Keine dezente Lösung mehr

Kirchenführungen warnen vor Kirchenasyl und drohen ihren Gemeinden mit dem Rechtsstaat

Das Landeskirchenamt der Evangelischen Kirche im Rheinland hat ein Problem. Manfred Kock, der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, und seine Präsidialkollegen wissen aber nicht, wie sie dieses elegant lösen sollen: Etwa 140 kurdische Frauen und Männer, Mädchen und Jungen haben seit Anfang des Jahres in mehreren Kirchen Nordrhein-Westfalens Zuflucht gefunden, um gegen ihre anstehende Abschiebung ins Folterland Türkei zu protestieren: Sie fordern Bleiberecht und Papiere für alle und einen Abschiebestopp für Flüchtlinge in die Türkei.

Als am 21. Januar die ersten drei kurdische Familien in der Kölner Antoniterkirche Aufnahme fanden, glaubten die Kirchenoberen noch an eine dezente und zuvor jahrelang erprobte Lösung: In Gesprächen mit Ausländerbehörde und Innenministerium wird versucht, einvernehmlich eine erneute Prüfung des Falles und eine langfristige Duldung zu erreichen. Einzelfallösung ohne öffentliches Aufsehen war die Devise. Die Kirchengemeinde und das ökumenische Netzwerk "Asyl in der Kirche" konnten sich deshalb damals weitgehend der Unterstützung durch die rheinländische Kirchenleitung sicher sein.

Die immer restriktivere Ausländerpolitik der letzten Jahre hat jedoch dazu geführt, daß es immer mehr illegalisierte AusländerInnen gibt. Kein Wunder, daß immer mehr "Einzelfälle" in den Kirchenaktionen eine Chance sahen, ihr Bleiberecht durchzusetzen. Täglich kamen neue "papierlose" KurdInnen, um sich unter kirchlichen Schutz zu stellen. Die Aktivitäten der Asyl-Netzwerker, der Kampagne "Kein Mensch ist illegal" und ihrer kirchlichen Mitstreiter in den Gemeinden sorgten dafür, daß weitere Kirchen in Nordrhein-Westfalen Flüchtlinge aufnahmen. Nach Informationen von Martin Rapp, dem Geschäftsführer von Asyl in der Kirche bieten derzeit 17 evangelische und fünf katholische Gemeinden "Kirchenzuflucht".

Das Problem der Kirchenführung:

Die Aktion ist inzwischen so groß und erreicht so viel öffentliche Aufmerksamkeit, daß an eine "dezente Lösung" - wie es ein Kirchenfunktionär ausdrückt - nicht mehr zu denken ist. Die nordrhein-westfälischen Sozialdemokraten wollen angesichts von rund 20 000 illegalen KurdInnen, so eine internen Schätzung des Düsseldorfer Innenministeriums, im bevölkerungsreichsten Bundesland keinen Präzedenzfall schaffen. Sie schreiten lieber Seit' an Seit' mit dem CDU-Innenminister Manfred Kanther bei der Verteidigung der "Festung Europa". Auch ein vorübergehender Abschiebestopp für die kurdischen "Papierlosen" komme nicht in Frage, erklärt ein Mitglied des Landtags, das anonym bleiben will. Die Grünen versichern zwar den "Kirchenzuflüchtigen" ihre Solidarität, aber bei ausländerpolitischen Fragen haben sie auf ihren Koalitionspartner noch nie Einfluß ausüben können.

In einem Schreiben vom April hat NRW-Innenminister Franz-Josef Kniola (SPD) die unnachgiebige Haltung der Regierungskoalition bekräftigt: "Wer mit seinem Asylbegehren keinen Erfolg hat, muß deshalb anschließend unser Land wieder verlassen. Dies ist auch bei türkischen Staatsangehörigen kurdischer Volkszugehörigkeit nicht anders."

Gleichzeitig droht Kniola, wenn auch noch verklausuliert, mit der Aufkündigung der Zusammenarbeit zwischen den Ausländerbehörden und den kirchlichen Stellen bei der Einzelfallprüfung von in Kirchenasyl lebenden Illegalisierten.

Die oberste Kirchenleitung der Lutheraner hat den Hinweis Kniolas verstanden. In vorauseilendem Gehorsam versuchen sie, den BleiberechtsaktivistInnen innerhalb der Kirchengemeinde das Wasser abzugraben. Diskret werden telefonisch Pfarrer und Pfarrerinnen bearbeitet, ihre Kirchenportale den "Papierlosen" nicht zu öffnen. Es werden Gerüchte gestreut, hinter der Kampagne stecke eine Gruppe Linksradikaler, deren Ziel der Sturz der demokratischen Grundordnung sei.

