Vor den Parlamentswahlen

Nase im Wind

Kurz vor den schwedischen Parlamentswahlen liegen die Sozialdemokraten knapp in Führung. Dem Ministerpräsidenten Göran Persson gelingt es, sich mit umweltpolitischen Themen zu profilieren.

Seine Berater haben den Terminkalender des schwedischen Ministerpräsidenten Göran Persson in den letzten Wochen vor der Reichstagswahl am 15. September ganz einfach gestaltet. Wo auch immer der Sozialdemokrat sich tagsüber aufhält, abends ist er wieder zurück in Stockholm. So soll sichergestellt sein, dass der Politiker, wenn nötig, sofort im Fernsehen auftreten oder eine Pressekonferenz abhalten kann.

Bei der UN-Weltkonferenz in Johannesburg wurde jedoch eine Ausnahme gemacht. Persson, der während der Konferenz als einer der wenigen Regierungschefs ein eigenes Seminar abhielt, kam erst zum Frühstück wieder zurück in die schwedische Hauptstadt. Dabei hatten zuvor Umfragen ergeben, dass der Vorsprung der Sozialdemokraten schmilzt und der so genannte Linksblock nur noch um 150 000 Stimmen vor den Bürgerlichen liegt.

»Kaltblütig oder dummdreist?«, fragten die Kommentatoren der großen schwedischen Zeitungen, einigten sich dann jedoch rasch darauf, dass der Auftritt beim Umweltgipfel ein intelligenter Schachzug Perssons gewesen sei.

Zum einen ist die Umweltpolitik ein wichtiges Thema im Land. Gerne verweist man darauf, dass das erste Gipfeltreffen zur globalen Umwelt vor 30 Jahren in Stockholm stattfand. Zudem wollen die Sozialdemokraten die Ökologie auf keinen Fall nur den Grünen überlassen. Vor sechs Jahren, als Persson den Vorsitz der schwedischen Sozialdemokraten übernahm, nannte er in seiner Antrittsrede das traditionelle sozialdemokratische »Volksheim« bereits das »grüne Volksheim«.

Gerade in der letzten Woche bekamen die Schweden zu spüren, dass die Mülltrennung zu Hause nicht reicht. Die Rauchschwaden der riesigen Waldbrände in Russland zogen über die schwedische Westküste, Hunderte verängstigte Bürger riefen in Göteborg und der Umgebung die Feuerwehren an, weil sie glaubten, in ihrer Nachbarschaft brenne es. Der Fallout des russischen Rauchs weckte Erinnerungen an Tschernobyl. Die Radioaktivität aus dem zerstörten Reaktor wurde damals zuerst von schwedischen Messstationen registriert, tagelang forschten Wissenschaftler nach der Ursache für die stark erhöhten Werte.

Teile Nordschwedens gelten seither immer noch als belastet, teilweise wird vor dem Verzehr von Wild gewarnt. Es ernährt sich schließlich von den verseuchten Moosen und Flechten, die Radioaktivität besonders lange speichern.

So erhielt Perssons Reise nach Johannesburg im Nachhinein eine aktuelle Rechtfertigung. Aber auch ohne den Rauch über der Westküste hätte es keinen Grund gegeben, den Abend in Stockholm zu verbringen. Der Ministerpräsident empfing kurz nach seiner Rückkehr den britischen Premier Tony Blair, »den europäischen Superpolitiker, dessen Glanz auch auf Persson ausstrahlen könnte«, wie die Tageszeitung Aftonbladet schrieb. Die Themen der vierstündigen Visite waren der drohende Krieg gegen den Irak, Landwirtschaftsfragen, die Europäische Union und wahrscheinlich auch die Unterstützung des Labour-Vorsitzenden für die schwedischen Sozialdemokraten. »Ich schließe mich der Meinung von Herrn Persson an«, lautete Blairs Standardantwort auf der anschließenden Pressekonferenz.

Solche Anerkennung ist für die heimischen Wähler wichtig. Nach der Aufgabe der traditionellen schwedischen Neutralität gefällt sich das Land schließlich als global player. Nach den Anschlägen vom 11. September sicherte Persson den USA seine uneingeschränkte Solidarität zu, was wenige Jahre zuvor noch undenkbar gewesen wäre.

