Gesellschaftlicher Fortschritt und Wirtschaftswachstum lassen sich entkoppeln

Ein Unterschied der Art

Den kapitalistischen Wachstumszwang und seine Auswirkungen auf die Umwelt zu kritisieren, ist nicht neu oder von sich aus links. Es macht einen entscheidenden Unterschied, ob man sich bei der Produktion an den tatsächlichen menschlichen Bedürfnissen orientiert oder aus völkischer oder esoterischer Ideologie heraus die Moderne an sich ablehnt.
Disko Von

Muss die Wirtschaft schrumpfen, um die globale Erwärmung und die ökologische Krise aufzuhalten? Christian Hofmann ­argumentierte, dass kapitalistisches Wachstum und planvolles Wirtschaften miteinander unvereinbar sind (»Jungle World« 6/2024). Stefan Laurin hält den Versuch, Wachstum zu unterbinden, für besonders deutsche Lustfeindlichkeit (»Jungle World« 7/2024).

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Wenn das Wirtschaftswachstum in kapitalistischen Gesellschaften ausbleibt, zieht das zwangsläufig Krisen nach sich, die die Lohnabhängigen am härtesten treffen. Ohne Wachstum, wie die an dieser Stelle von Christian Hofmann bereits zitierten Andrea Vetter und Matthias Schmelzer schreiben, »droht der Kapitalismus sich zu einem durch zunehmende Ungleichheiten, Verteilungskonflikte und autoritäre Machtstrukturen geprägten refeudalisierten Elends- und Schrumpfungskapitalismus zu verwandeln«.

Stagnation, Rezession oder Depression (oder gar ein autoritärer Krisen­kapitalismus) sind jedoch nicht das Ziel der Postwachstums­verfechte­r:in­nen. Letztlich geht es ihnen vielmehr um die Überwindung der bestehenden Wachstumslogik. Denn nicht jede Gesellschaftsform ist auf Wirtschaftswachstum angewiesen, um zu funktionieren.

Dass Treibhausgasemissionen drastisch verringert werden müssen, um die Erderwärmung nicht weiter voranzutreiben, bedeutetet jedoch nicht zwangsläufig, dass Teile der Weltbevölkerung dem Fortschritt entsagen und in materieller Armut verbleiben sollen. Die Idee des selektiven Wachstums erkennt an, dass Wachstum in manchen Weltregionen weiterhin nötig und wünschenswert sein kann. Dasselbe gilt für bestimmte Wirtschaftszweige, zum Beispiel die Produktion von Solarpaneelen und Windrädern. Progressive Vertrete­r:in­nen des Postwachstums sind sich einig darin, dass die Reduktion von Produktion und Konsum gerecht und nach sinnvollen Kriterien erfolgen soll.

Die radikaleren Degrowth-Ideen haben das Potential, als Korrektiv in sozialistischen Debatten zu wirken und ein Gegengewicht zum teilweise immer noch vorherrschenden Produktivismus darzustellen.

Natürlich haben Linke die Themen Klima- und Umweltschutz genauso wenig für sich gepachtet wie Kapitalismuskritik. Nicht wenige reaktionäre Denker lamentieren schon länger, dass die Rechte das doch eigentlich von Grund auf konservative Anliegen Umweltschutz an den politischen Gegner verloren gegeben habe. Auch das Konzept des Postwachstums ist nicht per se progressiv.

Nicht umsonst hat Alain de Benoist, ein maßgeblicher Vordenker der Nouvelle Droite (Neue Rechte), 2007 ein Buch mit dem Titel »Demain, la décroissance!« veröffentlicht, das den französischen Begriff für »degrowth«, »décroissance«, schon im Titel trägt. Im deutschsprachigen Raum greift Die Kehre: Zeitschrift für Naturschutz häufig wachstumskritische Argumente auf. Namensgebend für das rechte Magazin war Martin Heideggers Schrift »Die Technik und die Kehre«. Björn Höcke ist ein begeisterter Leser; er wollte schon 2014 »überlegen, wie eine Postwachstumsökonomie aussieht«.

Allerdings leugnet ein großer Teil der AfD-Parteiführung den anthropogenen Klimawandel noch immer, das ist sogar ein Kernbestandteil ihrer Programmatik. Die Partei ist außerdem, anders als zum Beispiel Die Heimat (vormals NPD), für Atomkraft, worin so manche Rechte eine Gefahr für ihren imaginierten Volkskörper sehen. Auch die rechtsextreme Kleinstpartei »Der III. Weg« spricht sich gegen Atomenergie und für den Ausbau von erneuerbaren Energien aus. Unter US-amerikanischen Republikanern gehört es mittlerweile zum guten Ton, den Klimawandel zu leugnen; viele andere Rechte hingegen bringen Umweltschutzforderungen vor, die von den Grünen stammen könnten.

»It’s the birthrates«, hieß es im Manifest des antimuslimischen Attentäters von Christchurch 2019, der sich als Umweltschützer verstand. (Neo-)Malthusi­anische Erzählungen, die die Erderhitzung auf eine angebliche Überbevölkerung zurückführen, haben Konjunktur, vom Ökofaschismus bis in die selbsternannte bürgerliche Mitte hinein. Anstatt die imperialistische Lebensweise und die historisch exorbitanten Kohlendioxidemissionen der kapitalistischen Zentren zu kritisieren, werden die Geburtenraten der Länder des Globalen Südens für den Klimawandel verantwortlich gemacht, rassistische Stereotype und Forderungen nach noch rigoroserer Abschottung gegen Migration inklusive.

