Jennifer Córdova, Transfrauenorganisation Muñecas de Arcoíris, im Gespräch über Gewalt gegen LGBT-Personen in Honduras

»Es fehlt am politischen Willen, etwas zu ändern«

Homosexualität ist in Honduras zwar legal, die gleichgeschlechtliche Ehe jedoch nicht. Reaktionäre Ressentiments sind weitverbreitet, die Zahl der Gewalttaten gegen LGBT-Personen ist extrem hoch. Oft sind die Täter Angehörige der Ordnungskräfte, juristische Folgen hat das selten. Jennifer Córdova sprach mit der »Jungle World« über ihre Lebensgeschichte und ihre politische Arbeit.

Sie sind am 31. Mai für Ihr Engagement als Koordinatorin der Muñecas de Arcoíris mit dem Menschenrechtspreis von Front Line Defenders, einer irischen Menschenrechtsorganisation, ausgezeichnet worden. Was bedeutet dieser Preis für Sie persönlich und für die Arbeit der Muñecas?
Mir bedeutet das sehr viel, denn mit dem Preis wird unsere Arbeit für die Rechte von Transfrauen und queeren Menschen gewürdigt, wahrgenommen und publik. Das ist wichtig für uns, sorgt für Motivation, Zufriedenheit und Freude. Dieser Preis wird dazu beitragen, dass Menschen weltweit erfahren, unter welchen Bedingungen Transfrauen in Honduras leben müssen, wie ihre Menschenrechte kontinuierlich verletzt werden.

Dagegen wehren Sie sich persönlich seit Jahren. Sie koordinieren aber auch die Arbeit der Muñecas. Woraus besteht die?
Wir versuchen, die Transfrauen gegen die Attacken der Militärpolizei zu schützen, Übergriffe zu dokumentieren. Grundsätzlich ist Honduras ein sehr gewalttätiges Land, Gewaltverbrechen sind alltäglich, der Schutz durch Polizei und Justiz dagegen funktioniert nicht, deshalb fordern wir, hier zu verbessern. Wir brauchen fundierte Untersuchungen, fundierte Ermittlungen, spezifische Vorgaben und Dokumen­tationen. Diese Forderungen haben wir auch in Dublin bei der Preisverleihung kundgetan, die Bühne genutzt, die mir und Donny Reyes, Koordinator von Arcoíris, geboten wurde.

Wie sind Sie zur Menschenrechtsarbeit und zu Arcoíris gekommen?
Das geschah in sehr jungen Jahren. Ich bin Waise, habe meinen Vater im Alter von sechs Jahren, meine Mutter im Alter von zehn Jahren verloren. Daraufhin bin ich bei meiner Großmutter aufgewachsen, die mich weitgehend in Ruhe gelassen hat, aber in der Schule wurde ich früh gemobbt. Ein Grund dafür war, dass ich lieber mit den Mädchen und Barbie-Puppen spielte und nichts für Baseball oder Fußball übrig hatte. Deshalb war ich bei den Jungen durch, wurde beleidigt, diskriminiert – außen vorgelassen. Da war ich elf Jahre alt, ich wurde gehänselt, geschlagen.

»Als ich 19 Jahre alt war, wurde das erste Mal auf mich geschossen: in Tegucigalpa, in den Rücken, von der Militärpolizei. Mein Körper ist gezeichnet von derartigen Verletzungen.«

Wann wurde Ihnen klar, dass Sie anders waren, anders sein wollten?
Mit 14 Jahren etwa. Damals hatte ich zwei Freundinnen, Mayoli und Carolina, die mich auch das erste Mal mit zu Arcoíris nahmen. Ich war überrascht, dass es so etwas gab, hatte davon noch nie gehört. Von einer Organisation, die auf das Infektionsrisiko bei Sex aufmerksam macht, Präservative verteilt, aufklärt und die Leute über ihre Rechte informiert – ich war beeindruckt. Der Hintergrund ist, dass Mayoli und Carolina sich damals prostituierten, aber informierten. So lernte ich Donny Reyes bei Arcoíris kennen, er nahm mich unter seine Fittiche, half mir wie vielen anderen auch, klärte mich auf. Das muss etwa 2005 gewesen sein, zwei Jahre nach der Gründung von Arcoíris.

