In den Ostberliner Randbezirken fürchtet man die Kosten des Klimaschutzes besonders

Rechts abbiegen

Die relativ hohe Wahlbeteiligung von Gegner:innen des Berliner Klimaentscheids war bemerkenswert, insbesondere in den östlichen Randbezirken. Der Volksentscheid ist an Abstiegsängsten einer Mittelschicht gescheitert, die fürchtet, dass Klimaschutz zu ihren Lasten gehen würde.

Es war die bisher wohl größte politische Niederlage der Klimaschutzbewegung, die sich seit den ersten freitäglichen Schüler:innenstreiks Ende 2018 in Deutschland gebildet hat: Am 26. April scheiterte in Berlin ein Volksentscheid, mit dem eine Änderung des Berliner Klimaschutz- und Energiewendegesetzes erreicht werden sollte, um das Land Berlin nicht erst 2045, sondern bereits 2030 klimaneutral zu machen. Zwar stimmte eine knappe Mehrheit der Abstimmenden für den Vorschlag. Das notwendige Quorum, nach dem mindestens 25 Prozent der Wahlberechtigten mit Ja stimmen müssen, wurde bei einer Wahlbeteiligung von knapp 36 Prozent jedoch deutlich verfehlt.

Jessamine Davis vom Bündnis Klimaneustart erklärt sich das Scheitern des Plebiszits in einem Interview mit der Taz: »Wir haben mit zahlreichen Klimapsychologinnen gesprochen, die immer gesagt haben: Wenn Menschen Angst spüren, dann schalten sie ab. Wir hätten mehr die positiven Visionen und Beispiele in den Fokus rücken müssen.« Dass diese Erklärung nicht trägt, enthüllt ein Blick auf die Ergebnisse in den einzelnen Wahlkreisen.

Denn diese variieren stark. Für den Vorschlag stimmten mehrheitlich Wäh­ler:innen in den Bezirken innerhalb des Berliner S-Bahnrings. Das Quorum wurde in vielen Wahlbezirken in Prenzlauer Berg, Kreuzberg, Neukölln, Friedrichshain und Wedding erreicht. Diese Stadtteile haben in den vergangenen 30 Jahren einen Zuzug von gutverdienenden, linksliberalen Akade­miker:innen sowie links eingestellten Student:innen verzeichnet.

Außerhalb des S-Bahnrings stimmte die Mehrheit der Wähler:innen gegen die Initiative. Beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk Berlin-Brandenburg führte man das darauf zurück, die dort lebenden Menschen seien stärker auf das Auto angewiesen als die in den Innenstadtbezirken. Gemutmaßt wurde zudem, die Blockadeaktionen der Letzten Generation, von denen viele dieser Wähler:in­nen, sofern sie mit dem Auto einpendeln, betroffen gewesen seien, hätten abschreckend gewirkt. Doch auch diese Erklärung dürfte zu kurz greifen.

In den Wahlbezirken der Berliner Stadtteile Mahlsdorf, Kaulsdorf und Biesdorf stimmten, bei einer Beteiligung von 40 Prozent und mehr, 60 bis 80 Prozent der Wähler:innen gegen den Klimaentscheid.

Auffällig ist die besonders hohe Quote von teils über 70 Prozent Nein-Stimmen in den Außenbezirken Ostberlins, bei einer oft überdurchschnittlich hohen Wahlbeteiligung. In den Wahlbezirken von Mahlsdorf, Kaulsdorf und Biesdorf stimmten, bei einer Beteiligung von 40 Prozent und mehr, 60 bis 80 Prozent der Wähler:innen gegen die Gesetzesänderung. Diese Wahlbezirke decken sich mit Deutschlands größtem zusammenhängendem aus Ein- und Zweifamilienhäusern bestehenden Stadtgebiet.

Die beste Erklärung für das Abstimmungsergebnis könnte demnach von der Bild-Zeitung vorgelegt worden sein. Die titelte am 8. April: »Die Politiker gefährden unser Lebenswerk«, und porträtierte Eigenheimbesitzer, die aufgrund geplanter Gesetzesänderungen, die zum Beispiel auf die Umstellung von Heizungssystemen und die Pflicht zu besserer Wärmedämmung zielen, große Kosten fürchten.

Tatsächlich gibt es in Deutschland eine breite Mittelschicht, die während ihres Berufslebens kreditfinanziert ein Eigenheim baut oder erwirbt, um im Alter dort mietfrei zu wohnen und es an ihre Nachkommen zu vererben. Diese Menschen können sich durch gesetzliche Umbau- und Sanierungspflichten nötig werdende größere Investitionen in das Haus oft nicht leisten. Sie befürchten erhebliche Vermögensverluste im Zuge der in der Transformation zum postfossilen Kapitalismus stattfindenden Kapitalentwertung. Diese Angst ist in Ostdeutschland, wo diese Schicht über deutlich geringere Finanzreserven verfügt als im Westen, besonders groß.

Dass abstiegsbedrohte Teile der Mittelschicht ein fruchtbares Reservoir für politische Radikalisierung und Mobilisierungen nach rechts darstellen, ist eine politikwissenschaftliche Binse. Die Befürchtung, dass die Klimapolitik immer öfter zum Ausgangspunkt solcher Mobilisierungen wird, ist nur allzu berechtigt. Der damit verbundene Kulturkampf um Lebensstile – lastenradfahrende urbane Kosmopo­lit:in­nen versus bodenständige Vertei­diger:innen des Rechts auf hochmotorigen Individualverkehr – bietet hierfür genug Anknüpfungspunkte. Er äußert sich in jener regressiven Kritik an den Grünen, die der Partei unterstellt, Deutschland deindustrialisieren zu wollen.

Für die anderen Parteien bieten diese Ressentiments wiederum Mobilisierungsmöglichkeiten. In Berlin haben SPD und CDU bei der jüngsten Abgeordnetenhauswahl mit ihren Kampagnen für die Autofahrer:innen der Außenbezirke damit experimentiert, auf Bundesebene versucht derzeit die FDP, mit diesem Thema in der Wählergunst zu steigen. Wahlen mögen sich so gewinnen lassen. Nicht gelöst wird damit das Problem, dass ein Umstieg auf eine Wirtschaft, die ohne fossile Energien auskommt, unter kapitalistischen Bedingungen, wenn nicht anders abgefedert, wohl die Verarmung eines großen Teils der Bevölkerung nach sich ziehen wird.