Beschäftigte von Amazon kämpfen um bessere Arbeitsbedingungen

Verdi stört das Ostergeschäft

Beschäftigte des Versandhandelskonzerns treten vermehrt in den Streik. Sie fordern bessere Arbeitsbedingungen, einen höheren Stundenlohn und einen Tarifvertrag.

Für Amazon ist Ostern ein besonders umsatzstarker Zeitraum. Das wissen auch die Angestellten des Amazon-Standorts im bayerischen Graben – und traten vorige Woche am Gründonnerstag in den Ausstand. Rund 150 Mitarbeiter beteiligten sich an dem eintägigen Streik. Die Stimmung zwischen ihnen und der Geschäftsführung ist genauso unterkühlt wie das Wetter am Gründonnerstag.

»Andernorts streiken wir für Lohnerhöhungen, bei Amazon erst einmal darum, überhaupt einen Tarifvertrag zu bekommen«, sagte der Streikleiter Thomas Gürlebeck von Verdi. Die Fronten scheinen verhärtet. Während Amazon an Ostern Riesenumsätze einfahre, kämen die Beschäftigten kaum über die Runden. Amazon verweist auf die Lohnsteigerungen der vergangenen Jahre. Im September 2022 wurde der Stundenlohn bundesweit auf 13 Euro erhöht.

»Wir glauben an die Kombination aus fairem Lohn und attraktiven Zusatzleistungen in einer modernen Arbeitsumgebung«, so Rocco Bräuniger, Amazons Country Manager für Deutschland. Oberste Priorität habe die Gesundheit am Arbeitsplatz und »ein respektvolles und wertschätzendes Miteinander«. »Viele der Beschäftigten haben am Monatsende kaum mehr Geld für Benzin, um überhaupt zur Arbeit zu kommen«, berichtete hingegen Gürlebeck. Solange Amazon die Tarifverträge des bayerischen Einzel- und Versandhandels nicht anerkenne, werde daher weitergestreikt.

Bereits am 2. April hatten rund 200 Beschäftigte von Amazon im niedersächsischen Winsen gestreikt. Die Streikenden forderten, dass Amazon die Flächentarifverträge des Einzel- und Versandhandels in Niedersachsen anerkennt und den Tarifvertrag »Gute und Gesunde Arbeit« unterzeichnet, der unter Einbeziehung der Beschäftigten »gesunde Arbeitsbedingungen« gewährleisten soll.

Obgleich Bräuniger betont, dass »faire Löhne« ein »wichtiger Bestandteil guter Arbeitsbedingungen« seien, könnten viele Angestellte von den Löhnen bei Amazon kaum leben, sagte auch Serdal Sardas der Jungle World. Er ist Betriebsratsrat einer sogenannten Delivery Station des Amazon-Konzerns in Wunstorf. An seinem Standort beziehe ein Großteil der Beschäftigten neben dem Lohn noch Bürger- oder Wohngeld. »Selbst Teamleiter erhalten zusätzlich noch Sozialleistungen«, so Sardas.

Für Singles sei es am Rande von Hannover vielleicht gerade noch möglich, mit dem Lohn über die Runden zu kommen. Mit Kindern oder alleinerziehend gehe diese Rechnung aber nicht mehr auf. »Viele arbeiten erst als Leiharbeiter und bekommen dann befristete Verträge«, so Sardas weiter.

Amazon macht es der Gewerkschaftsarbeit schon durch seine Betriebsstruktur schwer, einheitliche Forderungen durchzusetzen. Der Standort Winsen beispielsweise ist ein sogenanntes Fulfillment Center – ein großes Logistiklager. Von dort kommen die Waren in die »Sortation Center«, in denen die Pakete sortiert werden. Die »Delivery Stations« verteilen schließlich die Pakete auf die Touren der Subunternehmen, die sie an die Kunden ausliefern. »Jede dieser Stationen ist rechtlich eigenständig. Und insofern kämpft eigentlich jeder für sich selbst«, so Sardas. An seinem Standort wachse die Zahl der gewerkschaftlich organisierten Kollegen – trotz vieler Ängste.

»In Winsen ist die Zahl der gewerkschaftlich organisierten Kollegen innerhalb des letzten Jahrs von 100 auf rund 500 gestiegen.« Nonni Morisse, Verdi

Denn bei Amazon herrscht ein rigides Arbeitsregime. So misst beispielsweise die App Amazon Flex, wie lange die Mitarbeiter für die einzelnen Tätigkeiten benötigen. Das setze gerade Geflüchtete unter zusätzlichen Druck. »Mit unsicherem Aufenthaltsstatus schleppt man dann schnell immer mehr Pakete, weil die App kontinuierlich die Anzahl und jede Sekunde Pause misst«, sagte Nonni Morisse, der für Amazon zuständige Gewerkschaftssekretär von Verdi Niedersachsen-Bremen, der Jungle World.

Dennoch beobachtet er eine Veränderung: »Obwohl gerade viele Geflüchtete dringend auf den Job angewiesen sind, tragen zunehmend mehr Kollegen offen Gewerkschaftsbuttons oder Verdi-­Pullover.« Und weiter: »In Winsen ist die Zahl der gewerkschaftlich organisierten Kollegen innerhalb des letzten Jahrs von 100 auf rund 500 gestiegen.«

Der Konzern gehe allerdings immer stärker gegen gewerkschaftliche Arbeit vor, so Verdi. Erst Anfang April wurde der Betriebsratsvorsitzende Detlev Börs am Standort Winsen fristlos gekündigt. Amazon hatte ihm vorgeworfen, beim Deutschen Betriebsrätetag im November 2022 an einem Tag nicht teilgenommen, diesen aber dennoch als Arbeitszeit abgerechnet zu haben. Das Arbeitsgericht Lüneburg hat der fristlosen Entlassung nun zugestimmt. Börs verrichtete nach eigenen Angaben Betriebsratsarbeiten in einem Café. Weder sein Arbeitgeber noch das Arbeitsgericht folgten dieser Argumentation. »Das Urteil ist skandalös. Wir werden die nächste Instanz anrufen«, teilte Morisse der Jungle World mit.

Auch in Wunstorf und in Achim kämpfen derzeit gewerkschaftsnahe Betriebsratsmitarbeiter um ihren Arbeitsplatz. Indes teilte Amazon dem NDR mit, die Betriebsräte seien »die wichtigsten Betriebspartner«. Morisse hingegen sagte dem Spiegel, Amazon schicke »bei jeder Betriebswahl eigene Leute ins Rennen, arbeitgebernahe Manager und Führungskräfte«. Verdi vermutet daher, der Konzern wolle gezielt kritische ­Betriebsbeiräte durch loyale ersetzen.