Auf dem Partei­tag in Magdeburg will die AfD ihr Programm für den Europawahlkampf 2024 verabschieden

Unter dem grünen Filz die grünen Dollar

Die AfD versammelt sich in Magdeburg, um ihre europapolitische Ausrichtung festzulegen. Die Partei lehnt die EU ab und träumt von einer Neugründung der Staatenunion unter nationalistischen Vorzeichen, um sich in einer »multipolaren« Weltordnung vom Einfluss der USA zu befreien.

Ab Freitag entscheiden in Magdeburg etwa 600 Delegierte über die zukünftige Ausrichtung der »Alternative für Deutschland« (AfD). Auf den 14. Bundesparteitag am 28. Juli folgt ab dem 29. Juli die über zwei Wochenenden verteilte Europawahlversammlung, bei der Programm und Kandidat:innen für die Wahl zum zehnten Europäischen Parlament im Juni 2024 bestimmt werden sollen.

Zuvor gab es in der Partei Unstimmigkeiten über die womöglich wichtigste Frage im EU-Wahlkampf: Soll die EU aufgelöst werden oder nicht? Die Bundesprogrammkommission (BPK), der auch die Parteivorsitzenden Alice Weidel und Tino Chrupalla angehören, forderte in ihrem Mitte Juni veröffentlichten Leitantragsentwurf die Auflösung der EU.

Doch insbesondere Weidel soll das der »Tagesschau« zufolge zu weit gegangen sein. In dem im Juli vorgelegten Antragsbuch zur Europawahlversammlung wird deshalb von der BPK selbst beantragt, das Reizwort »Auflösung« zu streichen. Es habe sich um ein »redaktionelles Versehen bei der Präambelerstellung ohne Beschlusslage der BPK« gehandelt, heißt es zur Begründung. Die Forderung, eine »neue europäische Wirtschafts- und Interessensgemeinschaft« zu gründen, soll jedoch bestehen bleiben.

Der EU-Wahlkampf dürfte einmal mehr unter Beweis stellen, dass völkisch-rechtsextreme Positionen in der AfD bestimmend sind.

Eine Gruppe von AfD-Politikern, darunter Björn Höcke, formuliert in einem eigenen Präambelentwurf, was sie sich unter einer EU-Neugründung vorstellt. Die EU sei »gescheitert« und »nicht reformierbar«, die »globalistisch eingestellten Eliten« hätten sie im Griff. An die Stelle der EU solle ein »Bund europäischer Nationen« treten. »Werte wie Familie, Heimat und Treue« sollten »als zeitlos erkannt« werden, die »Regenbogen-Agenda« hingegen wird abgelehnt. Man solle sich von den USA emanzipieren.

Außerdem gelte es, die Sanktionen gegen Russland zu beenden und »einen starken europäischen Pol in der neuen multipolaren Weltordnung« zu schaffen«. Ähnliche Rhetorik über einen »unabhängigen Pol«, den Europa angesichts des »Umbruchs zu einer multipolaren Ordnung« bilden müsse, findet sich auch im Programmentwurf der BPK.

Die Frage der EU-Auflösung sorgt nicht zum ersten Mal für Konflikte in der AfD. Im Juni 2022 führten im sächsischen Riesa Differenzen über einen Resolutionsentwurf mit dem Titel »Europa neu denken« zu hitzigen Debatten und schließlich zur vorzeitigen Beendigung des Bundesparteitags. Der Antrag, den unter anderem Alexander Gauland und Höcke befürworteten, nicht aber Weidel und Chrupalla, forderte eine »einvernehmliche Auflösung der EU«. Zudem sah er eine Annäherung an Russland vor und verzichtete darauf, den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine als solchen zu benennen.

Trotz solcher Differenzen dürfte der EU-Wahlkampf einmal mehr unter Beweis stellen, dass völkisch-rechtsextreme Positionen in der AfD bestimmend sind. Wer im kommenden Jahr für die AfD kandidiert, ist zwar noch nicht entschieden, doch einige Politiker:innen haben bereits Interesse bekundet. Dazu gehören neben dem designierten Spitzenkandidaten Maximilian Krah unter anderem René Aust, Arno Bausemer, Irmhild Boßdorf, Tomasz Froelich, Alexander Jungbluth, Dimitrios Kisoudis und Gunnar Lindemann. Fast alle von ihnen pflegen Kontakte zu rechtsextremen Einrichtungen wie dem Institut für Staatspolitik.

