Ein Brandanschlag auf ein Lübecker Asylbewerberheim soll aufgeklärt werden

Hafenstraße 96 ungelöst

28 Jahre nach dem Brandanschlag auf ein Lübecker Asylbewerberheim ist das Verbrechen noch immer nicht aufgeklärt. Zehn Menschen starben damals, 38 wurden verletzt. Eine Lübecker Initiative fordert einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss.

Die Brandanschläge der neunziger Jahre haben sich tief in das Gedächtnis eingegraben. Mölln, Solingen und Lübeck wecken Erinnerungen an einen rassis­tischen Mob, der in den Jahren nach dem Beitritt der DDR zur BRD durchs Land tobte. Viele Fälle konnten aufgeklärt werden – nicht aber der Brandanschlag auf eine Asylbewerberunterkunft in Lübeck in der Nacht auf den 18. Januar 1996, dem zehn Menschen zum Opfer fielen. Die Lübecker »Initiative Hafenstraße ‚96« widmet sich seit Jahren dem unaufgeklärten Verbrechen. Mit der Petition »Rassistischer Mord in Lübeck – Tat und Ermittlungsfehler endlich aufklären!« wollen sie nun die Einrichtung eines Parlamentarischen Untersuchungsausschusses durchsetzen.

»Die Petition hatten wir zum 25. Jahrestag gestartet in der Hoffnung, dass der Landtag in Schleswig-Holstein einen Untersuchungsausschuss einrichten würde«, berichtet Britta Kloss von der Initiative der Jungle World. »Es fand sich bisher aber keine Fraktion, die einen entsprechenden Antrag gestellt hat.« Fast drei Jahre dümpelte die Petition dann mehr oder weniger vor sich hin, bis in diesem Jahr neuer Schwung in die Angelegenheit kam.

»Es scheint naheliegend, dass der Brandanschlag in der Lübecker Hafenstraße 1996 mit zehn Toten von vier Rechtsextremisten begangen wurde.« Jan Kürschner (MdL, die Grüne)

Im April feierte im Theater Lübeck das Theaterstück »Hafenstraße« seine Premiere. In dem dokumentarischen Rechercheprojekt von Helge Schmidt werden unterschiedliche Zeitzeugen in Interviews vorgestellt. Nach der Premiere gewann die Petition wieder an Aufmerksamkeit.

Der Anschlag wird noch immer nicht als rassistisch geführt. »So greift juristisch zum Beispiel kein Opferentschädigungsgesetz«, kritisiert Jana von der Initiative ‚96. Kurz nach der Tat wurden vier junge Männer aus der Neo­nazi-Szene aus Grevesmühlen festgenommen. Akribisch hält die Lübecker Initiative die Details der Festnahme der vier Nazis fest: »Bereits am späten Abend nach dem Brand – gegen 22 Uhr am 18. Januar – fiel einem LKA-Beamten auf, dass Maik W. Versengungen am vorderen Bereich des Kopfhaares und an den Augenbrauen aufwies.« Ähn­liche Versengungen seien nach einer gerichtsmedizinischen Untersuchung bei Dirk T. und René B. festgestellt worden.

Es kam zu keinem Verfahren gegen die jungen Männer. Für die Brand­spuren lieferten sie Erklärungen: Einer habe einen Hund angezündet, einer ein Feuerzeug an einen Mofa-Tank gehalten und einer will sich an einem Kohleofen verbrannt haben. Stattdessen präsentierte die Polizei Safwan E. als Tat­verdächtigen. Der damals 21jährige Libanese wohnte zu dem Zeitpunkt selbst im Haus. Der Verdacht konnte allerdings nicht erhärtet werden und 1997 sprach das Landgericht Lübeck den Mann aus Mangel an Beweisen frei.

In den Folgejahren war der Brandanschlag immer wieder Gegenstand von Anhörungen im schleswig-holsteinischen Landtag. So beantragten Ab­geordnete der Grünen 2012, die Ermittlungen wiederaufzunehmen. Denn möglicherweise seien in der Vergangenheit in den ermittelnden Behörden, beim Land und auch beim Bund, Fehler gemacht worden, so die Abgeordneten Thorsten Fürter und Luise Amtsberg damals. Passiert ist – nichts.

Auf eine Kleine Anfrage der Grünen aus dem Jahr 2021 entgegnete die damalige Landesregierung, es habe Hinweise gegeben, dass »einzelne der aus Grevesmühlen stammenden Beschul­digten«der Justiz gegenüber »die Tatbegehung eingeräumt hätten«. Darüber hinaus sei ein PKW, der »dem von den Grevesmühler Beschuldigten geführten ähnelte, in der Nähe des Tatorts festgestellt worden«. Und schließlich verfüge »eine namentlich benannte Person aufgrund entsprechender Kontakte zu einem der Grevesmühler Beschuldigten möglicherweise über Hintergrundwissen«. Aufgerollt wurde der Fall jedoch wieder nicht.

Aus Sicht der Mitglieder der Initiative Hafenstraße ‚96 ist das ein Unding. ­Ihrer Petition fehlen nun nur noch 700 Unterschriften – dann sind die notwendigen 10 000 erreicht. Ob es einen Untersuchungsausschuss gegen wird, wäre dann aber immer noch fraglich. Jan Kürschner, innen- und rechtspolitischer Sprecher der Grünen im Landtag Schleswig-Holstein, kann einem Untersuchungsausschuss nicht viel abgewinnen. »Rund 28 Jahre nach dem Anschlag sind viele der damals Verantwortlichen nicht mehr im Dienst beziehungsweise leben nicht mehr. Da macht ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss wenig Sinn«, meint er im Gespräch mit der Jungle World.

Kürschner betont aber, dass Mord nicht verjährt und er eine Überprüfung der Ermittlungen in diesem cold case begrüßen würde. »Es scheint auf den ersten Blick naheliegend, dass der Brandanschlag in der Lübecker Hafenstraße 1996 mit zehn Toten von vier Rechtsextremisten begangen wurde. Vor Gericht kamen sie nicht. In dem Fall gibt es so viele Ungereimtheiten. Dazu will ich mir die Unterlagen von damals noch einmal genau anschauen«, so Kürschner weiter. Der Anschlag sei immer noch eine offene Wunde in Lübeck und er wünsche sich auf jeden Fall eine erneute Beschäftigung mit dem Fall. »Selbst wenn es keine Anklage mehr geben sollte, muss man das der Öffentlichkeit erklären«, betont er.

Die Initiative sieht jedoch Anlass zur Eile. »In eineinhalb Jahren verjährt der Tatbestand Brandanschlag mit ­Todesfolge. Nach dem 18. Januar 2026 wäre nur noch eine Anklage wegen Mord möglich«, stellt Britta Kloss fest.