Ein Treffen der Außenminister Libyens und Israels birgt Zündstoff

Bloß keine Normalisierung

Die libysche Regierung trotzt seit Jahren Vorwürfen von Bestechung, Vetternwirtschaft, Inkompetenz oder Folter. Ein Treffen mit einem Repräsentanten Israels könnte ihr nun jedoch zum Verhängnis werden.

Der libysche Übergangsministerpräsident Abdul Hamid Dbeiba ist nach dem Bekanntwerden eines geheimen Treffens seiner Außenministerin Najla al-Mangoush mit ihrem israelischen Amtskollegen Eli Cohen mit gewaltsamen Protesten und Rücktrittsforderungen konfrontiert. Obwohl Dbeiba, dessen Mandat eigentlich bereits seit Dezember 2021 beendet ist, dieses Treffen nachweislich selbst initiiert hatte, stimmte er nun antisemitische Rhetorik an, sagte, dass er eine Normalisierung der Beziehungen mit Israel in jeder Form ablehne, und versucht, jede Verantwortung auf die mittlerweile entlassene Außenministerin al-Mangoush abzuladen. Angeheizt wird die antisemitische Empörung von Dbeibas innenpolitischen Gegnern.

Begonnen hatte die Affäre am Sonntag, dem 27.August durch die Veröffentlichung einer Stellungnahme Cohens. Darin machte er ein Gespräch mit al-Mangoush in der vorhergehenden Woche am Rande eines vom italienischen Außenminister Antonio Tajani initiierten Treffens öffentlich. Cohen zufolge habe man in Rom über die »Bewahrung des Erbes libyscher Juden« gesprochen, darunter die »Restaurierung von Synagogen und jüdischen Friedhöfen«.

Die Bekanntgabe war nicht mit al-Mangoush abgesprochen. Ihr Ministerium stritt sogleich ab, dass es ein offizielles Treffen gegeben habe, und sprach von einer »Zufallsbegegnung«, die »ohne Gespräche, Vereinbarungen oder Beratungen« abgelaufen sei. Das Ministerium bezichtigte Cohen der Lüge, zudem lehne man jegliche Normalisierung mit dem »zionistischen Gebilde« ab und unterstütze die »palästinensische Sache«.

Zu diesem Zeitpunkt begannen jedoch bereits heftige Krawalle, die Protestierenden warfen der Außenminis­terin Hochverrat vor. Sie blockierten Straßen, zündeten Reifen an, verbrannten Israelfahnen und legten Feuer am Außenministerium in der Hauptstadt Tripolis. Niemand hielt den Mob dabei auf, das Wachpersonal ließ ihn gewähren. Die Bedrohung war so heftig, dass die Außenministerin das Land verlassen musste und sich nun in Istanbul aufhält.

Der ehemalige Vorsitzende des Hohen Staatsrats, Khaled al-Mishri, sprach von einer »Übertretung aller roten Linien« und forderte den Rücktritt der Regierung.

Nach libyschem Gesetz steht die Aufnahme von Kontakten zum Land Israel unter Strafe und wird als Hochverrat eingestuft. Unter dem Diktator Muammar al-Gaddafi hatte Libyen Israels völlige Vernichtung gefordert und zahlreiche antisemitische Terrororganisationen militärisch und finanziell unterstützt, darunter die Abu-Nidal-Organisation, eine Abspaltung der Fatah, und die Gruppe Schwarzer September, die 1972 das Attentat bei den Olympischen Spielen in München verübte.

Nun werden in Libyen allseits »Konsequenzen« gefordert, auch Dbeibas Verbündete stimmen ein. Die politischen Gegner des Ministerpräsidenten gehen jedoch noch weiter. Das Parlament nannte das Treffen ein »Verbrechen gegen das libysche Volk«. Der mit Dbeibas Hilfe abgesetzte ehemalige Vorsitzende des Hohen Staatsrats, Khaled al-Mishri, sprach von einer »Übertretung aller roten Linien« und forderte den Rücktritt der gesamten Regierung. Als Antwort besuchte Dbeiba öffentlichkeitswirksam die palästinensische Botschaft und verkündete dort al-Mangoushs Entlassung. Die Ministerin habe aus eigener Initiative gehandelt, behauptete er. Dem widersprechen jedoch eine Reihe von Presseberichten und die Aussagen von Expert:innen.

