Der Logistikkonzern Kühne und Nagel will seine NS-Vergangenheit nicht aufarbeiten lassen

Philanthropie und Arisierung

Der Autor Sven Pfizenmaier hat die Nominierung zum Klaus-Michael-Kühne-Preis abgelehnt. Der Stifter des Preises verhindere seit langem die Aufarbeitung der NS-Vergangenheit seines Unternehmens Kühne und Nagel. Dieses war im großen Stil an der »Arisierung« jüdischen Eigentums beteiligt.

Im Gegensatz zu manch anderen literarischen Gegenwartsdiagnosen junger Autoren geht es in Sven Pfizenmaiers Debütroman »Draußen feiern die Leute« nicht um postmoderne Beziehungsverhältnisse, Berliner Technopartys oder die großstädtische Konsumwelt der zehner Jahre. Der Roman beginnt mit den Vorbereitungen eines Dorffests. Die Geschichte handelt von Schützenvereinen und Schlägereien zwischen Kurden und Türken oder Deutschen und Russen. In dem Ort unweit von Hannover ist die neue Umgehungsstraße Dorfgespräch, die Jugend trifft sich zum »Handymusikhören« und Shisha-Rauchen auf »dem Hindenburg« – dem »asphaltierten Platz, benannt nach dem Mann, der Adolf Hitler zum Reichskanzler ernannt hat«.

Der im März erschienene Roman sei »verspielt und mutig«, hieß es im Deutschlandfunk, »seine Motive und Bilder zeugen von einem Autor, der ­offensichtlich ein großer Kinogänger ist und schreiben kann«. Im Sommer wurde Pfizenmaier neben sieben anderen Autoren für den mit 10 000 Euro dotierten Klaus-Michael-Kühne-Preis für den besten Debütroman des Jahres nominiert. Die Verleihung soll am 18. September im Hamburger Luxushotel The Fontenay stattfinden. Doch Sven Pfizenmaier hat vergangene Woche mitgeteilt, »seine Nominierung zurückzuziehen«. Grund sei, dass »sich Klaus-Michael Kühne aktiv dagegen wehrt, die NS-Historie seines Unternehmens aufzuarbeiten«.

1933 hatten die Gebrüder Kühne den jüdischen Miteigentümer Adolf Maass aus der Firma gedrängt.

Klaus-Michael Kühne ist in Hamburg und auch in Bremen viel mehr als nur der Sponsor des nach ihm benannten Literaturpreises. Der Unternehmer ist in der jeweiligen Führungsschicht der beiden Städte bestens vernetzt und mit seiner Stiftung philanthropisch tätig. Der milliardenschwere »Gönner« (Bild) und HSV-Investor ist Mehrheitsaktionär von Kühne und Nagel – in Eigenschreibweise Kühne + Nagel –, einem der größten Logistikkonzerne in Deutschland. Im Internet präsentiert Kühne und Nagel sich als nachhaltiges Unternehmen mit gesellschaftlicher Verantwortung. »Seit 1890 verpflichten wir uns, die Gesellschaft voranzubringen«, heißt es dort. Vorangebracht hat Kühne und Nagel eine Zeitlang auch der Nationalsozialismus, besonders bei der »Arisierung« jüdischen Eigentums.

Im April 1933 drängten die Gebrüder Alfred und Werner Kühne, die Söhne des im Jahr zuvor verstorbenen Firmenmitgründers August Kühne (der andere, Friedrich Gottlieb Nagel, war bereits 1907 verstorben), den jüdischen Miteigentümer Adolf Maass aus der Firma. Am 1. Mai 1933 traten sie der NSDAP bei. Später war das Unternehmen Kühne und Nagel wie kein anderes am Raub jüdischen Eigentums in Westeuropa beteiligt. Wie Lukas Betzler kürzlich in seinem Artikel »Kühne + Nagel: Logistiker des NS-Staats« im Hamburger Stadtmagazin Untiefen schrieb, habe die »Firma im Rahmen der sogenannten ›M-Aktion‹ der ›Dienststelle Westen‹ Raubgut (vor allem Möbel) aus den Wohnungen deportierter oder geflohener Jüdinnen und Juden nach Deutschland« abtransportiert. In diesem »wahrscheinlich größten Raubzug der jüngeren Geschichte wurden zwischen 1942 bis 1944 etwa 70 000 Wohnungen geplündert, davon wohl etwa die Hälfte mit Hilfe von K + N«.

Nachdem sich jahrelang eine Bürgerinitiative dafür eingesetzt hatte, soll nun in Bremen eine Statue errichtet werden, die an die »Arisierung« unter Beteiligung von Kühne und Nagel erinnert. Das Unternehmen beteiligt sich nicht an den Kosten. Bis heute sperrt sich die Firma gegen eine umfängliche Aufarbeitung ihrer NS-Vergangenheit; die entsprechenden Unterlagen seien am Ende des Zweiten Weltkrieges verbrannt, lässt die Firma immer wieder verlauten und wehrt sich gegen die Einsetzung einer unabhängigen Historiker-Kommission.

In Sven Pfizenmaiers Roman hat das Dorf auch heute noch einen Hindenburgplatz – »die landesweite Umbenennungswelle (…) ist hier unbemerkt ­vorübergezogen«, heißt es in dem Buch. Auch an Kühne und Nagel ist die Aufarbeitungswelle vorbeigegangen. Zahlreiche deutsche Konzerne, Behörden und Ministerien haben Historiker beauftragt, um ihre jeweilige Vergangenheit offenzulegen. Zwar sollte das »keinesfalls als Erfolgsgeschichte verstanden werden«, betont Daniel Schuch im Gespräch mit der Jungle World; er forscht am Historischen Institut der Universität Jena zur Nachgeschichte des Nationalsozialismus. Große deutsche Unternehmen wie Volkswagen, Siemens und Daimler-Benz hätten »jahrzehntelang ihre Beteiligung an Zwangsarbeit und anderen NS-Verbrechen« bestritten. Nur aufgrund von erheblichem politischem Druck hätten sie mit der Aufarbeitung der Firmengeschichte zwischen 1933 bis 1945 begonnen. Und »Schuld und Schulden wurden kaum beglichen«, so Schuch. Doch Kühne und Nagel will sich offenbar sogar diesem Minimum der deutschen Ver­gangenheitsbewältigungsroutine verweigern.