Opfer ohne Perspektive

Weil gegen einen ihrer Mitarbeiter wegen Mitgliedschaft in einer "terroristischen Vereinigung" ermittelt wird, soll die brandenburgische Initiative Opferperspektive kein Geld mehr kriegen

Künftig sind sie wieder auf sich allein gestellt. 14 Monate lang konnten Opfer rechter Gewalt bei den Mitarbeitern der Initiative Opferperspektive im brandenburgischen Fürstenwalde Rat und Betreuung finden. Psychotheraupeutische Hilfe, Krankenhausbesuche, Vermittlung von Anwälten und Prozeßbegleitung - für all das war das vierköpfige Team seit Mai 1998 da, wenn es darum ging, den Opfern rechter Gewalt zu helfen. Sprich: Leute zu finden, die sich um die Opfer kümmern und sie begleiten.

Doch damit ist jetzt - zumindest vorerst - Schluß. Denn das Brandenburger Justizministerium hat immer noch nicht über den vorgelegten Förderungsantrag der Initiative entschieden. Schon seit fünf Monaten warten die Mitarbeiter auf die Gelder für die laufende Arbeit, seit Anfang Februar muß das Team die anfallenden Fahrt- und Telefonkosten aus eigener Tasche bezahlen. "Wir haben im Vertrauen auf einen positiven Bescheid aus dem Justizministerium ehrenamtlich weitergearbeitet", berichtet ein Sprecher der Opferperspektive. "Jetzt sind wir verschuldet und müssen die Arbeit erst einmal einstellen."

Noch im vergangenen Jahr hatte das Potsdamer Justizministerium die Opferperspektive mit 45 000 Mark gefördert. Dort heißt es jetzt, der Antrag werde weiterhin geprüft - mit einer Entscheidung sei demnächst zu rechnen. Schließlich, so eine Ministeriumssprecherin, halte man eine Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt nach wie vor für eine wichtige und förderungswürdige Aufgabe. Gründe für die langsame Bearbeitung des Antrages der Opferperspektive auf 135 000 Mark aber will man dort nicht nennen.

Die haben auch wenig mit der Arbeit der Opferperspektive zu tun. Die Projektmitarbeiter glauben zu wissen, warum das Haus von Justizminister Otto Bräutigam (SPD) zögert, die staatlichen Zuschüsse zu bewilligen: Gegen einen der Mitarbeiter der Opferperspektive ermittelt der Generalbundesanwalt. Bereits Anfang Mai sei ihnen von einem Vertreter des Justizministeriums mitgeteilt worden, daß das Projekt nicht weiter gefördert werden könne. Grund: Die Ermittlungen gegen den Mitarbeiter wegen Beteiligung an Anschlägen militanter Anti-AKW-Gegner.

Mit einer positiven Entscheidung rechnet das Team deshalb nicht mehr. Und auch die Regionale Arbeitsstelle für Ausländerfragen (RAA), Trägerin des Projekts, hat die Hoffnung aufgegeben. "Wir haben das Ministerium aufgefordert, die Vorwürfe, die für uns weder nachprüfbar noch zu entkräften waren, aus dem Weg zu räumen", sagt Annegret Ehmann, Leiterin der RAA Brandenburg.

Doch anstelle einer Antwort aus dem Justizministerium folgte am 6. Juli die Durchsuchungsaktion der Bundesanwaltschaft in elf Wohnungen und Betrieben im Wendland, in Bremen, Hamburg und Berlin. Die Bundesanwaltschaft wirft momentan elf Personen - darunter auch dem Mitarbeiter der Opferperspektive - die Mitgliedschaft in einer "terroristischen Vereinigung" nach Paragraph 129a vor, die für eine Serie von Hakenkrallenanschlägen auf die Deutsche Bahn AG im Oktober 1996 und Februar 1997 verantwortlich sein soll. Beamte des Bundeskriminalamtes beschlagnahmten neben Computern, Werkzeugen und Adreßbüchern auch die vertraulichen Beratungsprotokolle und das Archiv der Opferperspektive.

Rechtsanwalt Wolfgang Kaleck, Vertreter des beschuldigten Mitarbeiters der Opferperspektive, bezeichnete die Ergebnisse der Durchsuchungen als "kläglich". "Das Ermittlungsverfahren läuft seit mittlerweile zweieinhalb Jahren, ohne daß ein Ergebnis vorgelegt werden konnte. Die Bundesanwaltschaft handelte erst, nachdem bekannt war, daß die Opferperspektive die Existenz des Ermittlungsverfahrens öffentlich machen wollte", sagte Kaleck. Er verwies darauf, daß ein Großteil der 129a-Verfahren in der Vergangenheit ergebnislos eingestellt wurde und daß diese lediglich zum Ziel hatten, "politisch mißliebige linke Gruppierungen auszuspähen".

Bei den Projekten, die mit der Opferperspektive zusammengearbeitet haben, stößt das plötzliche Ende auf Bedauern und Unverständnis. "Die Initiative ist unverzichtbar für das Gesamtprogramm 'Tolerantes Brandenburg'", sagte der Leiter des Zentrums Demokratische Kultur, Bernd Wagner. "Das Team hat erfolgreich gearbeitet, eine kritische Öffentlichkeit hergestellt und die Betroffenen rechter Gewalt professionell beraten."

Doch innerhalb der Potsdamer Landesregierung stießen die Recherchen der Opferperspektive über die Umstände von rassistischen Angriffen, nicht nur auf Gegenliebe - schon gar nicht im Innenministerium. Das Team vermittelte Kontakte zur Presse und arbeitete eng mit lokalen Antifa- und antirassistischen Gruppen, Gewerkschaften und kirchlichen Arbeitskreisen zusammen. "Unsere Zielsetzung war es, anstelle des Täterdiskurses die Situation der Opfer rechter Gewalt und Möglichkeiten zu ihrer Unterstützung in der Öffentlichkeit zu thematisieren."

Zuviel für die Regierung in Potsdam. Während Brandenburger Politiker in der Öffentlichkeit gerne mit dem vom Innenministerium initiierten "Aktionsprogramm Tolerantes Brandenburg" - die Hälfte der Opferperspektiven-Gelder sollte aus diesem Topf kommen - das arg lädierte Landesimage aufzupolieren versuchen, bereitet man sich intern schon auf eine mögliche CDU/SPD-Koalition nach den Landtagswahlen im September vor. Kritische Projekte wie die Opferperspektive passen da offenbar nicht mehr in den Toleranzrahmen. Die Mitarbeiter hoffen trotzdem, daß sich das Justizministerium doch noch zu einem "rechtsstaatlichen Umgang nach dem Prinzip der Unschuldsvermutung durchringt". "Wie sollen wir den dreißig Menschen, die wir derzeit unterstützen, erklären, daß es für sie ab sofort keine Hilfe mehr gibt?"