Ein mutmaßlicher Rechtsrock-Ring hat Besuch von der Polizei bekommen

Nazi-Rock zieht immer noch

Bei einer bundesweiten Razzia gegen einen Rechtsrock-Ring wurden knapp 240.000 Euro beschlagnahmt. Die Kundschaft ist zwar inzwischen in die Jahre gekommen, doch Nazi-Rock ist immer noch wichtig für die Finanzierung der Szene.

Eine Jugendkultur ist Rechtsrock schon lange nicht mehr. Das zeigte auch die großangelegte Razzia Ende Oktober gegen einen mutmaßlichen Nazi-Rock-Ring: Der jüngste Tatverdächtige war 34 Jahre alt, die übrigen waren mit 36 bis 59 Jahren zum Teil noch erheblich älter. Immer noch spielen Rechtsrock und andere Formen von Neonazi-Musik eine wichtige Rolle bei der Finanzierung extrem rechter Agitation. Im Zuge der Razzia am 26. Oktober wurden von verschiedenen Konten knapp 240.000 Euro aus dem Erlös illegaler Plattenverkäufe beschlagnahmt, hinzu kamen 38.000 Euro Bargeld.

In sechs Bundesländern sowie auf der spanischen Insel Mallorca wurden Häuser durchsucht. Alleine in Niedersachsen waren drei Objekte betroffen. Der Einsatz richtete sich gegen eine mutmaßliche kriminelle Vereinigung, der vorgeworfen wird, strafrechtlich relevante volksverhetzende, rechtsextreme Musik produziert und vertrieben zu haben. Insgesamt zwölf Tatverdächtigen wird Unterstützung oder Mitgliedschaft in dieser Vereinigung vorgeworfen.

Auf Mallorca richteten sich die Durchsuchungen gegen Jens Hessler, der ursprünglich ebenfalls aus Niedersachsen stammt und lange den extrem rechten Versandhandel »Das Zeughaus« betrieben hat. Inzwischen ist der Versand nach Apolda in Thüringen umgezogen und wird dem Impressum zufolge von einem Fabian Kellermann betrieben. Ein weiterer Tatverdächtiger war David H. aus Berlin-Marzahn. Nach Angaben des RBB wird er dem in Deutschland verbotenen Netzwerk »Blood and Honour« zugerechnet, das eine wichtige Rolle im internationalen Rechtsrockgeschäft spielt.

Nur ein Beschuldigter wurde festgenommen: der mutmaßliche Rädelsführer Lasse K. aus dem niedersächsischen Bardowick bei Lüneburg. Im thüringischen Fretterode wurde das Haus des bekannten Nazi-Politikers Thorsten Heise durchsucht. Der stellvertretende Bundessprecher der Partei »Die Heimat« (ehemals NPD) ist schon lange im Rechtsrockgeschäft aktiv. Er gilt als Drahtzieher des Projekts »Schulhof-CD« von 2004 und rief 2018 das Festival »Schild und Schwert« ins Leben. Bei der jüngsten Razzia gehörte er dem RBB zufolge jedoch nicht selbst zu den Beschuldigten. Es sei bei der Durchsuchung vielmehr um dessen Verbindungen zu Lasse K. gegangen.

»Die Repression hat deutlich zugenommen und es werden wieder mehr Konzerte aufgelöst.« Thorsten Hindrichs, Musikwissenschaftler und Rechtsrock-Experte

Dieser war früher bei den Jungen Nationaldemokraten (JN), der Jugendorganisation der damaligen NPD, aktiv. Vor allem aber teilt er mit Heise das Interesse an extrem rechter Rockmusik. Unter anderem spielte er bei der Bremerhavener Band Loi!chtfeuer. Nun wirft die Staatsanwaltschaft ihm vor, nicht nur Rechtsrock gespielt, sondern auch verkauft zu haben. Dem RBB zufolge wird vermutet, dass hierfür eine vorgeblich auf Rockabilly spezialisierte Hamburger Firma, deren Geschäftsführer K. ist, als Tarnung genutzt ­wurde.

Die Razzia dürfte durchaus ein Schlag für die Rechtsrockszene gewesen sein. »Das tut denen schon weh und es hinterlässt auch einen Eindruck bei ihnen«, sagte Thorsten Hindrichs, Rechtsrockexperte und Musikwissenschaftler an der Universität Mainz, der Jungle World. »Damit wird ein Teil des deutschen Marktes zwar nicht direkt zerschlagen, aber doch stark behindert.«

Auch andere Bands und Labels dürften so langsam kalte Füße bekommen, denn der Ermittlungs- und Verfolgungsdruck ist merklich gestiegen. Im September hatte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) den deutschen Ableger des Netzwerks Hammerskins verbieten und dessen Vermögen einziehen lassen. Nur wenige Tage vor den jüngsten Durchsuchungen in Deutschland gab es in Spanien eine landesweite Razzia gegen den dortigen Teil von Combat 18, den bewaffneten Arm von Blood and Honour.

Am Wochenende nach der Razzia wurde zudem in Gelsenkirchen ein Konzert der Neonazi-Band Sturmwehr von der Polizei aufgelöst. Einen direkten Zusammenhang zwischen beiden Ereignissen sieht Hindrichs zwar nicht, aber es zeige sich doch, dass die Polizei härter durchgreift. »Die Repression hat deutlich zugenommen und es werden wieder mehr Konzerte aufgelöst«, so Hindrichs. Dabei würden diese noch klandestiner beworben. Die Polizei könne von vielen Konzerten nur von internen Informant:in­nen wissen. »Das sorgt schon für Unsicherheiten und erhöhtes Misstrauen.«

Dabei hatte die Zahl der Rechtsrockkonzerte im vierten Quartal 2022 gerade erst annähernd wieder das Vor-Corona-Niveau erreicht. Die Covid-19-Pandemie hatte die Szene hart getroffen. Konzerte fanden kaum noch statt, was zu enormen Einnahmeausfällen führte. Bands und Labels versuchten, diese vor allem dadurch zu kompensieren, dass sie die Tonträgerproduktion steigerten. 236 Veröffentlichungen waren es dem Experten Jan Raabe zufolge allein im ersten Pandemiejahr 2020. Laut Hindrichs sind das rund doppelt so viele wie in den Vorjahren. Bei einem Großteil davon handelte es sich jedoch nicht um neue Produktionen, sondern um Wiederveröffentlichungen oder aufwendig gestaltete Sondereditionen, oft auf Vinyl – auch das ein Hinweis auf das steigende Alter der Nazi-Rock-Fans.