Adam Kadyrow, Sohn des tsche­tschenischen Machthabers, misshandelte einen ­Gefangenen

Wie bei Kadyrows unterm Sofa

Der tschetschenische Machthaber Ramsan Kadyrow ist offenbar gesundheitlich angeschlagen. Sein Sohn Achmat fungierte bereits als sein Stellvertreter, sein Sohn Adam profilierte sich jüngst, indem er einen Gefangenen zusammenschlug.

Ramsan Kadyrow sah nicht gut aus, trotz betont munterer Stimmung. Während einer Audienz im Kreml beim russischen Präsidenten Wladimir Putin am Donnerstag voriger Woche wirkte das Gesicht des 47 Jahre alten Oberhaupts der Republik Tschetschenien aufgedunsen. Der Staatssender Rossija 24 unterbrach für einen kurzen Videobeitrag über das Treffen sogar eine Live-Schaltung vom Moskauer Finanzforum. Kadyrow brüstete sich wohlgefällig mit dem Einsatz tschetschenischer Soldaten in der Ukraine und legte dar, dass in seiner Republik in jeglicher Hinsicht alles bestens laufe. Etwas anderes wäre auch gar nicht zu erwarten gewesen. Doch die eigentliche Botschaft bestand nicht in Kadyrows Aufzählung seiner eigenen Führungsqualitäten – vielmehr sollte sich alle Welt davon überzeugen, dass der tschetschenische Alleinherrscher mit all seiner Manneskraft mitten im Leben steht.

Genau das wurde in den vergangenen Wochen immer öfter bezweifelt. Schon seit Jahren kursieren Gerüchte über eine schwere Nierenerkrankung Kadyrows. Auf nichtoffiziellen tschetschenischen Telegram-Kanälen hieß es nun neuerdings, Kadyrows Gesundheit habe sich erheblich verschlechtert, sogar Meldungen, Putins eifrigster Staatsdiener liege im Koma, machten die Runde. Es hieß, Kadyrow werde in einem Moskauer Krankenhaus behandelt. Das Thema beschäftigte auch ukrainische Geheimdienste. Andrij Jussow, Sprecher der militärischen Aufklärung der ­Ukraine, sprach Mitte September von einem kritischen Zustand, wie die staatliche Nachrichtenagentur Ukrinform mitteilte.

Kadyrow seinerseits bemühte sich dar­um, Zweifel zu zerstreuen, mal mit familiären Videos, mal mit Behauptungen, er habe im Krankenhaus lediglich seinen Onkel besucht, der sich bereits auf dem Weg der Besserung befinde. Aber wirklich überzeugen konnte er nicht. Hinzu kommt, dass er sich im laufenden Jahr bereits drei Mal eine Auszeit gegönnt hat, im Januar, April und Juli. Im Februar blieb er einem der wichtigsten politischen Termine des russischen Regimes fern – Putins Botschaft an die Föderationsversammlung. Als seinen Vertreter schickte er seinen zu dem Zeitpunkt 17 Jahre alten Sohn Achmat vor. Ein Umstand, der als erstes Anzeichen einer weiteren Machtübergabe innerhalb der Familiendynastie gedeutet werden konnte. Nach dem Tod seines Vaters, Achmat Kadyrow, bei einem Anschlag 2004 hatte Ramsan in Tschetschenien die Macht übernommen und sie zu einem ausgeklügelten Modell der Gewaltherrschaft ausgebaut, gebilligt und finanziert aus Moskau.

Es hagelte harsche öffentliche Kritik – selbst in kremlnahen Medien und aus der Regierungspartei Einiges Russland – am Handeln von Adam Kadyrow.

Wie es weitergehen würde, wenn der derzeitige tschetschenische Anführer amtsunfähig werden oder sterben sollte, ist offen. Sein Sohn Achmat ist inzwischen volljährig, dürfte derzeit aber kaum in der Lage sein, die Rolle seines Vaters in gebührender Weise auszufüllen. Womöglich müsste eine Übergangslösung gefunden werden, also jemand Loyales, der über kürzere oder längere Zeit das Amt des Oberhaupts Tsche­tscheniens übernimmt.
Vermutlich ist Ramsan Kadyrow inzwischen dessen überdrüssig, ständig seine Gesundheit unter Beweis stellen zu müssen. Keine Probleme hat er hingegen damit, das gewalttätige Verhalten seines Sohns Adam in der Öffentlichkeit zu loben. Es hatte den Anschein eines regelrechten Ablenkungsmanövers, als Ramsan Kadyrow am 25. September ein Wochen zuvor aufgezeichnetes Video veröffentlichte, auf dem zu sehen ist, wie der 15 Jahre alte Adam den aus Sewastopol stammenden Nikita Schurawel gewalttätig misshandelt. Der 19jährige Student hatte den Vorfall im August an die russische Menschenrechtsbeauftragte Tatjana Moskalkowa gemeldet.

Schurawel war im Mai in Wolgograd festgenommen und wenige Tage später in Untersuchungshaft nach Tschetschenien verlegt worden, weil er die religiösen Gefühle von Muslimen verletzt haben soll. Die Ermittler legen ihm zur Last, vor einer Wolgograder Moschee Seiten eine Koran-Ausgabe verbrannt zu haben. Auf dem als Beweis dienenden Video ist jedoch niemand zu erkennen. Am Tag der Festnahme verbreitete der Inlandsgeheimdienst FSB ein Video mit Schurawels Geständnis. Daraus geht hervor, er habe den Koran im Auftrag des ukrainischen Geheimdiensts gekauft und angezündet.
Streng genommen hätte Schurawel gar nicht erst inhaftiert werden müssen, denn das entsprechende Delikt zählt zu den eher leichten Vergehen.

Stattdessen wurde aus dem Fall eine Angelegenheit hoher staatlicher Priorität und der Verdächtigte der tschetschenischen Staatsmacht regelrecht zum Fraß vorgeworfen. Ganz als hätte nur die einst abtrünnige, nach zwei Kriegen und satten Transferüberweisungen zum Vorzeigeobjekt für Kreml-Loyalität mutierte Republik ein Anrecht, über mutmaßliche Koran-Verächter zu urteilen. Mehr noch: Der tschetschenische Menschenrechtsbeauftragte Mansur Soltajew sprach sich dafür aus, Schurawel in einem Schwung auch noch wegen Landesverrats abzuurteilen. »Die ukrainischen Geheimdienste wissen, dass Russlands Muslime den Jihad gegen den Satanismus des kollektiven Westens eröffnet haben«, hatte Soltajew der russischen Tageszeitung Kommersant bereits im Mai mitgeteilt.

Es hagelte harsche öffentliche Kritik – selbst in kremlnahen Medien und aus der Regierungspartei Einiges Russland – am Handeln von Adam Kadyrow, doch stellt sich eher die Frage, wie er überhaupt zu dem Gefängnis Zugang ­erhielt und wie es sein kann, dass Angehörige des Kadyrow-Clans einen Freibrief für jegliche Form der Grausamkeit erhalten. Loyalität erkauft sich der Kreml offenbar nicht allein mit materiellen Werten.