Das novellierte Ausländergesetz in Frankreich wurde mit den Stimmen der Rechtsextremen verabschiedet

Integration Le Pens geglückt

Erstmals stimmten Liberale und Konservative in der französischen Nationalversammlung zusammen mit dem rechtsextremen Rassemblement national für ein Gesetz. Es begrenzt die Rechte von Ausländern.

Paris. Nun ist passiert, was viele lange schon befürchtet hatten: Das liberal-konservative Lager in der französischen Nationalversammlung, dem parlamentarischen Unterhaus, votierte zusammen mit den Abgeordneten des Rassemblement national (RN) für ein neues, schärferes Ausländergesetz.
Vor einem Vierteljahrhundert, im Frühjahr 1998, hatte allein schon die Tatsache, dass ein Teil der bürgerlichen Rechten in Frankreich sich bereit zeigte, die Unterstützung des neofaschistischen Front national (FN), der Vorgängerpartei des RN, anzunehmen, einen Skandal und heftige innenpolitische Verwerfungen ausgelöst. Es ging um die Neuwahl der Regionalregierungen in den 22 damaligen französischen Regionen – seit einer Gebietsreform sind es nun nur noch 13.

Zwar konnten die Konservativen ­damals 14 Regionalregierungen übernehmen, doch löste das breite Empörung aus. In Montpellier benannte der Stadtrat die zum dortigen Regionalparlament führende Straße deswegen, in historischer Anspielung, in Avenue de Vichy um. Die auf diese Weise gewählten Regionalpräsidenten waren nach wenigen Monaten alle aus dem Amt gedrängt.

Im Dezember des vergangenen Jahres hingegen stimmten ein Großteil sowohl der wirtschaftsliberalen Parteien, die Staatspräsident Emmanuel Macron unterstützen – Renaissance, Modem und Horizons –, wie auch die Abgeordneten der einstmals dominierenden und inzwischen geschwächten konservativen Partei LR (Les Républicains, früher UMP) in der Nationalversammlung zusammen mit der extremen Rechten ab. Allerdings verweigerten sich 60 Abgeordnete des Macron nahestehenden Regierungslagers, unter anderem vom sozialliberalen Flügel der Präsidentenpartei Renaissance, dem Vorgehen und enthielten sich oder stimmten mit Nein.

Die rechtsextreme Opposition gab durch ihre Kampagnen die Themen vor, trieb andere Parteien vor sich her, drängte auf Ergebnisse und prangerte zugleich deren Erfolglosigkeit an.

Es ging um die zentrale Thematik der extremen Rechten seit den frühen achtziger Jahren, mit der der FN be­ziehungsweise später der RN bei Wahlen erfolgreich war: die sogenannte Ausländerfrage. Zur Abstimmung stand eine Novelle der Ausländergesetzgebung, die 30. seit Anfang der achtziger Jahre. Durchschnittlich alle 18 Monate wird seither am Ausländerrecht herumreformiert.

Bis vor kurzem allerdings existierte dabei eine Art inoffizieller Arbeitsteilung: Die rechtsextreme Opposition gab durch ihre Kampagnen die Themen vor, trieb andere Parteien vor sich her, drängte auf Ergebnisse und prangerte zugleich deren Erfolglosigkeit an, endlich ein »Machtwort« zu sprechen. Die jeweiligen Regierungsparteien antworteten darauf, man nehme die Sorgen und Nöte derer, die für Jean-Marie Le Pen oder später seine Tochter und politische Erbin Marine Le Pen stimmten, durchaus ernst, nur sei man selbst verantwortungsbewusst und bemühe sich deswegen konstruktiv um realitätsgerechte Lösungen im Gesetzgebungsverfahren statt auf einfache Parolen.

Zum ersten Mal wird dieses Schema nun dergestalt durchbrochen, dass eine Mehrheit des liberalen Regierungslagers, die oppositionellen Konserva­tiven und die extreme Rechte gemeinsam abstimmen und ein Gesetz ver­abschieden.

Auf dem Weg dahin war noch etwas anderes passiert, das kurzfristig sowohl bei Abgeordneten der linkspopulistischen Wahlplattform LFI (Das unbeugsame Frankreich) und Teilen der Grünen als auch bei Konservativen und Neofaschisten zu Triumphgeschrei führte. Am 11. Dezember nahm die ­Nationalversammlung das erstmals über den Regierungsentwurf aus dem von Gérald Darmanin geführten Innenministerium abstimmen sollte, mit knapper Mehrheit einen Nichtbefassungsantrag an. Den Gesetzestext hatten zuvor Linke und Grüne als »rassistisch«, die Konservativen und Rechtsextremen als »viel zu weich« kritisiert.

Das entscheidende Wort hatte nun allerdings Präsident Macron. Denn es stellte sich die Frage, was mit dem Text passieren sollte: ihn von der Tagesordnung streichen? Oder eine Volksabstimmung darüber ansetzen? Letzteres hätte jedoch eine Änderung der Verfassung vorausgesetzt, denn diese lässt Referenden bisher lediglich zu »sozialen und ökonomischen« Themen sowie zu internationalen Verträgen zu.

Bei vielen Sozialleistungen sollen für ausländische Antragsteller künftig andere Vorschriften gelten als für französische.

