Berufskrankheit Zynismus und die Wahlen in Ostdeutschland

Homestory #36/24

Nach den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen: Wann hören Deutsche endlich auf, in schlechtester Tradition deutsch zu sein?

Jede Branche hat so ihre Berufskrankheit, die des Redakteurs ist vielleicht der Zynismus. So fühlt es sich zumindest oft an, wenn wie immer dienstags der Redaktionsschluss ihrer Lieblingszeitung kurz bevorsteht. Das Deutsche Haus muss geschrieben werden, unsere wöchentliche Chronik rassistischer, antisemitischer und homophober Vorfälle. Das heißt: Polizeimeldungen werden akribisch darauf untersucht, wie deutsch die Deutschen sich in dieser Woche mal wieder verhalten haben.

Freude über Meldungen, die beim besten Willen keinen Grund zur Freude bieten

Und wer schon mal eine Zeitung gemacht hat, weiß, dass Richtwerte für die Zeichenzahlen keine unverbindlichen Empfehlungen sind – zumindest wenn man die Kolleginnen und Kollegen aus dem Layout nicht vor unlösbare Probleme stellen will. Insofern ist man hier im Gartenhaus bei der Zusammenstellung vom Deutschen Haus immer wieder dienstags darauf angewiesen, dass genügend Deutsche ungeschminkt vor die Tür gegangen sind. Dementsprechend ertappen sich Kollektivmitglieder schon mal dabei, wie sie sich über gewisse Meldungen freuen, die beim besten Willen keinen Grund zur Freude bieten. Aber jeder rechte Arm, der zuckt, bringt einen näher an die Zeichenzahl, die vor dem Redaktionsschluss zusammengeklaubt werden muss.

Lohnarbeit macht zwar hässlich, krank und dumm, das sollte mittlerweile bekannt sein. Aber nicht jede Arbeitserleichterung ist deshalb automatisch gutzuheißen. 

Dass die Recherche fortan einfacher werden könnte, lassen die Ergebnisse der Landtagswahlen in Thüringen und Sachsen vermuten. Bereits nach der Wahl des Sonneberger AfD-Landrats Robert Sesselmann im vergangenen Jahr hörte man aus Thüringen, dass das Klima deutlich rauer geworden sei. Die Opferberatung Ezra sprach von einer »noch stärkeren Legitimationsgrundlage für rechte Aktivitäten«.

Aber das kann es ja auch nicht sein. Lohnarbeit macht zwar hässlich, krank und dumm, das sollte mittlerweile bekannt sein. Aber nicht jede Arbeitserleichterung ist deshalb automatisch gutzuheißen. Grund zur Freude wäre es, wenn das Deutsche Haus gänzlich abgeschafft werden könnte. Das aber setzt voraus, dass Deutsche aufhören, in schlechtester Tradition deutsch zu sein. Bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Die Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen zeugen davon.

Jungle Bar am 6. September

Wem nach Wein, Bier oder anderen Getränken und guter Gesellschaft ist, sei nochmals die Jungle Bar an diesem Freitag (6. September) wärmstens ans Herz gelegt. Die Sportredakteurin Ihrer Lieblingszeitung moderiert die Lesung »Dabei sein wäre alles – Die Geschichte des Sports aus Sicht der Ausgeschlossenen« mit Autor Martin Krauss in der Programmschänke Bajszel in der Emser Straße 8–9 in Neukölln.

»Dabei sein wäre alles« – Die Geschichte des Sports aus der Perspektive der Ausgeschlossenen Buchvorstellung mit dem Sportjournalisten Martin Krauss Moderation: Elke Wittich, »Jungle World«-Sportredakteurin  Freitag, 6. September 2024, 19.30 Uhr Im Bajszel, Emser Str. 8/9, Kirsten-Heisig-Platz, Berlin-Neukölln