Die Zeit besiegen
Trotz verstreuter Neuauflagen einiger ihrer Arbeiten erinnert sich heutzutage kaum mehr jemand an Else Feldmann. Die 1884 geborene Wiener Schriftstellerin hatte sich zunächst mit Sozialreportagen, dann mit ihrem 1921 erschienenen Roman »Löwenzahn« einen Namen gemacht, der das Elend proletarischer Frauen um die Jahrhundertwende literarisch verarbeitete. 1933 wurde sie Mitgründerin der Vereinigung sozialistischer Schriftsteller, die ein Jahr später verboten wurde. Mit dem »Anschluss« Österreichs 1938 geriet ihr Werk auf die »Liste des schädlichen und unerwünschten Schrifttums«. Vier Jahre später nahm die Gestapo sie fest, kurz darauf wurde Feldmann im Vernichtungslager Sobibor ermordet. Leben und Werk der Autorin erfuhren erst mit Elisabeth H. Debazis 2021 erschienener Studie »Schreiben vom Rand« umfänglichere wissenschaftliche Aufmerksamkeit.
Bei Feldmann handelt es sich um eines von zahlreichen aus Wien stammenden jüdischen Opfern der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik, die sich vor ihrer Ermordung schreibend betätigt hatten und an deren Wirken sich heutzutage kaum noch jemand interessiert zeigt. Es gibt Ausnahmen: Im 2. Bezirk erinnert beispielsweise eine Gedenktafel an Jura Soyfer, dessen Werk in den siebziger Jahren wiederentdeckt wurde und dessen in viele Sprachen übertragene Stücke nach wie vor aufgeführt werden. In der Heinestraße 4 befand sich die letzte Wohnung des politisch aktiven Autors, der in den dreißiger Jahren mit Grete Hartwig-Manschinger und Kurt Manschinger das kurzlebige politische Kabarett »Die Seeschlange« betrieben hatte. Während sich das antifaschistische Ehepaar 1938 über die Tschechoslowakei nach England und später in die USA retten konnte, wurde Soyfer beim Versuch, in die Schweiz zu fliehen, aufgegriffen, ins KZ Dachau und von dort nach Buchenwald verschleppt, wo er 1939 starb.
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