Ein Redakteur von Radio Dreyeckland muss vor Gericht

Folgen für die Pressefreiheit

Ein Redakteur von Radio Dreyeckland muss nun doch vor Gericht, weil er einen Link zur verbotenen Plattform Linksunten Indymedia unter einen Artikel setzte. Das hat das Oberlandesgericht Stuttgart entschieden.
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Nun also doch – wegen eines simplen Links muss sich ein Journalist des freien Radiosenders Radio Dreyeckland (RDL) aus Freiburg am Breisgau vor Gericht verantworten. Vor knapp einem Monat hatte das Landgericht Karlsruhe ein Verfahren gegen Fabian Kienert, einen langjährigen Redakteur des ältesten freien Radios Deutschlands, noch abgelehnt. Das Oberlandesgericht Stuttgart (OLG) hob den Beschluss des Landgerichts nun aber in zweiter Instanz auf.

Fabian Kienert hatte in einer kurzen Nachrichtenmeldung vom Juli 2022 die Archivseite des seit 2017 verbotenen Webportals Linksunten Indymedia verlinkt – so wie es viele andere Medien in der Berichterstattung über die Einstellung des Strafverfahrens gegen die Seite ebenfalls getan hatten.

Die Staatsanwaltschaft Karlsruhe störte sich aber an der Berichterstattung von RDL und warf Kienert vor, sich mit der Meldung zum Sprachrohr von Linksunten Indymedia gemacht zu haben und damit eine verbotene Vereinigung zu unterstützen. Die Begründung war damals schon haarsträubend: Beim Zielpublikum von RDL sei davon auszugehen, dass dieses die Nachricht nur als Solidarisierung mit Linksunten Indymedia verstehen könne. Diese eigenwillige Interpretation einer schlichten Nachrichtenmeldung reichte dem Amtsgericht Karlsruhe, um Mitte Januar einer Durchsuchung sowohl der Redaktionsräume eines lizenzierten Radiosenders als auch der Privatwohnungen zweier Journalisten zuzustimmen. Dieser Eingriff in die Pressefreiheit sorgte bundesweit für Empörung.

Im Mai entschied das Landgericht Karlsruhe dann, eine Anklage gegen Kienert nicht zuzulassen, und stellte in einem ausführlichen Beschluss sehr deutlich fest, dass das bloße Verlinken einer Archivseite von der Pressefreiheit geschützt ist und nicht als Unterstützung einer verbotenen Vereinigung angesehen werden kann. Die Staatsanwaltschaft legte gegen diesen Beschluss Beschwerde ein. Dieser gab das OLG am Montag vergangener Woche statt. Kienerts Anwältin Angela Furmaniak kritisierte die Entscheidung heftig: »Das Landgericht hatte sich auf 40 Seiten akribisch mit der Aktenlage auseinandergesetzt, recherchiert, abgewogen und die Rechtsprechung von BGH und dem Bundesverfassungsgericht einfließen lassen. Das Oberlandesgericht zitierte seitenweise einfach nur Wikipedia.«

In seiner Begründung gibt das OLG unter anderem an, dass die Formulierungen »konstruiertes Verbot« und »rechtswidrige Durchsuchung« in der Meldung über eine Hausdurchsuchung im Zuge des Verbots von Linksunten Indymedia eine klare Solidarisierung mit diesem Webportal darstellten. Das lässt sich kaum anders als absurd nennen, gerade was die zuletzt zitierte Formulierung angeht – denn der Verwaltungsgerichtshof Mannheim hatte die fragliche Hausdurchsuchung im autonomen Zentrum KTS Freiburg 2017 eben für rechtswidrig erklärt. So war es auch in der Meldung vermerkt. »Die wollten offensichtlich dazu kommen, dass verhandelt werden muss«, so Furmaniak in einem Interview mit RDL über diese an den Haaren herbeigezogenen Argumentation.

Es soll also zu einem Verfahren vor dem Landgericht Karlsruhe kommen; wann, ist noch unklar. Bereits im Januar hatte RDL Beschwerde gegen die Hausdurchsuchungen eingelegt. Diese sind beim selben Gericht noch anhängig. Die Durchsuchungen und das Verfahren gegen Kienert sind und bleiben heftige Angriffe auf die Pressefreiheit in Deutschland. Wenn so fadenscheinige Begründungen wie jene des OLG ausreichen, um in die freie Berichterstattung einzugreifen, bedeutet das für Journalist:innen eine extreme Verunsicherung, die aus der Sorge vor Strafverfahren zu Selbstzensur führen kann. Zudem ist die politische Justiz nicht weit, wenn ein Gericht interpretiert, wie Leser:innen Artikel angeblich zu verstehen haben.

Selbst wenn Kienert freigesprochen werden sollte, dürften diese Einschüchterungen nachwirken. Zudem binden die Verfahren viele Ressourcen beim Sender. »Unsere journalistische Arbeit leidet unter dem Angriff der Staatsanwaltschaft. Wir müssen uns seit Januar dauernd mit fadenscheinigen Beschlüssen von Staatsanwälten und Gerichten auseinandersetzen, dabei haben wir als selbstorganisiertes Projekt schon so genug zu tun. Die Kriminalisierung unseres lizenzierten freien Radiosenders ist nicht nur politisch unhaltbar, sondern auch eine emotionale Bürde«, führte die Betriebsgruppe von RDL in einer Presseerklärung aus. Gleichzeitig betonte sie, notfalls bis vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen – um die Pressefreiheit zu verteidigen.