Am 1. Juli gaben Aust, Bausemer, Kisoudis und Krah auf einer Kundgebung in Magdeburg mit dem Titel »Frieden und Souveränität für Europa« Einblick in ihre außenpolitischen Vorstellungen. Bausemer sprach sich gegen »den Verbleib in dieser kaputten, gescheiterten Europäischen Union« aus. Kisoudis betonte, dass »der Souverän« sich seine »Freiheit« zurückholen müsse. Man strebe ein »Europa der freien und souveränen Vaterländer« an.

Im AfD-Programmentwurf wird gefordert, die Gesetzgebungskompetenz weitgehend an die Nationalstaaten zurückzugeben. Gegenwärtig verfolge die EU eine »ideologisch motivierte Agenda, die Ziele wie Klimarettung, Euro-Rettung, Russland-Sanktionen, und die Aufnahme der Westbalkan-Staaten umfasst«. Die AfD richte sich gegen die »sich zum Einheitsstaat wandelnde EU«, der die Voraussetzungen für funktionierende Staatlichkeit fehlten: »ein Staatsvolk« und »ein Mindestmaß an kultureller Identität«. Grundlegende Fragen, auch die des Verbleibs Deutschlands in der EU, sollen durch nationale Volksabstimmungen entschieden werden.

Eine europäische Zusammenarbeit sieht der Entwurf nur dann vor, wenn sie deutschen Interessen dient. Dies betreffe vornehmlich die Migrationspolitik. Zum »Schutz der europäischen Nationen und Kulturen« habe die Beendigung der »Masseneinwanderung« und damit die Sicherung der europäischen Außengrenzen oberste Priorität. Die »Festung Europa« zu errichten, sei die vorrangige Aufgabe eines jeden Europakandidaten, forderte Aust, derzeit Abgeordneter im Thüringer Landtag, in Magdeburg.

Ein zentraler Kampfbegriff im Programmentwurf ist »Ideologie«. Gleich fünfmal ist von einer »Gender-Ideologie« die Rede, die es zu »stoppen« gelte.

Ferner lehnt der Entwurf klima- und ressourcenschonende Politik vehement ab. Die von »Klimalobbyisten« implementierte »grüne Weltrettung« richte sich gegen die deutschen Interessen und müsse »unter allen Umständen verhindert werden«. Der durch die EU-Energiepolitik »bewusst herbeigeführte Energiemangel soll einen dem Brüsseler Zentralstaat hilflos ausgelieferten und von monetären Wohltaten abhängigen Bürger hervorbringen«, raunt es weiter. Statt die Erderwärmung zu bekämpfen, solle man sich den kommenden Veränderungen anpassen. »Je wohlhabender Deutschland ist, desto besser können wir unsere Bürger vor Klimaveränderungen schützen«, heißt es, denn »in wohlhabenden Ländern sind weniger Opfer durch Naturkatastrophen und Wetterextreme zu verzeichnen«.

Ein zentraler Kampfbegriff ist »Ideologie«. Im Entwurf wird beispielsweise gegen die »postkolonialistische Ideologie«, die eine »Schuld- und Schamkultur« etablieren wolle, gewettert, Außenpolitik solle sich an »realpolitischen Erfordernissen statt wirklichkeitsfremden Ideologien« orientieren. Gleich fünfmal ist von einer »Gender-Ideologie« die Rede, die es zu »stoppen« gelte.

