Kämpfen um die letzte Thunfischkonserve
Im Jahr 2015 ließ sich Steve Huffman, der mit der Gründung der Diskussionsplattform Reddit ein für Silicon-Valley-Unternehmer fast bescheidenes Vermögen von rund zehn Millionen Dollar gemacht hatte, die Augenhornhaut per Laser abflachen, um seine Kurzsichtigkeit zu beheben. Interessant ist daran Huffmans Motivation. Dem Magazin The New Yorker sagt er: »Wenn die Welt untergeht, wird es verdammt schwer werden, sich Kontaktlinsen oder Brillen zu organisieren«. Huffman, der auch Waffen und Nahrungsmittel hortet, ist damit kein Sonderfall unter den Tech-Millionären und -Milliardären. Viele Reiche und Superreiche vor allem aus dem Bereich der IT-Branche gehen davon aus, dass ein gesellschaftlicher Zusammenbruch, ausgelöst durch eine multiple Krise, durch Erderhitzung, politische Radikalisierung und womöglich einen Weltkrieg, bevorstehe, und kaufen sich Inseln, einsame Wälder und Bunker, wo sie das ihrer Ansicht nach Unvermeidliche meinen möglichst unbeschadet überstehen zu können.
Das Preppen, also die Vorbereitung auf eine Katastrophe oder gar auf die Apokalypse, hat sich von einer Beschäftigung sonderbarer Hinterwäldler, die in Reality-Shows ihre selbstgegrabenen Bunker zeigen und zärtlich die Knarren streicheln, mit denen sie »danach« Plünderer vertreiben wollen, zu einer gesellschaftlich anerkannten Praxis gewandelt. Seit gut 20 Jahren blüht das Geschäft mit der Angst vor dem Ende der Welt. War es 2016 die atomare Bedrohung durch Nordkorea, soll die Covid-19-Pandemie nun die Nachfrage vermeintlich sicherer Zufluchtsorte angekurbelt haben.
Der größte doomsday bunker der Welt steht angeblich in Europa, in Tschechien. Dort hat die Firma Oppidum mit Sitz in der Schweiz angeblich einen luxuriösen Zufluchtsort unter der Erde gebaut, wo Betuchte auf insgesamt 323.000 Quadratmetern zehn Jahre lang Katastrophen jeglicher Art autark überleben können sollen. In Thüringen baut die kalifornische Vivos Group angeblich an einem noch größeren Bunker, in dem bis zu 1.000 Reiche Zuflucht finden sollen. In den USA richten seit einigen Jahren mehrere Firmen ehemalige Raketensilos und andere unterirdische Militäranlagen zu Luxusbunkern her.
In Europas größtem »doomsday bunker« in Tschechien sollen Betuchte auf insgesamt 323.000 Quadratmetern zehn Jahre lang Katastrophen jeglicher Art autark überleben können.
Auch die Projekte von Oppidum und Vivos in Europa nutzen Bauten aus dem Kalten Krieg, so in den ehemaligen Ostblockstaaten. Ein auffälliger Unterschied zwischen der ursprünglich vorgesehenen Nutzung und der zukünftigen: Die in den siebziger und achtziger Jahren gegrabenen Anlagen sollten möglichst vielen Menschen ein spartanisches Überleben während eines Atomkriegs ermöglichen, die derzeitigen Projekte hingegen wenigen ein möglichst luxuriöses. Wer sich ein Plätzchen in einem dieser Betonsärge sichern will, braucht tiefe Taschen: Zwischen zwei und 50 Millionen Dollar kostet der Spaß. Dafür gibt es Schwimmbecken, Kinosäle und sogar Zahnarztpraxen. Im weniger luxuriösen »Vivos Indiana« bietet Vivos Plätze ab 35.000 Dollar an.
Auch die Nichtmilliardäre sind eine wichtige Zielgruppe für das Geschäft mit der Angst. Bunker bei Neubauten einzuplanen oder alte Keller zu Bunkern umzubauen, liegt im Trend. Die österreichische Firma Seba veranschlagt die Material- und Planungskosten für solche privaten Schutzräume auf 13.000 Euro, preislich sind nach oben hin kaum Grenzen gesetzt und in diesem Fall die Baukosten nicht einmal inbegriffen. Auch die bereits genannten Firmen Oppidum und Vivos bieten Lösungen für das Eigenheim. Ab sieben Millionen Euro kann sich Herr oder Frau Prepper einen Bunker unter dem eigenen Haus bauen lassen. Nach Angaben des Geschäftsführers von Seba, Manfred Schuster, haben sich die Anfragen bezüglich der Installation von Schutzbunkern im Jahr 2020 unter dem Eindruck der Covid-19-Pandemie um 40 bis 50 Prozent erhöht.
Es ist wohl kein Zufall, dass der Boom des Bunkerbaus mit Tendenzen vieler westlicher Gesellschaften zusammenfällt, sich von dem abzukapseln, was als das gefährliche »andere« gesehen wird. An die Stelle der konkreten Angst vor einem Krieg der Systeme tritt eine diffuse Furcht vor »fremden« Kulturen, »fremden« Lebensentwürfen und inzwischen sogar vor jeder abweichenden politischen Meinung.
Treffen solche Ängste auf die seit 40 Jahren dominanten neoliberalen und libertären (Fehl-)Deutungen der Wirklichkeit, die als Hauen und Stechen aller gegen alle perzipiert wird, ist der Rückzug in befestigte Anlagen und Bunker der logische letzte Schritt, da andere Reaktionen auf Krisen gar nicht mehr denkbar scheinen. So grimmig-amüsant die Vorstellung ist, wie sich Bill Gates und Elon Musk im halb unter Wasser stehenden ehemaligen Luxusbunker einen Kampf um die letzte Thunfischkonserve liefern, während draußen marodierende Banden Szenen aus der »Mad Max«-Filmreihe nachstellen, so wenig erstrebenswert erscheint ein Leben in einer solchen Dystopie, die der logische Endpunkt einer entsolidarisierten und um jede rationale und linke Perspektive beraubten Zivilisation wäre.
Die Mystery-Serie »Silo«, verfügbar auf Apple TV plus, will eine Dystopie darstellen, zeigt aber noch eine ebenso nachgerade optimistische wie unwahrscheinliche Fortsetzung der Bunkerbewegung. In der Serie leben 10.000 Menschen in einem gigantischen Bunker, der 122 Stockwerke tief in die Erde reicht, 150 Jahre nach einer nicht näher bezeichneten globalen Katastrophe. In der Realität scheint es höchst unwahrscheinlich, dass die Bewohner solcher Einrichtungen auch nur fünf Jahre leben könnten, ohne dem Wahnsinn zu verfallen oder von einer der unzähligen beim Bau nicht einkalkulierten Dysfunktionen in solchen Silos ausgelöscht zu werden.