In Thüringen kooperieren AfD und Neonazis mittlerweile ganz ungeniert

Unverhohlene Kameradschaft

Am 3. Oktober, dem Feiertag der »Deutschen Einheit«, mobilisierten Neonazis und die AfD gemeinsam zu einer großen Protestkundgebung in Gera. Auch in anderen thüringischen Städten folgten Tausende Menschen rechten Demonstrationsaufrufen.

Während in der thüringischen Landeshauptstadt Erfurt die offiziellen Feierlichkeiten zum sogenannten Tag der Deutschen Einheit begangen wurden, versammelten sich in Gera nach Polizeiangaben rund 10 000 Menschen zum Protest gegen die derzeitige Regierungspolitik. Lokale und überregionale Neonazi-Gruppen sowie die AfD hatten zu der Demonstration aufgerufen. Auf den Plakaten der Rechten waren Sprüche wie »Politiker zuerst an die Ostfront« und »Wir sind die Mücke im Schlafzimmer der Politik« zu lesen. »Unsere Regierung führt uns in den 3. Weltkrieg«, behaupteten ausgerechnet jene, die mit russischen Fahnen demons­trierten.

Aus der Menge heraus kam es laut der Opferberatung Ezra zu »einem gezielten Flaschenwurf auf einen Pressevertreter sowie zu versuchten Angriffen und zahlreichen Bedrohungen gegenüber Journalisten«. Die Journalistin Ann-Katrin Müller berichtete auf Twitter, das Menschen mit Migrationshintergrund am Straßenrand mehrfach »bepöbelt und bedroht« worden seien. Während des Demonstrationszugs dröhnte Musik der Toten Hosen und von Ton Steine Scherben aus den Lautsprechern – auch eine Art kultureller Aneignung.

Auf der Abschlusskundgebung sprachen neben Martin Kohlmann, dem Vorsitzenden der extrem rechten Kleinstpartei »Freie Sachsen«, Jürgen Elsässer und der thüringische Landesvorsitzende der AfD, Björn Höcke. Letzterer suggerierte in seiner Rede, dass die USA für die Sabotage an der Pipeline Nord Stream 2 verantwortlich seien, und beklagte, die Bundesrepublik werde »von einer raumfremden Macht und einer fremdbestimmten Bundesregierung in einen Krieg hineingetrieben, der nicht der unsere ist«. Zudem beschwor Höcke die traditionelle Verbundenheit zwischen Deutschland und Russland mit dem Verweis auf deren »ähnliche seelische Stimmung« und echauffierte sich über das von ihm so genannte »Regenbogenimperium«, das es auf »die Seelen unserer Kinder« ­abgesehen habe.

Ein Grund für die abgelegte Zurück­haltung der AfD bei der Zusammen­arbeit mit Neonazis könnten die derzeitigen Zustimmungswerte sein. In Thüringen sehen die Umfragen derzeit die Partei als stärkste Kraft.

Die sächsische Landtagsabgeordnete Kerstin Köditz (Linkspartei) bezeichnete in den sozialen Medien die Rede Höckes als »faschistische Programm­rede«. Später verwiesen unter anderem der Welt-Redakteur Matthias Kamann und der Zeit-Autor Henrik Merker auf auffällige Ähnlichkeiten zu der nur drei Tage zuvor gehaltenen Rede des russischen Präsidenten Wladimir Putin anlässlich der Annexion von vier ukrainischen Regionen.

Die Zusammenarbeit von thüringischen Neonazis und AfD ist nicht neu. Die antifaschistische Gruppe Dissens aus Erfurt gab auf Anfrage der Jungle World die Einschätzung, dass der Landesverband der AfD schon lange mit den organisierten Strukturen der Neonaziszene verbunden sei. Die Nähe zur extrem Rechten werde »nicht nur ideologisch« gesucht.

Bereits 2017 hatte der AfD-Lokalpolitiker Bodo Dressel der militanten thüringischen Neonazi-Gruppe »Turonen« sein Grundstück im thüringischen Themar für eines der größten Rechtsrockkonzerte der vergangenen Jahre in Europa zur ­Verfügung gestellt. Zur Bun­destagswahl 2021 hatten ­lokale extreme Rechte wie Tommy Frenck aus Kloster Veßra und Patrick Wieschke, der thüringische Landesvorsitzende der NPD, dazu aufgerufen, die AfD zu wählen. Die thüringische Landtagsabgeordnete Katharina König-Preuss (Linkspartei) sagte im Gespräch mit der Jungle World, dass die gemeinsame Demonstration in Gera »kein Sonderfall« in dem Bundesland sei. Neu jedoch sei der Wechsel von einer »partiellen Zusammenarbeit hin zur systematischen Kooperation von AfD und extrem rechter Szene«.

Ein Grund für die abgelegte Zurückhaltung könnten die derzeitigen Zustimmungswerte sein. In Thüringen sehen die Umfragen derzeit die AfD als stärkste Kraft; die Landtagswahl findet allerdings erst 2024 statt. Laut einer Befragung des Instituts Insa von Mitte September käme die Partei auf 26 Prozent, die Linkspartei dagegen nur noch auf 23 Prozent. Den Erfolg verzeichnet die Partei nicht trotz, sondern wegen Höcke und »gerade weil sie mit faschistischer Rhetorik hausieren geht«, so die Gruppe Dissens.

Während die neonazistischen Schmuddelkinder von NPD, REP und DVU zu offensichtlich Neonazis waren, vermag es die AfD, das faschistische Potential im sogenannten bürgerlichen Lager zu nutzen. Der Partei ­gelinge es, so König-Preuss, das »Wähler- und Mobilisierungspotential ab­zugreifen, welches seit der Jahrhundertwende auch durch den jährlichen Thüringen-Monitor festgestellt wurde und rechten und rassistischen Positionen zustimmt«. Höcke sei dabei die zentrale Person. »Als Gesicht der AfD und mit seiner Rhetorik« binde er die rechte Wählerschaft. Mit seiner Strategie der »Angst- und Wutschürung gepaart mit Kanalisationsangeboten gegen gesellschaftliche Gruppen« werbe er erfolgreich neue Anhänger, so König-Preuss.

Am 3. Oktober gingen auch in weiteren Städten und Kommunen Thüringens Tausende Menschen auf die Straße. Dem MDR zufolge forderten viele der Demonstranten den Rücktritt der Bundesregierung. In Altenburg versammelten sich demnach über 3 000 Menschen. In Weimar und im Weimarer Land sowie im Saale-Holzland-Kreis zählte die Polizei insgesamt mehr als 4 200 Demonstrierende, rund 2 400 Teilnehmer sollen es allein im südthüringischen Sonneberg gewesen sein. Des Weiteren fanden in den Städten Kahla, Pößneck, Schmölln, Zeulenroda, Gotha, Suhl, Meiningen und Hildburghausen sogenannte Montagsspaziergänge, teilweise unangemeldet, mit bis zu mehreren Hundert Teilnehmern statt. In Eisenach folgten 2 500 Menschen dem Aufruf des CDU-Mitglieds Tim Schnitger unter dem Motto »Wir sind eine Nation«. Nur wenige Wochen zuvor hatte der Anmelder der Demonstration in einem selbstproduzierten Mobilisierungsvideo auf Youtube erklärt, Deutschland sei »von einem Imperium besetzt und mit Militärbasen übersät«. Auf seinen Profilen in den sozialen Medien steht: »Jetzt wird Deutsch geredet.« Der Thüringer CDU-Landesverband hat sich von Schnitger distanziert und ihm den Parteiaustritt nahegelegt.