Arbeitsverbote für Asylbewerber

Systeme der Nachrangigkeit

Nach ihrer Einreise sollen AsylbewerberInnen ein zweijähriges Arbeitsverbot erhalten: Anstatt ihn abzuschaffen, modifiziert Rot-Grün den Blüm-Erlass.

Rückblick: Juni 1997. In Albanien bricht die staatliche Ordnung zusammen. Tausende fliehen auf vollkommen überfüllten Frachtschiffen über die Adria. Zwar landen die meisten von ihnen in italienischen Lagern oder werden sofort zurückgeschickt, die Bundesregierung schürt trotzdem die Angst vor dem bösen Flüchtling, der den Deutschen die Arbeit wegnehmen will: Arbeitsminister Norbert Blüm (CDU) verhängt ein totales Arbeitsverbot für alle nach dem 15. Mai 1997 eingereisten Flüchtlinge. Die Opposition reagiert harsch auf den Blüm-Erlass: »Das Arbeitsverbot für neu eingereiste Asylbewerber wird keinen Deut dazu beitragen, die Massenarbeitslosigkeit zu lindern, dafür aber Vorbehalte in der Bevölkerung steigern. Die Bundesregierung handelt unaufrichtig und populistisch«, hieß es in einer Erklärung der SPD-Bundestagsfraktion: »Mit der Entscheidung des Bundesarbeitsministeriums erhalten all diejenigen Zulauf, die Asylbewerber als 'Schmarotzer' und 'Schädlinge' einstufen.«

Zurück in die Gegenwart: Juni 2000. Seit zwanzig Monaten sind die, die damals so empört aufgeschrien haben, an der Macht. Mit Walter Riester ist ein Gewerkschafter und SPD-Politiker zum Arbeitsminister aufgestiegen. Doch der Blüm-Erlass ist immer noch in Kraft. Flüchtlinge, die nach 1997 ins Land gekommen sind und noch im Asylverfahren stehen oder nur eine Duldung erhalten haben, weil sie zum Beispiel über einen »sicheren Drittstaat« eingereist sind, dürfen immer noch nicht arbeiten und sind weiterhin dazu verurteilt, von der Sozialhilfe zu leben und sich als »Schmarotzer« und »Schädlinge« bezeichnen zu lassen. Denn, so Riester, »die nachhaltige Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ist die zentrale politische Herausforderung. Eine Öffnung des Arbeitsmarktes für neue Personengruppen würde die Bemühungen um den weiteren Abbau der Arbeitslosigkeit konterkarieren.« Auf Stammtisch-Deutsch: Die Asylanten nehmen uns die Arbeit weg.

»Was die rot-grüne Bundesregierung da macht, ist staatlich organisierter Rechtsbruch«, sagt Christian Wunner, Geschäftsführer des Bayerischen Flüchtlingsrates. Schließlich hätten die Sozialgerichte den Blüm-Erlass in der Vergangenheit bereits mehrfach in Einzelfallentscheidungen für null und nichtig erklärt. So hat zum Beispiel das Sozialgericht Itzehoe vor zwei Jahren entschieden, dass »nach eindeutiger Rechtsauffassung des Gerichts die Möglichkeit zu arbeiten zu den zentralen Faktoren der Persönlichkeitsentfaltung gehört, also dem Schutz des Grundrechts untersteht«. Zudem sind sich die Gerichte einig, dass ein derart weitreichendes Verbot nicht einfach durch einen ministeriellen Erlass gefällt werden könne. Wenn schon, dann müsse ein Gesetz verabschiedet werden. Doch das schert im Arbeitsministerium niemanden. Schließlich, so der Sprecher von Walter Riester, »gibt es noch keine höchstinstanzliche Entscheidung«. So ist der Erlass bisher in Kraft geblieben - mit Erfolg: Denn die wenigsten Flüchtlinge haben die finanziellen Mittel, ihr Recht vor Gericht durchzufechten. Und die wenigsten Arbeitgeber haben die Geduld, monatelang auf das Ende des Rechtsstreits zu warten.

Die Verärgerung bei MigrantInnen und Flüchtlingsinitiativen ist entsprechend groß: »Selbst die größten Skeptiker der rot-grünen Regierung haben geglaubt, dass der Blüm-Erlass schnell fallen wird«, sagt Christian Wunner. »Das hätte man mit einem Federstrich machen können.« Auf die entsprechenden Forderungen der Flüchtlingsinitiativen habe das Arbeitsministerium jedoch mit denselben Phrasen geantwortet wie vor der Bundestagswahl - als habe es gar keinen Regierungswechsel gegeben. Für Wunner ist das »zum Teil unterstes CSU-Niveau nach dem Motto: Arbeit zuerst für Deutsche«.

