Notizen aus Neuschwabenland, Teil 41: Die AfD bleibt auch ohne den »Flügel« rechtsextrem

Von wegen flügellahm

Notizen aus Neuschwabenland, Teil 41: Björn Höcke ist egal, wer unter ihm AfD-Vorsitzender ist.
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Nach der Entscheidung des Bundesamts für Verfassungsschutz, den Zusammenschluss »Der Flügel« innerhalb der AfD als rechtsextrem einzustufen und zu beobachten, erhob sich sogleich die Frage nach den Konsequenzen. Drohte die endgültige Machtprobe zwischen den vielbeschworenen »Moderaten« und den nunmehr amtlich auch so eingestuften »Radikalen« in der Partei? Würde sich die AfD am Ende spalten und so empfindlich geschwächt? Oder würde die auf eine Gruppierung in der Partei eingeschränkte Bewertung die übrige AfD in einem besseren Licht erscheinen lassen? Immerhin war schon vor der Entscheidung vor allem aus den westlichen Landesverbänden die Forderung nach einer Auflösung des »Flügels« zu hören gewesen. Doch ist dieser längst zu mächtig, seine Protagonisten, allen voran der thüringische Landes- und Fraktionsvorsitzende Björn Höcke, sind längst zu erfolgreich, um sie noch einfach so ­abstoßen zu können. Die politischen Beobachter fragten sich also gespannt, was wohl passieren würde.

Das groß angekündigte Interview mit Björn Höcke, das einige Tage nach der Entscheidung des Verfassungsschutzes in der Zeitschrift Sezession erschien, sorgte nicht gerade für Klarheit. Im Gespräch mit dem Verleger Götz Kubitschek, der auch als Höckes Berater agiert, betonte dieser vor allem die Erfolgsgeschichte des »Flügels«: »Wir alle wissen, dass der ›Flügel‹ vor fast genau fünf Jahren mit der ›Erfurter Resolution‹ sein Gründungsdokument vorlegte, um den Einbau der AfD ins Establishment zu verhindern. Jedes AfD-Mitglied konnte diese Resolution unterschreiben, und das taten Tausende. Ohne den ›Flügel‹ wäre die AfD keine Alternative mehr, sondern vielleicht gerade noch eine Art eigenständige Werteunion, also ein Mehrheitsbeschaffer von Merkels Gnaden. Das hat der ›Flügel‹ verhindert. Seither hat sich die AfD sehr gut entwickelt, und so notwendig unser Impuls vor fünf Jahren war: Nun brauchen wir einen Impuls, der über den ›Flügel‹ hinausweist und die Einheit der Partei betont.« Das war keine Auflösungserklärung, sondern zeugte, wie auch der gewählte Publikationsort, eher von Selbstbewusstsein. Schließlich hatte die Nähe des »Flügels« zu Kubitschek und seinen Aktivitäten eine gewisse Rolle bei der geheimdienstlichen Bewertung gespielt.

Immerhin lenkte Höcke ein, man habe den »Flügel« ohnehin »historisieren« wollen. Auch an anderen Stellen ließ man die Entscheidung offen, bis schließlich doch die Auflösung der Gruppe verkündet wurde. Damit ist jedoch lediglich die Bezeichnung »Flügel« verschwunden, mehr nicht. Man kennt dieses Vorgehen bereits von der Patriotischen Plattform (PP), jenem Verein um den sachsen-anhaltischen AfD-Politiker Hans-Thomas Tillschneider. Nachdem die PP vor allem aufgrund ihrer Nähe zu den Identitären die Aufmerksamkeit des Verfassungsschutzes auf sich gezogen hatte, beschloss sie im September 2018 ihre Auflösung. Formal war die Struktur damit verschwunden, sonst änderte sich jedoch nichts. Ihre vormaligen Mitglieder blieben in der Partei und vertreten bis heute ihre Inhalte.

Selbst beim Inlandsgeheimdienst glaubt man daher nicht an eine Läuterung. Der niedersächsische Verfassungsschutzpräsident Bernhard Witthaut nannte den Auflösungsbeschluss »reine Augenwischerei«. Er gehe davon aus, »dass sowohl die ideologischen Einstellungsmuster der Gruppierung als auch ihre ausgebauten und professionalisierten Strukturen bis auf weiteres bestehen bleiben«. Solange der Auflösung keine personellen Konsequenzen in der Partei folgen, dürfte dies wohl zutreffen. Letztlich ist es gleichgültig, wie sich das Netzwerk von Björn Höcke und Andreas Kalbitz nennt. Ähnlich sieht das auch der ehemalige Hamburger AfD-Fraktionsvorsitzende Jörn Kruse, der auf den informellen Charakter des »Flügels« hinwies. Die Taz zitierte ihn mit den Worten, der »Flügel« bestehe »aus einer diffusen Gruppe von ganz rechten AfD-Mitgliedern«, die »die rechtsradikalen Anführer Björn Höcke und Andreas Kalbitz anhimmeln«. Zudem gebe es entsprechende E-Mail-Verteiler der Anhänger. So könne »das Netz um Höcke und Kalbitz weiter bestehen«. Kruse hatte bereits im Herbst 2018 aus Protest gegen die Radikali­sierung der AfD sein Amt niedergelegt und die Partei verlassen.

Die Formel »Ost gegen West« oder »moderat gegen radikal« trifft allerdings nicht zu. Der Hamburger AfD-Politiker Alexander Wolf beispielsweise könnte von seiner Vita und seinen Positionen her gut ein Mitglied des »Flügels« sein, profilierte sich aber mit Forderungen nach dessen Auflösung. Mitunter sind es eher Karrierenetzwerke und Personalseilschaften als weltanschauliche Differenzen, die über Zugehörigkeiten entscheiden. Das zeigt auch das Verhalten der AfD-Bundesführung um den Parteivorsitzenden Jörg Meuthen und die Bundestagsfraktionsvorsitzende Alice Weidel. Sie gaben sich mit der formalen Auflösung zufrieden. Alles andere wäre auch zu irritierend gewesen. Meuthen hatte sich in der Vergangenheit noch nie als sonderlich durchsetzungsstark erwiesen. Zudem ist er selbst mehrfach bei den Kyffhäuser-Treffen der Patriotischen Plattform aufgetreten. Wer Weidel einmal reden gehört hat, wird auch wenig Differenzen zum rechten Rand erkennen. Man unterscheidet sich eher in wirtschafts- und sozialpolitischen Vorstellungen und nicht darin, ob man »rechts« oder »moderat« ist. In Schnellroda haben alle führenden AfD-Politiker ohnehin bereits ihre Aufwartung gemacht.

Die AfD hat also keinen Grund, mehr zu unternehmen, als das Etikett »Flügel« zu ändern. Sie ist auf dessen Anhänger angewiesen, wie diese auf den Rest der Partei. Die Basis hat damit wenig Probleme, wovon auch das Schicksal bisheriger AfD-Dissidenten zeugt. Deren klägliches Scheitern strafte alle Behauptungen Lügen, die Wählerinnen und Wähler der Partei zögen die Rechtsausleger nur mit, weil ihnen eine wahre Alternative fehlte. Demnach hätten die »Blaue Partei« der ehemaligen AfD-Vorsitzenden Frauke Petry und die »Liberal-Konservativen Reformer« des einstigen AfD-Mitgründers Bernd ­Lucke auf ein dankbares Publikum stoßen müssen. Stattdessen verschwanden sie in der Bedeutungslosigkeit. Ohne den »Flügel«, das wis­sen auch die Meuthens und Weidels, könnte ihnen dasselbe drohen.