Im thüringischen Nordhausen wäre ein AfD-Kandidat fast Oberbürgermeister ­geworden

Nordhäuser Heimatliebe

Im thüringischen Nordhausen hätte der AfD-Kandidat Jörg Prophet fast die Wahl zum Oberbürgermeister gewonnen. Er war für seine geschichtsrevisionistischen Äußerungen bekannt – damit passt er gut in die ehemalige Reichsstadt.

Die nordthüringische Stadt Nordhausen mit ihren etwa 41.000 Einwohnern erregt selten internationale Aufmerksamkeit. Doch über ihre jüngste Oberbürgermeister:innenwahl berichteten zum Beispiel ABC News aus den USA, der britische Guardian, France 24 und die Times of Israel.

Der Grund dafür war, dass im ersten Wahlgang vor knapp drei Wochen der AfD-Kandidat Jörg Prophet 42,1 Prozent der Stimmen erhalten hatte, womit er fast 20 Prozentpunkte vor dem Zweitplatzierten lag, dem parteilosen Amtsinhaber Kai Buchmann.

Es sah so aus, als setze sich der ­derzeitige Siegeszug der AfD im Osten der Republik fort. Nachdem in Sonneberg (Thüringen) ein Landrat und in Raguhn-Jeßnitz (Sachsen-Anhalt) ein hauptamtlicher Bürgermeister der AfD gewählt worden war, hätte die AfD in Nordhausen zum ersten Mal einen Oberbürgermeister stellen können.

Die Stichwahl am Sonntag gewann dann jedoch Buchmann mit 54,9 Prozent der Stimmen; Prophet erhielt 45,1 Prozent. Die Erleichterung in vielen deutschen Medien war groß. Es hatte tatsächlich gute Gründe gegeben, mit einem AfD-Sieg zu rechnen – nicht nur, weil Buchmann bei den anderen örtlichen Parteien wenig beliebt und wegen Mobbing-Vorwürfen zeitweise suspendiert gewesen war.

Seit langem wird in Nordhausen das Gedenken an die Opfer der alliierten Bombardierung hochgehalten. Die Stadt geriert sich als Opfer, das KZ am Stadtrand kommt meist nur nebenbei vor.

Nordhausen ist seit langem durch eine florierende Neonazi-Szene geprägt. Nachdem Anfang der nuller Jahre ein linksalternatives Jugendzentrum in der Altstadt schließen musste und die dor­tige Autonome Antifa Südharz im Strudel des Zusammenbruchs des Antifa-Netzwerks AA/BO mit versank, gab es zeitweise sogar mehrere teils sehr militante Neonazi-Gruppierungen gleichzeitig, die sich als Autonome Nationalisten Nordthüringen zusammenfanden und die Straßen unsicher machten.

Jens-Christian Wagner ist Direktor der Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora und kennt die Stadt aus eigener Erfahrung nur allzu gut – das KZ Mittelbau-Dora liegt am nördlichen Stadtrand von Nordhausen. Vor der Wahl hatte Wagner in einem Interview mit dem Stern vor Prophet gewarnt. Der AfD-Kandidat hantiere mit Begriffen wie »Schuldkult« und propagiere einen »geschichtsrevisionistischen Rechtsextremismus«, indem er zum Beispiel »den industriellen Massenmord in Auschwitz mit den britischen Luftangriffen auf deutsche Städte« gleichsetze.

Doch womöglich hat gerade das Prophet in Nordhausen so beliebt gemacht. Seit langem wird dort das ­Gedenken an die Opfer der alliierten Bombardierung hochgehalten. Die Stadt geriert sich dabei als Opfer, das KZ am Stadtrand kommt oft nur am Rande vor. Das KZ Mittelbau-Dora am Stadtrand von Nordhausen bestand 18 Monate und diente vor allem der Zwangsarbeit für die Rüstungsindustrie. Von insgesamt über 60.000 KZ-Häftlingen starben 20.000.

Nach Wagners Einschätzung ist ­Prophet »keinen Deut« besser als der thüringische AfD-Landesvorsitzenden Björn Höcke. Dieser zeigte sich am Wahlabend zufrieden. »Diese Nieder­lage sollte uns nicht zu sehr schmerzen, denn auch sie zeigt, daß Thüringen und Deutschland auf Kurs ›Normalisierung‹ sind«, schrieb Höcke auf X (vormals Twitter).

Damit könnte er recht haben. Wer in den vergangenen Jahren in der ­Region Augen und Ohren offenhielt, weiß, dass sich dort eine rechte Hegemonie etabliert hat. Linksalternative Orte wurden nach und nach geschlossen und die »Kleine Freiheit«, ein ­Kulturprojekt, das sich nach der Schließung der letzten linken Kneipe als ­Verein gründete, kann aufgrund von Bauauflagen der Stadt bisher nur an wenigen Tagen im Jahr seine Pforten öffnen.

Außer den Grünen und der Linkspartei, die politisch kaum ins Gewicht fallen, hatte sich keine Partei zu einer klaren Wahlempfehlung für Buchmann durchringen können. Dem Amtsinhaber fehlten wegen seiner Parteilosigkeit die ­Mittel für einen größeren Wahlkampf. Doch nach dem ersten Wahlgang gründete sich zu seiner Unterstützung das Bündnis »Nordhausen zusammen«, das wohl ausschlaggebend für den Wahlausgang war. ­Obwohl auch dieses Bündnis nicht ganz frei von Heimattümelei und Stand­ortdenken war, vermochte es doch, die Wahlberechtigten mit Restvernunft hinter dem Ofen hervor­zulocken.

Schon bald gibt es für die AfD die nächste Gelegenheit, zum ersten Mal einen Oberbürgermeister zu stellen. In Bitterfeld-Wolfen in Sachsen-Anhalt hat der AfD-Kandidat Henning Dornack im ersten Wahlgang mit 33,8 Prozent die meisten Stimmen erhalten. Die Stichwahl findet am 8. Oktober statt.