Dem Libyen-Experten Anas al-Gomati zufolge sei al-Mangoush, die die einzige Frau im Kabinett war, ein willkommener Sündenbock. Tatsächlich suchten aber alle beteiligten politischen Kräfte seit Jahren nach Wegen, im Austausch für eine Anerkennung Israels dessen Unterstützung sowie die der USA und mehr internationale Anerkennung zu erhalten. Demnach wussten sowohl Dbeiba als auch sein Rivale, der ostlibysche Warlord General Khalifa Haftar, von dem Treffen. Dbeibas politische Gegner nutzten die Gelegenheit, um auf die Absetzung des Ministerpräsidenten zu dringen, obwohl sie dieselben Ziele verfolgen.

In jedem Fall beschädigt die Instrumentalisierung des Falls erneut Versuche der UN, das Land für die Abhaltung von Wahlen zu einigen. Nachdem zuvor erneut ein Anlauf für eine Verhandlungslösung gescheitert war, gab es dabei zuletzt Fortschritte: Am 20.August kündigten die Leiter der beiden zerstrittenen Zentralbank-Sektionen in West- und Ostlibyen zum ersten Mal seit 2014 die baldige Wiedervereinigung der Bank an. Dies lässt darauf schließen, dass sich Haftar und Dbeiba in Tripolis auf eine einvernehmliche Aufteilung von Einnahmen aus dem Ölexport geeinigt ­haben.

Unter dem Diktator Muammar al-Gaddafi hatte Libyen Israels völlige Vernichtung gefordert und zahlreiche antisemitische Terrororganisationen militärisch und finanziell unterstützt.

Auch anderweitig spitzt sich die Situation im Land zu, nachdem sie zuletzt relativ stabil erschien. Am 14.August war es in der Hauptstadt Tripolis zu den heftigsten Kämpfen seit der Vereinbarung eines Waffenstillstands vor drei Jahren gekommen. Gekämpft hatten jedoch nicht ostlibysche gegen westlibysche Kräfte, die bis 2020 gegeneinander Krieg geführt hatten, sondern zwei mächtige Milizen in der Hauptstadt, die zu Dbeibas Machtbereich gehört.

Anlass war die Entführung von Mahmud Hamsa, des Kommandeurs der sogenannten Brigade 444 durch die al-Radaa-Truppe (Spezialeinheit zur Abschreckung) am internationalen Flug­hafen Mitiga bei Tripolis. Als Mahmud Hamsa zwei Tage später schließlich freigelassen wurde, waren bereits 55 Menschen erschossen und Hunderte verletzt worden. Dbeiba steht nun düpiert da, hatte er doch zuvor Italien versichert, die Sicherheitslage erlaube wieder ausländische Direktflüge in die Hauptstadt; ein Angebot, auf das ab September einzugehen die italienische Regierung angekündigt hatte.

Die desaströse Lage in Libyen verschärft wiederum die Konflikte in den Ländern der Sahelzone. So nutzen ­viele bewaffnete Gruppen aus den Nachbarländern Tschad, Mali und Sudan den Süden Libyens als Rückzugsort. Haftar, der das Gebiet kontrolliert, hat das bislang toleriert, da er auf diese Kämpfer als Söldner angewiesen ist. Als das tschadische Militär davon jedoch genug hatte und am 19.August die Rebellen der Front pour l’alternance et la concorde au Tchad (FACT) in Libyen bombardierte, kündigte Haftar bald darauf eine großangelegte Militäroperation gegen die Gruppe an. Kritiker:innen behaupten jedoch, er betreibe bloß eine Propagandashow, um die tschadische Regierung zu beruhigen.

Noch immer halten sich in Libyen Tausende ausländischer Söldner auf, die beide Seiten benötigen, darunter auch die Söldner der russischen Gruppe Wagner. Just am Tag vor dem Flugzeugabsturz von deren Führungsriege in Russland besuchte der stellvertretende russische Verteidigungsminister Junus-bek Jewkurow Russlands Günstling Haftar. Medienberichten zufolge teilte er ihm mit, die Wagner-Söldner würden weiter im Land bleiben, aber eine neue Leitung bekommen.