Wurde Arcoíris zum zweiten Zu­hause?
Definitiv – ich war quasi täglich ab 14 Uhr da, fühlte mich wohl, weil ich so sein konnte, wie ich wollte, und ernst genommen wurde, obwohl ich noch so jung war. Donny machte sich damals Sorgen, weil ich minderjährig war, aber als ich ihm erklärte, dass ich Waise sei, war alles klar und ich durfte kommen und bleiben.

Sie lebten bis zu Ihrem 14. Lebensjahr bei Ihrer Großmutter. Wie war der Kontakt zu den Geschwistern? Oder waren Sie auf sich gestellt?
Ich war weitgehend auf mich gestellt, lebte zum Teil auf der Straße, denn meine Großmutter verstarb, als ich 14 Jahre alt war. Danach musste ich mich um mich selbst kümmern, ich prostituierte mich auf der Straße, hatte keine andere Wahl. Ich musste überleben, musste mich ernähren, brauchte ein Dach über dem Kopf – das war im Jahr 2006. Damals wurde ich auch von drei Militärpolizisten vergewaltigt. Sie führten mich unter dem Vorwand meiner Minderjährigkeit ab und vergewaltigten mich zu dritt. Das ist vielen Transfrauen so passiert – die Angst vor der Militärpolizei ist in Honduras quasi greifbar in der queeren Szene.

Hatten Sie damals Kontakt mit Ihren Geschwistern?
Nein, beziehungsweise kaum. Im Nachhinein war das immer mal wieder ein Thema, denn heute unterstützen sie mich und helfen mir. Damals war ich außen vor, auf mich gestellt und habe einen hohen Preis gezahlt. Als ich 19 Jahre alt war, wurde das erste Mal auf mich geschossen: in Tegucigalpa, in den Rücken, von der Militärpolizei. Ich war schwerverletzt, wurde operiert, überlebte. Mein Körper ist gezeichnet von derartigen Verletzungen: Zweimal wurde auf mich geschossen, weil ich mich prostituiert habe, weil mir nichts anderes übrigblieb und weil die Polizei, aber auch die Kunden unsere Lage immer wieder ausnutzen. Ich bin damals fast gestorben, fiel zu Boden, die compañeras haben mich ins Krankenhaus gebracht. Dort wurde ich operiert.

Wurde der Fall untersucht, wurden die Beamten zur Rechenschaft ­gezogen?
Die Ärzte haben Anzeige erstattet, eben weil es eine Schussverletzung war, und es gab auch Kameraaufzeichnungen von den Restaurants in der Nähe – aber sie wurden nicht ausgewertet. War­um, kann ich nicht sagen. Es ist in Honduras alles andere als einfach, gegen Gewalt vorzugehen, sich zu wehren, wenn die Institutionen mit den Ordnungskräften verstrickt sind.

Wenn Sie die Situation heute mit der von 2009 vergleichen, als die Transfrau Vicky Hernández von Ordnungskräften getötet wurde – was sind die Unterschiede?
Damals war die Situation gravierend, heute ist sie vielleicht noch schlimmer, denn die Zahl der Freundinnen und Freunde, die wir beerdigen müssen, ist hoch. 2021 und 2022 waren schlimme Jahre, doch 2023 stellt mit 53 Morden an LGBT-Personen alles in den Schatten. Von Januar bis März waren es wieder sieben Tote, die wir zu beerdigen hatten. Die Situation ist verheerend und es ist kaum möglich, sich zu schützen. Wir sind der Gewalt ausgeliefert und haben ihr nur wenig entgegenzusetzen. Das zieht sich durch, denn damals starben viele LGBT-Aktivist:innen durch Polizeigewalt und das ging auch 2023 und 2024 kontinuierlich weiter – es hat sich wenig geändert.