Zudem finden die Schweden immer mehr Gefallen an der EU, obwohl sie so lange brauchten, sich zum Beitritt zu entschließen. Mittlerweile wollen sie sogar mehrheitlich die Krone zugunsten des Euro aufgeben.

Vielleicht reiste Persson aber auch nur deswegen nach Johannesburg, weil er zu Hause einer sehr unerfreulichen Diskussion ausweichen wollte. Kurz vor seinem Abflug war aus dem Finanzministerium durchgesickert, dass die Staatsausgaben in den nächsten Jahren eher steigen als sinken werden. Das interne »Promemorian«, eine Art Vorbericht, war anlässlich des letzten Haushaltsplans der Regierung verfasst worden. In ihm wird unmissverständlich davor gewarnt, dass sich alle ökonomischen Wachstumsprognosen auf zumindest fragwürdige Grundlagen stützen.

Dies könnte sich noch als ein schwerer Schlag für Persson erweisen, der sich gern als Erneuerer Schwedens feiern lässt. Er räumte während der schweren Wirtschaftskrise Anfang der neunziger Jahre so gründlich auf, wie es sich sein Vorgänger Olof Palme wohl nie hätte träumen lassen. Von den sozialen Errungenschaften, auf die man noch während der siebziger Jahre so stolz war und die andere Länder neidisch auf den Modellstaat schielen ließen, blieb kaum etwas übrig.

Das Arbeitslosen- und das Krankengeld wurden radikal gekürzt, Sozialhilfeempfänger wurden zum Arbeitseinsatz verpflichtet, die Beschäftigten mussten einen Anteil an ihrer Rentenversicherung zahlen. Auch die in Deutschland vor einiger Zeit diskutierte Einführung eines Karenztages war ursprünglich eine schwedische Idee.

Am Ende war Persson jedoch erfolgreich. Mit seiner rigorosen Sparpolitik konnte er das Haushaltsdefizit von ehemals 13 Prozent drastisch senken, sodass nun ein Plus von knapp 1,7 zu Buche steht.

Doch nach der Veröffentlichung des Promemorian wären angesichts der positiven Bilanzen zumindest Zweifel angesagt. Eigenartigerweise wird aber nicht genauer nachgefragt. Nicht einmal die Opposition, der die Enthüllung willkommen sein müsste, beschäftigte sich ernsthaft mit dem Thema.

Ein Grund könnte darin liegen, dass alle Parteien im Wahlkampf den Bürgern mehr Geld versprechen wollten. Die Sozialdemokraten locken mit einer Erhöhung des Kindergeldes sowie mit Finanzhilfen im Gesundheits- und Bildungssektor, andere versprechen Steuererleichterungen.

Nun wird über das Problem geschwiegen. Göran Persson, der im Spiegel schon als »Star der europäischen Sozialdemokratie« und fast sicherer Wahlsieger gefeiert wird, kann jedoch nicht mehr fest damit rechnen, auch nach der Reichstagswahl Ministerpräsident zu sein. Die Opposition holte nach einer Umfrage von Anfang September auf. Nur noch rund drei Prozent beträgt der Vorsprung des Bündnisses der Sozialdemokraten, der Grünen und der Linkspartei. Perssons Partei verlor im Vergleich zum August fast vier Punkte, allerdings wird die grüne Miljöpartie voraussichtlich die Vierprozenthürde schaffen.

Der Block der Bürgerlichen, in dem Konservative, Christdemokraten, Zentrum und Liberale vereinigt sind, hat jedoch auch ein Problem. Die Zentrumspartei liegt derzeit nur ganz knapp über vier Prozent, im Vormonat waren es 5,6 Prozent. Zwölf Prozent der Wähler haben sich nach Angaben des Meinungsforschungsinstituts Sifo noch nicht entschieden.

Und die Christdemokraten wollen sich auch noch nicht geschlagen geben. Gerade erst trat Teres Kirpikli vom Kristdemokraternas Kvinnoförbund, die sich Hoffnungen auf einen Sitz im Riksdag macht, mit einem ganz besonderen Vorschlag an die Öffentlichkeit. »Ich möchte, dass jeden Samstag Erotik- und Pornofilme im Fernsehen laufen«, erklärte Kirpikli, »denn dann haben die Menschen sicher auch wieder mehr Lust auf Sex.« So würden dann automatisch mehr Kinder gezeugt, und damit habe sich dann auch das Rentenproblem erledigt.