Inzwischen hat man sich in Berlin dazu durchgerungen, das totale Arbeitsverbot für AsylbewerberInnen etwas zu lockern. Bereits Mitte Februar gab es ein erstes Treffen zwischen VertreterInnen der Koalition sowie des Innen- und Arbeitsministeriums. Die damals gegründete Arbeitsgruppe wird in dieser Woche erneut zusammenkommen, denn bis zur Sommerpause will man eine neue Regelung gefunden haben. Die Aufhebung des Blüm-Erlasses steht dabei jedoch nicht zur Debatte. Er soll stattdessen durch eine Fristenregelung ersetzt werden. Wenn es nach Riesters Ministerium geht, werden Flüchtlinge in Zukunft nach zwei Jahren eine Arbeitserlaubnis erhalten. Die Ausländerbeauftragte der Bundesregierung, Marieluise Beck (Bündnis 90/Die Grünen), fordert eine deutlich kürzere Wartefrist. Aber Wartefrist muss sein, obgleich im Asylbewerberleistungsgesetz ohnehin festgelegt ist, dass Flüchtlinge die ersten drei Monate nicht arbeiten dürfen.

Aller Wahrscheinlichkeit nach wird man sich am Ende auf eine anderthalb- bis zweijährige Frist einigen. So lange also werden die Flüchtlinge weiterhin auf Sozialhilfe angewiesen sein. In München bedeutet das zum Beispiel Essenspakete plus etwas Taschengeld. Wer damit nicht auskommt, dem bleibt auch in Zukunft nichts anderes übrig, als schwarz zu arbeiten - zur Freude der Arbeitgeber. So kommt es, wie Christian Wunner sagt, regelmäßig vor, dass schwarz arbeitende Flüchtlinge um ihren Lohn betrogen werden - bei wem sollten sie ihn denn auch einklagen: »Das Arbeitsverbot nutzt nur den Unternehmern, weil sie so Bedingungen diktieren können, unter denen sonst keiner arbeiten würde«, betont der Geschäftsführer des Bayerischen Flüchtlingsrates. »Es ist unglaublich, dass so etwas von einem ehemaligen Gewerkschaftsfunktionär wie Riester unterstützt wird und dass auch die Gewerkschaftsspitzen für das Arbeitsverbot sind.«

Doch auch für diejenigen AsylbewerberInnen, die nicht unter das Arbeitsverbot fallen, weil sie zum Beispiel schon vor 1997 eingereist sind, bleibt der Zugang zum legalen Arbeitsmarkt oftmals versperrt. Denn vom Arbeitsamt bekommen sie nur eine Arbeitserlaubnis für eine bestimmte Stelle ausgestellt. Bevor sie den Job antreten können, muss vier Wochen lang geprüft werden, ob sich nicht ein Deutscher oder ein »bevorrechtigter Ausländer«, z.B. aus einem anderen EU-Staat, für die Stelle findet. Es gilt der Grundsatz der so genannten Nachrangigkeit. Für viele Berufsgruppen wird zudem überhaupt keine Arbeitserlaubnis erteilt. So bleiben für Flüchtlinge meist nur die Billigjobs wie im Gaststättengewerbe oder bei Umzugsfirmen. Da gerade diese Branchen jedoch auf kurzfristig mobilisierbare Arbeitskräfte angewiesen sind, gehen die meisten Flüchtlinge leer aus. Beim Bayerischen Flüchtlingsrat schätzt man, dass gerade einmal 20 Prozent der MigrantInnen, für die das Nachrangigkeitsprinzip gilt, nicht auf Warengutscheine und ein minimales Taschengeld angewiesen sind.

Und so viel ist sicher: An dem von der Kohl-Regierung geschaffenen Grundsatz der Nachrangigkeit wird auch Rot-Grün nicht rütteln. Das gesamte Wirrwarr verschiedener Unterscheidungskriterien von Aufenthaltsberechtigung, -bewilligung, -befugnis, -gestattung oder -erlaubnis blieb seit 20 Monaten unangetastet. Dieses Chaos ist gewollt und hat im Arbeitsrecht vor allem eines zur Folge: Die Arbeitsämter können meist willkürlich über Arbeitsgenehmigungen entscheiden. Auch der Sprecher des Arbeitsministeriums gibt zu: »Die Rechtslage ist unüberschaubar. Das ist irre, was da alles gewachsen ist in den letzten Jahren.«

Die einzig richtige Konsequenz will man in der Bundesregierung nicht ziehen: Nämlich den Arbeitsmarkt endlich für alle Menschen öffnen, die in diesem Land leben. Als die FDP vor einigen Monaten einen entsprechenden Gesetzesvorschlag in den Bundestag einbrachte, stimmte neben den Liberalen nur die PDS zu. Selbst die Grünen lehnten ab. Schließlich, so die Ausländerbeauftragte Marieluise Beck in der Debatte, »können wir uns nicht so einfach über die aktuelle Situation auf dem Arbeitsmarkt hinwegsetzen. Wir können nicht einfach die Grenze öffnen und jeden, der Arbeit sucht, ins Land bitten.« Wie gesagt: unterstes CSU-Niveau.