Vor einem Hamburger Zivilgericht wird über eine NS-Täter-Biographie gestritten

Erinnern oder nicht

Oscar Toepffer spielte eine wichtige Rolle im nationalsozialistischen Hamburg. Seine Enkelin will nun erreichen, dass ein Lebensporträt ihres Großvaters aus einem Geschichtsbuch gestrichen wird. Das Urteil ist von Bedeutung für die historische Aufarbeitung des Nationalsozialismus.

Im Hamburger Zivilgericht wird derzeit wieder um Erinnerung gestritten. Eine Enkelin des NS-Funktionärs Oscar Toepffer will erreichen, dass ein Lebensporträt ihres Großvaters aus einem Geschichtsbuch gestrichen wird. Sie argumentiert mit dem Urheber- und Persönlichkeitsrecht. Der Prozess wirft die Fragen auf, ob es ein Recht auf Vergessenwerden gibt und ob dieses Recht für Personen gilt, die in der Öffentlichkeit standen.

Oscar Toepffer gehörte zur Funktionselite des NS-Regimes in Hamburg, zur Regierung des Stadtstaats und war kurzzeitig sogar Schulsenator. »Als Mitglied der Hamburger NS-Regierung trägt Oscar Toepffer die Mitverantwortung für alle Entscheidungen des Senats«, sagte der Historiker Hans-Peter de Lorent der Zeit. »Auch für die Deportation der Juden aus Hamburg, für die Schließung der jüdischen Bildungseinrichtungen und für die Terrormaßnahmen gegen die NS-kritische Bevölkerung.« Toepffer nahm ab 1939 als Offizier am Zweiten Weltkrieg teil, zuletzt im Rang eines Majors. Aus dieser Zeit sind Briefe enthalten, die er seiner Frau Gretchen schrieb und die von einer Tochter Toepffers transkribiert wurden. Sie sind ein Zeugnis der Zeit und für Historiker eine wichtige Quelle, um Toepffers Haltung zum Nationalsozialismus zu beurteilen. »In den Briefen schwingt bis zur Kriegswende 1943 eine große Begeisterung für das NS-Regime und besonders für die Reden von Adolf Hitler mit«, erläutert Hans-Peter de Lorent im Gespräch mit der Jungle World.

»In den Briefen schwingt bis zur Kriegswende 1943 eine große Begeisterung für das NS-Regime und besonders für die Reden von Adolf Hitler mit.« Hans-Peter de Lorent, Historiker

In einem Porträt über Toepffer belegt de Lorent dies mit Zitaten aus den Briefen. Toepffer sei »stolz darauf, dabei sein zu dürfen«, und spricht über seine »feste Zuversicht und (…) festes Vertrauen zu Hitler«. Die Aussagen gipfeln in der Prophezeiung, man werde »eines Tages die Frage aufwerfen, ob der Führer als Staatsmann oder als Feldherr größer war«. Mit der Kriegswende 1943 werden die Briefe nüchterner, allerdings äußert Toepffer noch Mitte Juli 1944 seine tiefe Erschütterung über das Attentat auf Hitler.

Dieses Porträt hat Hans-Peter de ­Lorent in seiner dreibändigen Reihe »Täterprofile. Die Verantwortlichen im Hamburger Bildungswesen unterm Hakenkreuz« veröffentlicht. In den bei der Landeszentrale für politische Bildung erschienenen Bänden skizziert de Lorent die Lebensläufe von 180 Personen. »Ich habe zunächst nur positive Rückmeldungen bekommen. Doch dann erhielt die Landeszentrale für politische Bildung im Jahr 2018 ein Schreiben von Christel S.«, erzählt de Lorent. Die Enkelin von Oscar Toepffer beklagte sich darin, dass sie in der Veröffentlichung die Korrespondenz ihrer Großeltern gefunden habe. Zunächst drückte sie nur ihre Verwunderung aus und bat um Erklärung, die sie auch prompt erhielt: De Lorent antwortete ihr, die Korrespondenz sei ihm von zwei Töchtern Toepffers für seine Forschung zur Verfügung gestellt worden.