Macron entschied sich für ein anderes Verfahren zur Vermittlung zwischen den beiden Parlamentskammern, der Nationalversammlung und dem Senat. Denn der konservativ dominierte Senat hatte bereits vom 4. bis 16. November über den Entwurf debattiert und eine beträchtlich verschärfte Fassung verabschiedet. Der Verfahrenstrick Macrons bestand nun darin, einen parlamentarischen Vermittlungsausschuss einzusetzen. Ein solches Prozedere ist üblich, wenn beide Kammern unterschiedliche Textvarianten zum selben Thema ­verabschieden und eine vermittelnde Fassung gefunden werden soll. Nur hatte die Nationalversammlung nichts verabschiedet.

So wurde die letztlich gültige Version allein auf Basis der Vorlage des Senats erarbeitet. Präsident Macron und Premierministerin Élisabeth Borne setzten alles daran, einen Kompromiss mit Les Républicains zu finden. Also einer Partei, die bei der jüngsten Präsidentschaftswahl im April 2022 nur noch 4,7 Prozent der Stimmen erhalten hatte, großenteils zwischen Liberalen und Rechtsextremen zerschreddert wurde und in Sachen Ausländerpolitik die Programme des RN längst fast ohne Abstriche kopiert.

Entsprechend sieht die in der Nacht vom 19. zum 20. Dezember verabschiedete Gesetzesnovelle aus. Bei vielen Sozialleistungen und namentlich beim Wohngeld – einem Mietzuschuss für Haushalte mit geringen Einkommen –, beim Kindergeld und bei der häuslichen Pflegehilfe sollen für ausländische Antragsteller künftig andere Vorschriften gelten als für französische. Der Senat wollte in seinem Entwurf vom November solche Zahlungen erst nach mindestens fünfjährigem legalem Aufenthalt in Frankreich zugestehen.

Der zwischen Regierungslager und Senatsmehrheit ausgehandelte Kompromiss lautet nun, diese Leistungen sollten denjenigen Ausländern, die nicht beitragspflichtig arbeiten – das kann etwa alleinerziehende Mütter französischer Kinder betreffen –, erst nach fünf Jahren offenstehen; denen, die sozialversicherungspflichtig berufstätig sind, dagegen nach zweieinhalb Jahren, das Wohngeld allerdings schon nach drei Monaten. Wären die Mietzuschüsse jahrelang verweigert worden, so offenbar die Befürchtung, hätte sich die Tendenz zur Ghettobildung verstärkt. Nicht angewandt werden die neuen Ausschlussfristen auf anerkannte Asylberechtigte und auf ausländische ­Studierende.

Die extreme Rechte jubiliert, ihre Vorstellung einer préférence nationale, also eines »Inländervorrangs« bei ­Sozialleistungen, sei nun grundsätzlich akzeptiert und im Gesetz berücksichtigt worden. Der RN selbst würde freilich sehr viel weiter gehen und wohl den grundsätzlichen Ausschluss von Sozialleistungen oder die Einrichtung getrennter Sozialkassen für Ausländer ins Gesetz schreiben.

Noch muss das Verfassungsgericht darüber befinden, ob das neue Ausländer­gesetz verfassungskonform ist.

Weitere Zugeständnisse an die Rechtsextremen sind die Änderungen beim Erwerb der Staatsbürgerschaft: War es bislang geltendes Recht, dass jedes in Frankreich geborene Kind ausländischer Eltern mit Erreichen der Volljährigkeit automatisch die französische Staatsbürgerschaft erhielt, soll dies künftig einen Antrag erfordern, der im Alter zwischen 16 und 18 Jahren zu stellen ist. Diese Neuregelung soll vor allem symbolisch klarstellen, dass nicht notwendig Franzose sei, wer im Land geboren ist.

Ein weitgehender Abschiebeschutz galt seit 2003 für diejenigen Ausländer, die seit mindestens 20 Jahren legal in Frankreich wohnen – ein schwächerer Schutz greift bereits ab zehnjährigem legalem Aufenthalt –, vor dem ­Alter von 13 dort ankamen oder für französische Kinder erziehungsberechtigt sind. Ausnahmen gelten bislang für jene, die wegen bestimmter Straftaten rechtskräftig zu mindestens fünf Jahren Haft verurteilt wurde. Doch künftig entfällt der Schutz bei allen Straftaten, auf die mindestens fünf Jahre Strafandrohung stehen, auch wenn das konkrete individuelle Strafmaß bei einer Verurteilung weit darunter liegt; dies betrifft beispielsweise Drogenverkauf. Dies soll die Zahl von Straffälligen erheblich erhöhen, die abgeschoben werden können.

Noch muss das Verfassungsgericht darüber befinden, ob das neue Ausländergesetz verfassungskonform ist. ­Einige Mitglieder des Regierungslagers wie Parlamentspräsidentin Yaël Braun-Pivet, die dem Gesetz zustimmte, um am folgenden Morgen in einem Interview über ihr »Unwohlsein« im Umgang mit »Grundwerten« zu klagen, hoffen erklärtermaßen darauf, die Verfassungsrichter würden diesem Unwohlsein noch abhelfen. Ansonsten gilt, dass Integration funktioniert – allerdings vor allem in der Innenpolitik und in Hinblick auf Rechtsextreme.