Sonntag, 19.05.2024 / 11:14 Uhr

Syrienflüchtlinge: Hisbollah droht Europa mit Grenzöffnung

Von
Thomas von der Osten-Sacken

Unterkunft von Flüchtlingen im Libanon, Bildquelle: DFID

Die Hisbollah droht Europa einmal mehr, die Grenzen für Flüchtlinge öffnen zu wollen und zeigt damit, wie fragil die neuen Flüchtlingsdeals der EU sind.

 

Schon seit Langem sind es eigentlich keine Neuigkeiten mehr, dass die Zahl an Flüchtlingen und Binnenvertriebenen weltweit erneut einen Höchststand erreicht hat. Denn diese Meldung kommt mit deprimierender Monotonie jedes Jahr aufs Neue. Aktuell ist es das Internal Displacement Monitoring Centre (IDMC), das mit entsprechenden Zahlen an die Öffentlichkeit tritt:

 

»Die Zahl der Binnenvertriebenen weltweit ist auf einen neuen Höchststand gestiegen. Nach einem Bericht der Organisation ›Internal Displacement Monitoring Centre‹ lag ihre Zahl Ende des vergangenen Jahres bei 75,9 Millionen. Ein Jahr zuvor seien es gut 71 Millionen Menschen gewesen. Hauptursache für die Fluchtbewegungen waren demnach vor allem die Konflikte im Sudan und in der Demokratischen Republik Kongo sowie der Krieg Israels gegen die Terrororganisation Hamas im Gazastreifen. Laut IDMC mussten auch 7,7 Millionen Menschen wegen Katastrophen anderswo in ihren Heimatländern Zuflucht suchen, etwa nach Überschwemmungen, Stürmen, Erdbeben oder Bränden.«

 

Während immer mehr Menschen vor Krieg, Bürgerkrieg, Dürre und Verfolgung fliehen und nur ein verschwindender Bruchteil von ihnen es noch überhaupt schafft, sich in einem anderen Land in Sicherheit zu bringen – das unterscheidet terminologisch den Binnenflüchtling (internal displaced person bzw. IDP) vom Flüchtling –, geschweige denn es gar nach Europa schafft, scheint man sich dort nicht einmal mehr für Fluchtursachen und wie sie bekämpft werden könnten zu interessieren.

Stattdessen überbieten sich Politiker mit Forderungen nach weiterer Verschärfung des Asylrechts, und auch in Deutschland fordern Vertreter der CDU inzwischen, den Briten nachzueifern und einen eigenen Ruanda-Plan ins Leben zu rufen.

Derweil produziert die EU quasi am Fließband irgendwelche Flüchtlingsdeals mit Mittelmeeranrainerstaaten, zuletzt mit dem Libanon. Wie aber in einem de facto failed state, der von einer notorisch korrupten Politikerkaste mehr ruiniert denn regiert wird und in dem zudem der Iran massiven Einfluss ausübt, solch ein Abkommen überhaupt umgesetzt werden soll, ist vollkommen unklar. Hauptsache, so scheint es, man kommt populistischen Forderungen nach weiterer »Beschränkung illegaler Migration« nach.

Ganz abgesehen von der Praktikabilität solcher Abkommen – von ihrer moralischen Fragwürdigkeit gar nicht zu reden – scheint dabei egal zu sein, dass man sich quasi dem guten Willen äußerst dubioser Akteure ausliefert und erpressbar macht. Denn welche Sanktionsmöglichkeiten gibt es, sollten diese Partner, die genau wissen, aus welcher Motivation die EU handelt, gegen die Abkommen verstoßen? Werden ihre Gelder dann gestrichen, nur um ihre Grenzen erneut zu öffnen? 

Win-Win-Situation

Natürlich hat sich überall im Nahen Osten und Nordafrika herumgesprochen, dass die Europäische Union inzwischen bereit ist, so gut wie alles dafür zu tun, dass man Menschen an der Weiterflucht hindert. Und die dortigen Eliten wie etwa im Libanon haben mittlerweile kaum politisches oder anderes Kapital mehr, sodass ihnen solch ein Deal äußerst gelegen kommt. 