Doch Christel S. genügte diese Erklärung nicht. Sie reichte Klage gegen de Lorent und die Hansestadt vor dem Landgericht für Zivilsachen Hamburg ein. Sie sah das »postmortale Persönlichkeitsrecht« von Oscar Toepffer als verletzt an und verlangte die Streichung ihres Großvaters aus dem Band. Die Klägerin verwies außerdem darauf, dass ihr Großvater kein Nazi gewesen sei. Es gebe »keinerlei Anhaltspunkte« für eine Täterschaft. Auch in die Partei sei er 1937 nicht freiwillig eingetreten. Dabei verwies sie auf das Entnazifizierungsverfahren Oscar Toepffers. Allerdings haben viele Nationalsozialisten solche Verfahren ohne größere Konsequenzen überstanden, während Toepffer unter den Alliierten nicht mehr mit Regierungsaufgaben betraut wurde.

Vor allem aber warf S. de Lorent vor, sich die Korrespondenz ihrer Groß­eltern erschlichen zu haben. Zumindest eine der Töchter Toepffers, Gertrud B., habe »nie ihre Zustimmung« zur Veröffentlichung der umfangreichen persönlichen Korrespondenz gegeben. Außerdem hätte der Historiker nach ­Ansicht von S. auch von allen anderen noch lebenden Angehörigen die Erlaubnis für die Veröffentlichung einholen müssen. »Die Familie hat sich damals mit mir in Verbindung gesetzt und mich aktiv bei meiner Forschung unterstützt und zusätzliche Materialien übergeben«, sagte de Lorent dazu der Jungle World. In einem weiteren Gespräch habe er den beiden Töchtern mitgeteilt, was er zu veröffentlichen beabsichtigte. Bei diesem Treffen sei Christel S. nicht allerdings zugegen gewesen.

Dass ein »Recht auf Vergessenwerden« Verstorbenen nicht zustehe, hat die 8. Kammer des Landesgerichts für Zivilsachen bereits festgestellt, wie einem Bericht der Zeit zu entnehmen ist.
Dem Hamburger Landgericht scheint recht bald klar geworden zu sein, dass es sich hier um einen Präzedenzfall handelt, der weitreichende Folgen für die geschichtliche Forschung hätte. Den vom Gericht vorgeschlagenen Vergleich, demzufolge die restliche Auflage des zweiten Bandes der »Täterprofile« Anfang dieses Jahres eingestampft werden sollte, haben die Stadt, die Verantwortliche der Landeszentrale und auch de Lorent abgelehnt. Es sei undenkbar, dass 90 Jahre nach der Bücherverbrennung durch die Nationalsozialisten eine so »relevante wissenschaftliche Aufarbeitung der Nazi-Geschichte« eingestampft wird, meinte der Hamburger Bildungssenator Ties Rabe (SPD) zu dem Vergleich. Rabe hat für die Veröffentlichung das Geleitwort ­geschrieben. »Sollte der Klage stattgegeben werden, würde dies die historische Forschung massiv beeinträchtigen. Man kann ja kaum gewährleisten, sich jeweils von allen noch lebenden Angehörigen das Einverständnis für die Veröffentlichung von Quellen einzuholen«, bemerkte de Lorent im Gespräch mit der Jungle World.

Vor Gericht gab de Lorent an, dass ihm die beiden Töchter des Nazi-Funktionärs zwar die Briefe mitsamt Fotos zur Verfügung gestellt hätten, eine schriftliche Einwilligung zur Veröffentlichung hatte er indes nicht eingeholt. Dies könnte im Verfahren zum Problem für ihn werden. Das Urteil, mit dem im Februar gerechnet wird, dürfte von Seiten der Historikerzunft aufmerksam zur Kenntnis genommen werden.