Die Zustände im Ankunftszentrum Berlin-Tegel werden kritisiert, doch es wird ausgebaut

Kein schönes Ankommen

Im Ankunftszentrum Berlin-Tegel kam es Ende November zu einer Massenschlägerei. Die Zustände in der Einrichtung werden länger schon kritisiert. Dennoch wird der Vertrag mit den Betreibern verlängert und das Ankunftszentrum ausgebaut.

Ende November eskalierte ein Konflikt in der Großunterkunft für Flüchtlinge in Berlin-Tegel. Auf dem ehemaligen Flughafengelände kam es in den Morgenstunden des 27. November zu einer Massenschlägerei zwischen etwa 100 Personen, nachdem der Syrer Kurden angegriffen hatten.

Die Jungle World sprach mit einigen der betroffenen Kurden. Es handele sich um einen schon länger schwelenden Streit. Sie seien als Kurden ständig verbalen wie auch nonverbalen Erniedrigungen ausgesetzt – auch durch Mitarbeiter der Sicherheitsdienste. Als es Ende November dann zu der Attacke kam, hätten die Angreifer die Männer als »gottlose Kurden« beschimpft und ihnen gedroht: »Wir werden euch vernichten.« Einige Angreifer seien mit Messern bewaffnet gewesen. Die Mitarbeiter der Sicherheitsdienste schritten den Betroffenen zufolge nicht ein. Einzelne hätten sich zumindest verbal eingemischt – allerdings auf der Seite der Angreifer. Insgesamt sechs Menschen wurden nach Polizeiangaben verletzt.

Anfang Dezember kontrollierte die Polizei bei einer Razzia alle in Tegel beschäftigten Sicherheitsmitarbeiter. Von 183 Wachleuten konnten 55 keine ausreichende Qualifikation vorweisen; sie mussten umgehend ihren Dienst beenden.

Anfang Dezember kontrollierte die Polizei bei einer Razzia alle in Tegel beschäftigten Sicherheitsmitarbeiter. Von 183 Wachleuten konnten 55 keine ausreichende Qualifikation vorweisen; sie mussten umgehend ihren Dienst beenden. Mitarbeiter des Ankunftszentrums teilten der Jungle World nach der Razzia ihre Verwunderung über die genannte Zahl mit. Eigentlich würden über 300 Personen im Sicherheitsdienst arbeiten.

Der Vorfall sei »ein Einzelfall«, teilte Sozialsenatorin Cansel Kiziltepe (SPD) dem RBB mit. Auch für die zuständige Betriebsleiterin des Deutschen Roten Kreuzes (DRK), Kleopatra Tümmler, schienen die Ereignisse unerwartet gewesen zu sein. Der Landesrundfunkanstalt sagte sie, dass es »keinerlei Bestätigung für eine systematische Unterwanderung und Zusammenrottung« gebe.

Zwei Augenzeugen erzählten dem RBB hingegen, dass es bereits in der Vergangenheit Provokationen mit politischem oder ethnischem Hintergrund gegeben habe. So seien Videos des »Islamischen Staats« in der Einrichtung abgespielt worden. Stefan Strauß, Pressesprecher der Senatsverwaltung für Arbeit und Soziales, teilte der Jungle World zudem auf Anfrage mit, dass bereits einige Wochen vor den gewalttätigen Auseinandersetzungen ein Foto viral ging, auf dem ein Wachmann mit islamistischen Symboleneiner »rassistischen Schrift aus dem türkischen Raum« auf seiner Mütze zu sehen gewesen sei. Dieser musste Strauß zufolge »noch am selben Abend nach Bekanntwerden des Vorfalls seinen Dienst beenden und bekam ein Beschäftigungsverbot«.

Die Zustände in dem Ankunftszen­trum sind insgesamt katastrophal. Pro Person stehen nur wenige Quadratmeter zur Verfügung. Es fehlt an Privatsphäre. Die hygienischen Zustände sind untragbar. Mitarbeiter sprechen von über mehrere Tage hinweg verstopften Toiletten und mangelnder medizinischer Versorgung. Nichtregistrierte Asylbewerber würden nur notdürftig versorgt. Bewohner berichten der Jungle World von Drogenhandel und Prostitution.

Ursprünglich war das Ankunftszentrum lediglich als Registrier- und Verteilzentrum für Geflüchtete aus der Ukraine geplant. Ein langer Aufenthalt war nie vorgesehen. Es kam aber anders.

Bei einer Anhörung im Berliner Abgeordnetenhaus berichtete die Ukrainerin Natalija Browko, eine ehemalige Bewohnerin des Ankunftszentrums, dass sie »in ständigem Stress« und »immer unter psychologischen Druck« gelebt habe. Mitarbeiter des DRK und anderer Hilfsorganisationen hätten den Bewohnern gedroht, sie der Unterkunft zu verweisen, wenn sie etwas falsch gemacht hätten. »Uns wurde klargemacht: Ihr fliegt hier raus und könnt unter der Brücke schlafen, wie Obdachlose.«

Browko berichtete zudem von wiederkehrenden Problemen mit dem Sicherheitsdienst. So seien die Bewohner manchmal nicht auf die Toilette gelassen worden. Oder das Wachpersonal habe sich bei der Leitung über angebliche Beleidigungen beschwert, ohne überhaupt ein Wort Ukrainisch zu verstehen.

Ursprünglich war das Ankunftszentrum lediglich als Registrier- und Verteilzentrum für Geflüchtete aus der Ukraine geplant. Ein langer Aufenthalt war nie vorgesehen. Es kam aber anders. In diesem Jahr wurden bis September knapp 12.000 Flüchtlinge Berlin zugewiesen. Das Landesflüchtlingsamt meldete für 2023 einen Zuwachs um 32 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Weil es aber für die Ankommenden an Plätzen in den vorgesehenen Heimen mangelt, werden sie in den nicht dafür ausgestatteten Ankunftszentren monatelang untergebracht. Derzeit wird sogar weiter ausgebaut. Bis Jahresende könnten 7.000 Menschen in Tegel leben. Strauß bestätigte zudem der Jungle World, dass trotz aller Kritik der Vertrag mit dem Deutschen Roten Kreuz als Betreiber verlängert wird.