus. Assawra, eine in Frankreich ansässige, teilweise arabischsprachige Website zu internationalen Themen, und die KP-nahe französische Tageszeitung L’Humanité in ihrer Ausgabe vom 3. August sprechen davon, dass bereits mehreren Dutzend von ihnen gestorben seien.

Einzelne von ihnen haben mittlerweile Name und Gesicht. Als Erste wurden Ende Juli, zuerst durch einen Bericht des Twitter-Accounts »Refugees in Libya« – Informationen daraus hat inzwischen die internationale Presse übernommen –, die 30jährige Fati Dosso und ihre sechsjährige Tochter Marie identifiziert. Beide waren kurz ­zuvor im tunesischen Grenzgebiet an Wassermangel gestorben. Nähere Angaben kamen vom überlebenden Vater, Bengue Nyimbilo Crepin, genannt Pato, einem kamerunischen Staatsbürger. Fati Dosso war demnach schon in jungen Jahren aus der Côte d’Ivoire, wo sie als Waisenkind aufwuchs, ausgewandert und hatte versucht, in Libyen ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Danach wurde sie in Tunesien fest ansässig und arbeitete dort fünf Jahre lang, bis sich die migrantenfeindliche Politik unter Staatspräsident Kais Saïed seit Februar dieses Jahres radikalisierte. »Eine Wasserflasche hätte zu ihrem Überleben genügt«, sagte der resignierte Vater.

Aus Protest sagten die Rapper Maître Gims und Bigflo & Oli in der vergangenen Woche Auftritte in Tunesien ab. Die Institutionen sowie Mitgliedsländern der Europäischen Union hingegen bleiben »wirklich sehr still« zum Thema, wie die ­Forscherin Camille Le Coz in der französischen Ta­geszeitung Libération bemerkte.

Die KP-nahe französische Tages­zeitung »L’Humanité« schrieb in ihrer Ausgabe vom 3. August von mehreren Dutzend in der Sahara gestorbenen Migranten.

In Rom kamen am 23. Juli auf Einladung von Italiens Ministerpräsidentin Giorgia Meloni Vertreter von rund 20 Staaten zu einem Gipfeltreffen gegen ille­gale Migration zusammen. Kais Saïed, der Präsident Tunesiens, höchstpersönlich nahm am Gipfel teil, ebenso Mohammed bin Zayed al-Nahyan, Präsident der Vereinigten Arabischen Emirate (VAE). Auch der Libanon, Jorda­nien, Ägypten, Algerien, der Niger und Äthiopien sandten ihre Staatsoberhäupter. Etwas niedriger im Rang stehende Regierungsmitglieder kamen unter anderem aus Saudi-Arabien, Kuwait, der Türkei und Griechenland. Die Europäische Union war mit der Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sowie dem Ratspräsidenten Charles Michel prominent vertreten.

Spanien hingegen glänzte durch ­Abwesenheit, da dessen politisches Personal am selben Tag mit dem Ausgang der dortigen Parlamentswahl beschäftigt war. Nicht eingeladen waren Ver­treter aus Frankreich. Meloni nimmt übel, dass der dortige Innenminister Gérald Darmanin vor zwei Monaten öffentlich moniert hatte, die regierende extreme Rechte in Italien erweise sich als unfähig, die Immigration einzudämmen.

Nicht nur, dass Meloni das nicht gerne hört, vielmehr versuchte sie nun, diesen Eindruck zu widerlegen. Denn Hauptzweck des Gipfeltreffens war es, unerwünschte Migration einzudämmen oder zu verhindern. Das Abkommen zwischen Tunesien und der EU, das genau eine Woche zuvor unterzeichnet worden war, hatte Vorbildcha­rakter für das Treffen. Es soll nun als Modell für Vereinbarungen mit anderen Mittelmeeranrainerstaaten dienen. »Wir müssen dabei akzeptieren«, zitiert der französische Sender TV5 Monde am Rande des Gipfels zum »Prozess von Rom« einen nicht näher bezeichneten Botschafter eines EU-Staats in der Stadt, dass es sich bei den künf­tigen Vertragspartnern »nicht um perfekte Demokratien handelt«.

In Tunesien selbst stößt die vereinbarte Zusammenarbeit, die vor allem auf Abschiebungen in afrikanische Staaten südlich der Sahara hinauslaufen soll, jedoch auch auf Kritik. Bereits am 25. Februar, kurz nach der ersten Brandrede von Präsident Saïed gegen Zuwanderer am 21. Februar, demons­trierten in Tunis mehrere Hundert Anhänger feministischer Gruppen; Menschenrechtsorganisationen und Journalistinnen und riefen zur Bildung einer »antifaschistischen Front« auf. Am 14. Juli demonstrierten erneut mehrere Hundert Menschen in der tunesischen Hauptstadt und forderten unter anderem die Bereitstellung von Unterkünften für Migranten.

Besonders engagiert setzt sich das gewerkschaftsnahe Tunesische Forum für ökonomische und soziale Rechte (FTDES), eine der wichtigsten NGOs im Land, für die Migranten ein. Der Gewerkschaftsverband UGTT zeigt sich hingegen ambivalent. Der für Sfax zuständige Regionalverband der UGTT sprach in seiner Pressemitteilung nicht nur von »unhaltbaren Zuständen«, sondern kündigte auch an, »die Einwohner von Sfax zu verteidigen«, was sich durchaus als Drohung gegen Migranten lesen lässt. Doch Mitglieder der UGTT verteilten in Sfax auch Wasserflaschen und Nahrungsmittel aus dem Kofferraum eines Autos.