Die AfD wähnt Deutschland beherrscht beziehungsweise bedroht vom Einfluss fremder Mächte. US-amerikanische Großkonzerne, Milliardäre und Stiftungen sind die Feindbilder, die in diesem Zusammenhang herbeizitiert werden. Man müsse der Spur des Geldes folgen, sagte Kisoudis, Chrupallas Grundsatzreferent im Bundestag, in seiner Rede in Magdeburg, um herauszufinden, in wessen Interesse die EU und die deutsche Politik handele: »Heizungsverbot, Wärmepumpenzwang – unter dem grünen Filz scheinen die grünen Dollar durch.« Die Deutschen jedoch »dürfen nicht profitieren, sondern zahlen«.

Ähnlich äußerte sich der EU-Abgeordnete Krah. Er sieht Unternehmen wie die Investmentgesellschaft Blackrock als Teil einer »unheimliche(n) Macht«, die »hinter der woken Ideologie« in Deutschland wirke. In einem Youtube-Video von Anfang Juli konstatiert er: »So arbeiten mittlerweile die Grünen und ihre Ideologen mit dem großen Geld aus den Vereinigten Staaten zusammen, um ganz schleichend unsere Gesellschaft umzudrehen.«

Solche Rhetorik dürfte auch den Wahlkampf prägen. Irmhild Boßdorf, deren Tochter Reinhild Boßdorf die rechtsextreme Fraueninitiative »Lukreta« mitgegründet hat, gab ihre Kandidatur für einen Europawahllistenplatz mit einem Video bekannt, in dem sie warnt, Europas »Souveränität und Identität« müsse »gegen den ›Great Reset‹« verteidigt werden. Dieser Verschwörungstheorie zufolge strebt eine Gruppe internationaler wirtschaftlicher und politischer Führungspersonen die Weltherrschaft an und nutze dazu Krisen wie die Covid-19-Pandemie oder den Klimawandel.

Während Boßdorf und andere Kandidaten auf solche aus der Geschichte des Antisemitismus bekannten Welterklärungsmuster zurückgreifen, fordert die BPK im Entwurf »eine gesellschaftliche Ächtung jeglicher Form von Antisemitismus«; explizit benannt werden jedoch nur jener, »der seine Wurzeln im Islam hat«, und linker Antisemitismus.

Der EU-Abgeordnete Maximilian Krah sieht Unternehmen wie die Investmentgesellschaft Blackrock als Teil einer »unheimlichen Macht«, die »hinter der woken Ideologie« in Deutschland wirke.

Kisoudis nannte in seiner Rede in Magdeburg den CDU-Vorsitzenden Friedrich Merz, bis 2020 Aufsichtsratsvorsitzender bei Blackrock, einen »Komprador«, der »fremdem Kapital einheimische Märkte aufschließt«. Die USA wollten einen »Keil« zwischen Deutschland und Russland treiben, die zur Wirkungslosigkeit verurteilten Sanktionen gegen Russland seien die »letzte Selbstvergewisserung« des absteigenden Westens, des »angelsächsischen Herrschaftsbereichs«, aus dem sich Deutschland lösen müsse. Die Losung für die EU müsse lauten: »Europas Völker Hand in Hand gegen den Globalismus«.

Nötig sei »Stolz auf das Eigene«, denn in der kommenden »multipolaren Weltordnung« gebe es nicht mehr »nur eine Weltmacht«, sondern »mehrere gleichberechtigte Mächte«, und Europa müsse ein »Pol« dieser Weltordnung sein. Hier habe Deutschland »voranzugehen«.

Neben Antiamerikanismus und Phantasien über deutsche Großmachtpolitik verbindet die AfD auch völkische Homogenitätsvorstellungen mit dem Wunsch einer »multipolaren Weltordnung«. »Souveränität« bedeutet dabei, sich von den USA abzugrenzen, denen vorgeworfen wird, die Welt mit ihren universalen Werten beherrschen zu wollen; stattdessen gelte es, anders als die USA »Politik für die Völker zu machen«, wie es Kisoudis in seiner Rede ausdrückte. Der Einzelne wird nicht als Individuum, sondern als Teil einer Schicksalsgemeinschaft betrachtet, die sich nach außen abschottet. Kisoudis’ Losung lautet deshalb: »Europas Zukunft lautet nicht Multikulti, sondern Stolz auf das Eigene und Multipolarität.« Deutschland gehöre »nicht zum Westen«.