 

Den diesbezüglichen Beginn machte Hassan Nasrallah, der wenig unternimmt, ohne dabei im Auftrag seiner Paten und Auftraggeber in Teheran zu handeln:

 

»Hisbollah-Führer Hassan Nasrallah sagte am 13. Mai, der Libanon solle seine Seegrenzen öffnen, damit im Libanon lebende Syrer auf Boote nach Europa gehen können. Die Äußerungen wurden in Israels nördlichem Nachbarland kontrovers aufgenommen und verurteilt, da es den Anschein hat, dass die Hisbollah nun versucht, syrische Flüchtlinge zu benutzen, um eine Krise mit Europa heraufzubeschwören, berichtete Al-Ain in den Vereinigten Arabischen Emiraten. … Berichten zufolge befinden sich bis zu zwei Millionen Syrer im Libanon. Etwa 785.000 sind bei der UNO als Flüchtlinge registriert, die anderen sind offenbar undokumentiert, weswegen sie schnell Misshandlungen ausgesetzt sind.

 

Nasrallah sagte in seiner am 13. Mai im Fernsehen übertragenen Rede, dass es ›eine nationale Entscheidung geben sollte, die besagt: Wir haben das Meer geöffnet … wer auch immer nach Europa, nach Zypern gehen will, das Meer liegt vor euch. Nehmt ein Boot und geht an Bord.‹ … Der Hisbollah-Führer scheint damit zu sagen, dass der Libanon die Syrer ermutigen sollte, über das Meer auszureisen: Ein gefährlicher Präzedenzfall, denn das würde im Grunde bedeuten, dass einfach die Grenze geöffnet wird, anstatt die Menschen aufzufordern, legal auszureisen. Dies würde zu Chaos führen. Nasrallah sagte in seiner Rede, dass dies den Syrern, die normalerweise per Boot aus dem Libanon geschmuggelt werden, sogar helfen würde.«

 

Für den Hisbollah-Chef und die Seinen handelt es sich um eine Win-Win-Situation. Schließlich wissen sie, dass in Folge des russischen Eingreifens in Syrien die Massenflucht in den Jahren 2015 und 2016 zu einer europaweiten Krise führte, deren Auswirkungen bis heute zu spüren sind. Damit kamen der Iran und Russland ihrem erklärten politischen Ziel, Europa zu spalten, zu schwächen und zu destabilisieren, sehr viel näher. Warum also nicht wiederholen, was damals schon so erfolgreich war?

 

Zudem kann Nasrallah sich auch noch als Menschenfreund inszenieren, schließlich sind die Lebensbedingungen für Syrer derart miserabel – die absolute Mehrheit lebt weit unter dem Existenzminimum –, dass sie das Land nur zu gerne verlassen würden. 

 

Kurzum: Öffnet der Libanon seine Seegrenzen, gewinnen Hisbollah, der Iran und Russland, denn die Reaktion in Europa ist voraussehbar. Setzt das Land zumindest rudimentär den Deal mit der EU um, kann Beirut fortan den Preis entsprechend in die Höhe treiben, schließlich votiert die wichtigste Einzelpartei im Land ja für Öffnung der Grenzen.

Erst der Anfang

Doch das ist erst der Anfang. Mit Ausnahme desjenigen mit der Türkei sind diese Abkommen erst ein paar Monate alt und schon zeigt sich, dass keines der gescheiterten und korrupten Regimes auch nur das geringste Interesse hat, die Drecksarbeit für die EU zu erledigen, ohne dabei noch mehr zu verdienen. Sie wissen schließlich um die Stimmung und den Zustand der Europäischen Union und wie leicht diese momentan mit Flüchtlingen erpressbar ist.

Derweil steigt die Zahl neuer Flüchtlinge Jahr für Jahr um weitere Millionen, die Lage in den Hauptherkunftsländern verschlechtert sich weiter und immer neue, wie aktuell der Sudan, kommen hinzu.

 

Je größer das Elend, je rosiger sieht derweil die Zukunft all derer aus, die, angefangen von der Mafia über allerlei Halsabschneider-Milizen bis zu einer Vielzahl staatlicher und parastaatlicher Akteure, mit diesem Elend gutes und immer mehr Geld verdienen. Und oft sind sie es wie die Hisbollah und der syrische Staat sogar selbst, die zuvor für die entsprechenden Fluchtbewegungen gesorgt haben.