Dabei hat die Regierung von Xiomara Castro Wandel versprochen. Die Reden der Präsidentin lesen sich wie ein Bekenntnis zu den Menschen- und LGBT-Rechten – ein Widerspruch?
Wir haben Xiomara Castro gewählt, für uns waren ihre ersten Reden ein Signal des Aufbruchs, der Hoffnung. Zudem ist sie die erste Frau an der Spitze des Staatsapparats – das ist ein Fortschritt, aber Sie haben recht: Wir warten auf den Wandel, und warum alles anders ist als erhofft, können wir nicht beantworten. Es ist enttäuschend, es ist frustrierend, aber es gibt keine Alternative zum Weitermachen.
Es ist hart, unsere Toten zu zählen, unsere Toten zu beerdigen und weiter für die gleichgeschlechtliche Ehe zu werben. Wir sind nie im Präsidentenpalast von Xiomara Castro empfangen worden, obwohl wir Briefe und Anträge verschickt haben. Natürlich wissen wir, dass sie eine katholisch geprägte Frau ist, dass die Kirchen in Honduras einflussreich sind – so sind wir weiterhin ausgegrenzt.

Nachdem der Interamerikanische Menschenrechtsgerichtshof im Juni 2021 Honduras für den Tod von ­Vicky Hernández verantwortlich gemacht hatte, hat sich Xiomara Castro immerhin öffentlich entschuldigt – auch bei der Familie.
Ja, damals, im Mai 2022, hatte die öffentliche Entschuldigung für die Tötung von Vicky Hernández durch staatliche Ordnungskräfte in San Pedro Sula viel Hoffnung gemacht. Wir dachten, nun sei ein Wendepunkt erreicht, aber das war ein Irrtum. Es fehlt am politischen Willen, wirklich etwas zu ändern – das könnte an den engen Verbindungen zur katholischen Kirche liegen, aber auch an Xiomara Castros Ehemann Manuel Zelaya (von 2005 bis 2009 honduranischer Präsident; Anm. d, Red.), der ihr Berater ist. Er bestimmt die politischen Richtlinien, zumindest glauben wir das.

Gibt es in der katholischen Kirche auch einen progressiven Flügel?
Puh, zumindest ist er klein und nicht so präsent. Was es gibt, ist die recht populäre Bewegung »No te meta con mis hijos« (Leg dich nicht mit meinen Kindern an) – eine Bewegung, die ­verhindern möchte, dass Kinder in die Schule lernen, dass es auch andere ­sexuelle Orientierungen gibt und Länder, wo die gleichgeschlechtliche Ehe erlaubt ist. Der erzkonservative Flügel in der katholischen Kirche ist ausgesprochen groß.

Sie sind Ende Dezember aus Tegucigalpa zu Familienangehörigen nach Florida geflohen. Warum?
Ich brauchte eine Pause von der permanenten Bedrohung. Meine Mitstreiterinnen von den Muñecas de Arcoíris und ich werden permanent angefeindet und bedroht – von der Militär­polizei. Weil wir nachts unterwegs sind, Transfrauen über ihre Rechte aufklären, immer wieder Uniformierte anzeigen, wurde ich und werden andere bedroht: In meinem Fall mündlich und per Messenger.

Warum sind Sie trotzdem zurückgekehrt?
Weil ich eine Verpflichtung gegenüber den Muñecas, meinen Kolleginnen habe – wir sind so etwas wie eine Familie. All die Verletzungen, die wir schon erlitten haben, haben uns auch stärker gemacht und uns enger zusammen­rücken lassen – wir sind solidarisch miteinander.

Mit dieser Reise nach Dublin zur Preisverleihung sind auch Visiten in Deutschland und Spanien verbunden. Was bedeutet Ihnen so eine Auszeit?
Es ist eine Zeit des Luftholens, hier kann ich mich frei bewegen – mit der Rückkehr ändert sich das wieder, aber wir kommen gestärkt und motiviert zurück.

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Die 34jährige Transfrau Jennifer »Jlo« Córdova aus ­Honduras ist die Koordinatorin der Muñecas de Arcoíris, der Transfrauenorganisation unter dem Dach der queeren Menschenrechtsorganisation Arcoíris. Für ihre engagierte Arbeit unter permanenter Bedrohung wurde sie Ende Mai mit dem Menschenrechtspreis der irischen Stiftung Front Line Defenders ausgezeichnet.