In einem Schreiben an die evangelischen Kirchengemeinden in Nordrhein-Westfalen unterstellt der derzeitige Ausländerbeauftragte der evangelischen Kirche im Rheinland, der Landeskirchenrat Jörg Erik Gutheil, dem Aktionsbündnis Kein Mensch ist illegal, das "Schicksal von Flüchtlingen für eigene politische Ziele zu instrumentalisieren". Auf vier Seiten versucht Gutheil, der über hervorragende Beziehungen zum NRW-Innenministerium verfügt, die Initiative wieder an sich zu reißen und die Kirchengemeinden darauf einzuschwören, "den in der Ausländer- und Asylarbeit erfahrenen haupt- und ehrenamtlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Landeskirche und Diakonie" die Arbeit zu überlassen. Denn "politische Entscheidungsträger lassen sich in einer solchen Situation nicht durch (politische) Aktionen (...) bestimmen."

Streng versucht der gute Hirte aus Düsseldorf, seine Schäfchen auf den Dienstweg zurückzuführen. Die KurdInnen hätten die in NRW bestehenden Möglichkeiten nicht genutzt, sich an die Härtefallkommission des Innenministeriums und den Petitionsausschuß des Landtages zu wenden, um eine Abschiebung zu verhindern.

Jörg Erik Gutheil müßte es besser wissen. Er gehört selbst der NRW-Härtefallkommission als Vertreter der evangelischen Kirche an, und ein Teil der jetzt in Kirchenräumen lebenden KurdInnen sind in dieser Kommission unter seiner Beteiligung mit ihrer Bitte nach einer Duldung in der Bundesrepublik gescheitert.

Ob es Gutheil schafft, mit seinem Brief Kirchengemeinden davon abzubringen, KurdInnen Unterschlupf zu gewähren, wird sich in den nächsten Wochen zeigen. Bei einigen Presbyterienmitglieder hat er das Gegenteil erreicht. Sie sind über die Einmischung Gutheils in Gemeindeangelegenheiten empört:"Eigentlich sollte der Gutheil als Diener und Helfer der Gemeinden auftreten, statt dessen versucht er sich als Büttel und verlängerter Arm Kniolas." Das ökumenische Netzwerk Asyl in der Kirche hat sich an den Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Manfred Kock, gewandt und ihn aufgefordert, sich vor Ort ein Bild über die Lage der Flüchtlinge im Kirchenasyl zu machen.

Mehrere protestantische Gemeinden haben sich, den warnenden Worten der Kirchenleitung zum Trotz, bereiterklärt, "Papierlosen" Zuflucht zu gewähren. Präses Kock soll nach Ansicht von Asyl in der Kirche an einem öffentlichen Hearing zur "Lage der Menschenrechte in der Türkei und der Asylpraxis in der Bundesrepublik" teilnehmen, das am 7. Juni auf Initiative zahlreicher Kirchengemeinden in der Düsseldorfer Johanniskirche stattfinden wird.

Während die evangelische Kirchenleitung noch Briefe schreibt, drohen ihre katholischen Kollegen öffentlich: Kirchenasyl und -zuflucht sei und bleibe Hausfriedensbruch, stellte der Sprecher des Kölner Generalvikariats, Manfred Becker-Huberti, fest. Wer es gewähre, greife in ein juristisches Verfahren ein und müsse auch die Konsequenzen tragen.

Manche Gemeinden schrecken diese Abmahnungen nicht: In Aachen leben kurdische Papierlose in drei katholischen Pfarreien, in Brühl hat die St. Heinrichs-Pfarrerei Kirchenzuflucht gewährt. Auch in der Kölner Diözese hat der reaktionäre Kirchenfürst Kardinal Joachim Meisner seine Schäfchen nicht mehr im Griff: Seit vergangener Wochen leben 17 kurdische Flüchtlinge in der St. Heinrichs-Gemeinde. Ihre Entscheidung verstehen die Seelsorgerin Marianne Arndt und der Gemeindepfarrer Peter Bellinghausen als "Zeichen christlicher Nächstenliebe".

Unter den neuen Gästen der St. Heinrichs-Pfarrei befindet sich auch Suleyman Yardigi. Er lebte bis zu seiner Festnahme Mitte März und seiner anschließenden Abschiebung in die Türkei in einer protestantischen Kirche in Köln. Noch auf dem Istanbuler Flughafen wurde er verhaftet und mißhandelt. Mittlerweile konnte er mit Hilfe illegaler Reiseveranstalter die Grenzbefestigungen der Festung Europa zum zweiten Mal überwinden und wird in dieser Woche erneut einen Asylantrag stellen.