Die koalitionsbereite SPD arbeitet an ihrem eigenen Untergang

Die kleine Koalition

Die SPD ist programmatisch und strategisch ausgebrannt. Rückgrat zeigt sie auch nicht: Auf ihrem Parteitag beschloss sie »ergebnisoffene Verhandlungen« mit der Union.

Es war eines der am häufigsten benutzten Wörter auf dem SPD-Bundesparteitag Ende vergangener Woche in Berlin: Glaubwürdigkeit. Diese wollten die ­Sozialdemokraten wieder zurückgewinnen, versicherte nicht nur der wiedergewählte SPD-Vorsitzende Martin Schulz. Doch dass das kein ganz einfaches Unterfangen sein würde, zeigte schon ein Blick auf die illustre Aussteller- und Sponsorenliste des Parteitags. Beinahe zu jedem der Punkte, die die Delegierten als »essentiell« für die Sondierungs­gespräche mit der Union benannten, fand sich eine das Anliegen konter­karierende Lobbyvereinigung.

Für »ein faires Gesundheitssystem und bessere Pflege«, etwa durch die Einführung einer Bürgerversicherung? Eine Horrorvorstellung für den Verband der Privaten Krankenversicherung (PKV) und die Debeka, die größte private Krankenversicherung Deutschlands. Für »bezahlbares Wohnen und Mieten« sowie »ein soziales Mietrecht, das den Mietern starke Rechte etwa bei Mieterhöhungen und Wohnraummodernisierungen gibt«? Teufelszeug für den Eigentümerverband Haus und Grund, den Wirtschaftsverband Zentraler Immobilienausschuss (ZIA) und den Branchendachverband der Wohnungs- und Immobileienunternehmen (GdW). Für »sichere Arbeitsplätze« und »gute Löhne«, auch durch eine bessere Regulierung der Zeit- und Leih­arbeit? Ein schlechter Witz für den Interessenverband Deutscher Zeitarbeitsunternehmen (IGZ) ebenso wie für den Arbeitgeberverband Gesamtmetall. Für »Klimaschutz und eine erfolgreiche Energiewende«? Da können Audi, BMW und der Energiekonzern EnBW nur lachen.

Wie die SPD sich auch entscheiden wird, es wird ihr schaden. Schon jetzt steht sie – wieder einmal – als Umfallerpartei da.

Mögen sie auch ein Glaubwürdigkeitsproblem haben, so kann man den Sozialdemokraten wenigstens nicht ihre Geschäftstüchtigkeit absprechen. Das Problem ist nur: Aus ihrer historischen Krise werden sie so nicht herausfinden. So schlecht wie bei der vergangenen Bundestagswahl hatte die SPD zuletzt im März 1933 abgeschnitten, bei der letzten Reichstagswahl vor ihrem Verbot. »Wir haben nicht nur dieses Mal 1,7 Millionen Stimmen verloren, sondern 10 Millionen seit 1998 – fast die Hälfte unserer Wählerschaft«, konstatierte Schulz in seiner Parteitagsrede. Der SPD droht das Schicksal ihrer Schwesterparteien in Frankreich, Griechenland und den Niederlanden, die inzwischen um ihre parlamentarische Existenz bangen müssen. Für ihre ­Beteiligung an der neoliberalen Entwicklung mussten sie einen hohen Preis zahlen. In Polen ist bereits seit der Wahl im Oktober 2015 keine sozial­demokratische Partei mehr im Sejm vertreten.

 

Sozialdemokratie am Scheideweg

Es ist unübersehbar, dass die Sozialdemokratie in ganz Europa an einem Scheideweg angelangt ist. »Wir müssen uns die Frage stellen: Was ist das gemeinsame Element, das uns verbindet in diesem Niedergang der Sozialdemokratie?« sagte Schulz am Mittwoch vergangener Woche auf einer internationalen Konferenz im Willy-Brandt-Haus. Allerdings müssten die SPD und ihre Schwesterparteien auch die richtige Antwort auf diese Frage finden. Wollen sie nicht dauerhaft in der politischen Bedeutungslosigkeit versinken, werden sie ihre Politik deutlich korrigieren müssen. Diese Erkenntnis scheint bei allzu vielen Genossen noch nicht ­angekommen zu sein.

Wie kopflos die SPD ist, zeigt die Zeit seit der Schließung der Wahllokale am 24. September. Noch am Wahlabend verkündete die SPD-Führung, die Große Koalition mit der Union unter keinen Umständen fortzusetzen – ohne das inhaltlich zu begründen.

Was für die Parteibasis wie ein Befreiungsschlag wirkte, war pure Großmäuligkeit, ­gespeist von der Überzeugung, ohnehin nicht mehr gefragt zu sein. Auch in den Wochen danach markierte Schulz den Fundamentaloppositionellen und verweigerte sich hartnäckig allen ­Fragen nach einem Plan B für den Fall, dass die Sondierungen von Union, ­Grünen und FDP scheitern sollten. Dann werde es eben Neuwahlen geben, antwortete er schnoddrig, im festen Glauben, dass »Jamaika« schon zustande kommen würde. Ein ausgesprochen unpolitisches Verhalten – mit fatalen ­Folgen für die SPD. Denn die Partei hatte tatsächlich keinen Plan B. Anders als von Schulz behauptet, hat das Scheitern der Sondierungen nicht zu »einer völlig veränderten politischen Lage im Land geführt«, sondern nur zu einer, auf die die SPD nicht vorbereitet ist.