Gerade weil die Neue Rechte eine Querfront und eine »Kulturrevolution von rechts« anstrebt, ist seitens der progressiven Post­wachstums­verfechte­r:innen Wachsamkeit geboten, um den Demagogen mit ihren sozialdarwinis­tischen und kulturpessimistischen Argumentationen und simplifizierenden Lösungen nicht auf den Leim zu gehen. Dieses Bewusstsein scheint nicht bei allen vorhanden zu sein; so kann sich zum Beispiel Serge Latouche, ein früher Stichwortgeber der wachstumskritischen Bewegung, auch Bündnisse mit Leuten wie Alain de Benoist vorstellen, solange man sich nur in der Ablehnung des Wachstumsparadigmas einig ist.

Besonders anfällig für eine Vereinnahmung sind außerdem jene, die meinen, das Übel des Wachstums im Zins und im Geldsystem ausgemacht zu haben, und sich einen »natürlichen« oder »ursprünglichen« Zustand der Ökonomie zurückwünschen. Nicht wenige wettern auch gegen den Wohlfahrtsstaat, den sie als Wachstumstreiber verurteilen, und wollen dementsprechend den Sozialabbau forcieren.

»Verelendung jetzt oder Klimakollaps später – dies ist die systemimmanente Alternative, die der Kapitalismus in seiner Krise den Lohnabhängigen lässt«, schreibt Tomasz Konicz in seinem Buch »Klimakiller Kapital« (2020). Manche Vertreter:innen der Degrowth-Theorie plädieren für ein bedingungsloses (ökologisches) Grundeinkommen, das durch progressiv ansteigende Steuern auf ökologisch schädlichen Verbrauch finanziert werden soll. Das klingt nicht nur gerecht und tatsächlich finanzierbar. Auch Konicz meint, dass ein garantiertes Grundeinkommen, allen Unzulänglichkeiten zum Trotz, »der Neuen Rechten ein wichtiges soziales Massenreservoir« nehmen könnte, ­indem es der Verelendung etwas entgegensetzen würde.

Thomas Ebermann und Rainer Trampert haben schon 1984 festgestellt: »Wer die Produzenten all jener Produkte, die das Leben zerstören, für eine Produktion gewinnen will, die die Menschen ebenso wie die Natur, der sie angehören, schonend behandelt und sich dabei zugleich von allen Militärmaschinen abwendet, der muss in seine Utopie eine akzeptable Grundversorgung aufnehmen und hier und heute schon aktiv dafür eintreten.«

Thomas Ebermann und Rainer Trampert haben schon 1984 festgestellt: »Wer die Produzenten all jener Produkte, die das Leben zerstören, für eine Produktion gewinnen will, die die Menschen ebenso wie die Natur, der sie angehören, schonend behandelt und sich dabei zugleich von allen Militärmaschinen abwendet, der muss in seine Utopie eine akzeptable Grundversorgung aufnehmen und hier und heute schon aktiv dafür eintreten.«

Eine arbeitsunabhängige Grundversorgung könnte außerdem Zeit freisetzen, die es für eine geschlechtergerechte Umverteilung von Sorgetätigkeiten braucht. Die restliche frei verfügbare Lebenszeit bliebe dann der konkreten Utopie des Rechts auf Faulheit – in Adornos Worten: »auf dem Wasser liegen und friedlich in den Himmel schauen« – vorbehalten.

Unter dem Begriff Degrowth werden mannigfaltige Strategievorschläge diskutiert. Manche fordern vor allem, das individuelle Konsumverhalten zu ändern, andere halten eine Überwindung der kapitalistischen Produktionsweise für notwendig. »Die« Postwachstumsdebatte pauschal als zu reformistisch oder institutionenorientiert abzukanzeln, verkennt radikalere Teile der sehr heterogenen Bewegung.

Kritik auch an progressiven Degrowth-Ideen gibt es dennoch zuhauf. Der Ökonom Branko Milanović meint, dass sich Staaten mit Degrowth-Strategien »freiwillig arm« machen würden, und so etwas hätten, wenn überhaupt, bislang doch nur die Roten Khmer in Kambodscha gemacht. Wer sich in ökonomischen und gesellschaftspolitischen Fragen für besonders realistisch hält, hat schnell den Vorwurf parat, Postwachstumsvertreter:innen würden ihre Zeit mit dem Bau von Luftschlössern verschwenden, da die Verwirklichung ihrer Konzepte politisch, will heißen auf parlamentarischem Wege, so gut wie unmöglich sei.

Es gehört wohl etwas utopische Energie dazu, an die Umsetzbarkeit von progressiven Postwachstumsideen zu glauben (was freilich für jeden eman­zipatorischen Gesellschaftsentwurf gilt). In jedem Fall haben die radikaleren Degrowth-Ideen das Potential, als Korrektiv in sozialistischen Debatten zu wirken und ein Gegengewicht zum Produktivismus darzustellen, der immerhin, wenn auch unter anderen Verfügungs- und Konkurrenzbedingungen als den heute herrschenden, mit desaströsen ökologischen Folgen die realsozialistischen Gesellschaften des Ostblocks prägte. Gleichzeitig sind linke Postwachstumsverfechter:innen ernsthaft darum bemüht, sowohl Umweltschutz als auch Postwachstum als fortschrittliche Projekte gegen Vereinnahmungsversuche von rechts zu verteidigen.

Dass linke Klimaschützer:innen heimlich den sozialistischen Umbau planen würden, wird ihnen von interessierter Seite ohnehin vorgeworfen. Da könnte man genauso gut selbstbewusst verkünden, den ökologischen Sozialismus anzustreben.