Vor den Wahlen in der Slowakei erweisen sich prorussische Ansichten als weitverbreitet

Bärendienst für die Ukraine

Ende September werden in der Slowakei vorgezogene Parlaments­wahlen abgehalten. In Umfragen schneiden prorussische und rechte Parteien gut ab.

Die Slowakei befindet sich in einer politischen Krise. Am 30. September stehen vorgezogene Parlamentswahlen in dem EU- und Nato-Mitgliedsstaat mit 5,4 Millionen Einwohner:innen an. Der Grund dafür ist das Scheitern der Regierung unter Ministerpräsident Eduard Heger an einem Misstrauensvotum im Dezember 2022. Eine von der parteilosen Staatspräsidentin Zuzana Čaputová einberufene Übergangsregierung ist an der Macht.

Derweil wird bei den Sicherheitsbehörden des Lands unter anderem wegen Machtmissbrauchs ermittelt: Die Spezialeinheit Nationale Kriminalagentur führte am 17. August eine Razzia bei ranghohen Beamten durch, in der Woche zuvor hatte sie bereits den ehema­ligen Polizeipräsidenten Tibor Gašpar wegen Korruptionsvorwürfen vorläufig in Gewahrsam genommen. Gašpar tritt als Kandidat für die Partei Smer – sociálna demokracia (Richtung – Sozialdemokratie) des früheren zweifachen Ministerpräsidenten Robert Fico auf. Der wiederum steht im Verdacht, mehrere Straftaten begangen zu haben, darunter Bildung einer kriminellen Vereinigung; als Parlamentsmitglied genießt er jedoch Immunität.

Die politische Einordnung von Smer reicht von linkspopulistisch bis nationalistisch, sie gehört der sozialdemokratischen Fraktion des Europaparlaments an. Jedoch schlug die Partei in den vergangenen Jahren zunehmend einen nationalkonservativen Pro-Putin-Kurs ein, was der bisherigen europäischen und proukrainischen Orientierung der Slowakei zuwiderläuft. Beispielsweise versprach der Parteivorsitzende Fico seiner Wählerschaft, die Militärhilfe für die Ukraine einzustellen und sein Veto gegen die angeblich »sinnlosen« Sanktionen der EU gegen Russland einzulegen. Im April hatte er in einem Interview gar behauptet, der Krieg sei nicht etwa von Russland, sondern 2014 von »ukrainischen Faschisten« begonnen worden.

In jüngsten Umfragen liegt die Partei Smer mit knapp 20 Prozent vorn, gefolgt von der linksliberalen Progresívne Slovensko (PS, Fortschrittliche Slowakei) mit rund 17 Prozent. Als wahrscheinlich gilt, dass Smer zusammen mit kleineren Parteien ein populistisches, prorussisches Regierungsbündnis bilden wird. Zugleich ist der Anteil noch unentschlossener Wähler mit 45 Prozent ziemlich hoch, so dass die Wahl durchaus auch einen unerwarteten Ausgang nehmen könnte.

Die slowakische Wirtschaft ist angeschlagen: Der russische Angriffskrieg im Nachbarland Ukraine ließ die Energiepreise in die Höhe schnellen, 2022 betrug die Inflationsrate 12,8 Prozent im Vergleich zum Vorjahr – eine höhere Inflation hat es bisher nur 1993 gegeben, dem ersten Jahr der Unabhängigkeitder Slowakischen Republik. Neben der Haltung zum Krieg in der Ukraine ist auch Hetze gegen ethnische und sexuelle Minderheiten Teil des Wahlkampfs populistischer und rechtsorientierter Parteien und Politiker.

Die »Bärenfrage« spielt eine ausgesprochen wichtige Rolle im Wahlkampf, populistische Politiker instrumentalisieren Ängste der ländlichen Bevölkerung vor dem Tier.

Doch ein anderes Thema mag etwas überraschen: Bären. In der Presse und den sozialen Medien werden Bären­attacken – in diesem Jahr bisher zehn – heiß diskutiert. Bären kommen häufig überhaupt erst in die Nähe von Menschen, wenn sie durch Abfälle angelockt werden. Expert:innen sprechen sich für »bärensichere« Müllbehälter aus, um dem vorzubeugen. Landwirte und Jäger fordern hingegen vermehrt, dass die nach EU-Recht unter Artenschutz stehenden Braunbären zur Jagd freigegeben werden. Dabei sind Bären für den Menschen in der Regel ungefährlich, im Juni 2021 kam es zum einzigen bekannten tödlichen Zwischenfall in der modernen Geschichte der Slowakei. Einer neuen Studie der staatlichen Naturschutzbehörde in Zusammenarbeit mit Wissenschaftlern der Prager Karls-Universität zufolge gibt es in der Slowakei zwischen 1.012 und 1.275 Bären, die Population blieb im vergangenen Jahrzehnt in etwa konstant.

Dennoch spielt die »Bärenfrage« eine ausgesprochen wichtige Rolle im Wahlkampf, populistische Politiker instrumentalisieren Ängste der ländlichen Bevölkerung vor dem Tier. Boris Kollár, Parlamentspräsident und Vorsitzender der rechtspopulistischen Partei Sme Rodina (Wir sind eine Familie), sagte: »Wir haben 3.000 von diesen Bären, das wird Ihnen jeder Experte sagen. Und wenn wir nichts tun, werden es bald 5.000 sein.« Miroslav Suja, Abgeordneter der rechtsradikal Partei Hnutie Republika (Republik-Bewegung, ein Ableger der neofaschistischen Kotlebovci – Ľudová strana Naše Slovensko, Kotlebianer – Volkspartei Unsere Slowakei, ĽSNS; Marian Kotleba ist Parteivorsitzender), nutzte die Bärenfrage gar, um eine eigene Verschwörungstheorie in Umlauf zu bringen: »Der Bär wird vom Umweltministerium als biologische Waffe eingesetzt.«

In der Bevölkerung verbreiten sich prorussische Einstellungen. Der slowakische Think Tank Globsec ermittelte, dass 66 Prozent der Slowak:innen der Aussage zustimmen, dass die »USA die Slowakei in einen Krieg mit Russland hineinziehen, weil sie davon profitieren«. Gleichzeitig ist demnach ein historisch niedriges Vertrauen in die öffentlichen Institutionen des Landes zu verzeichnen: Das Vertrauen in die Regierung liegt bei gerade einmal 18 Prozent. Nur 54 Prozent nehmen Russland als nationales Sicherheitsrisiko für die Slowakei wahr – im Nachbarland Polen sind es 88 Prozent.

Auf die Frage, wie es kommt, dass die russische Desinformation in der Slowakei erfolgreicher zu sein scheint als in den Nachbarländern Tschechien und Polen, sagt Jana Kazaz von Globsec der Jungle World, dass es dafür keine einfache Erklärung gebe. Die Polen hätten zu verschiedenen Zeiten in der Geschichte ihre negativen Erfahrungen mit dem russischen Staat gemacht, dadurch erwiesen sie sich als resistenter. »Historisch gesehen gab es eine panslawische Bewegung, die Russland als unseren großen Bruder bezeichnete. Es gibt eine gewisse Nostalgie für die kommunistische Vergangenheit, vor allem bei älteren Menschen, die wirtschaftliche Stabilität vermissen«, so Kazaz. Und nicht zuletzt verbreiteten viele wichtige Politiker in der Slowakei häufig Desinformationen, was diese »auf ein ganz neues Niveau hebt«.