Eine Arbeitsgruppe soll die Möglichkeit der Streichung des Paragraphen 218 prüfen

Kommission statt Reform

Die SPD und die Grünen hatten eine Entkriminalisierung von Abtreibungen in ihren Wahlprogrammen gefordert. Doch stattdessen hat die Regierungskoalition nun ein Gremium eingesetzt, das die Frage prüfen soll.

Die Regierungskoalition bezeichnet sich selbst gerne als »Fortschrittskoalition« – beim Thema Abtreibung hat sie aber bisher noch wenig bewegt; bislang blieb es bei der im Juni vergangenen Jahres erfolgten Streichung des Paragraphen 219a, der die sogenannte Werbung für Schwangerschaftsabbrüche verboten hatte. Zu Beginn des Jahres hatte Bundesfrauenministerin Lisa Paus (Grüne) gefordert, Schwangerschaftsabbrüche zu entkriminalisieren. Der umstrittene Abtreibungsparagraph 218 aus dem Strafgesetzbuch solle gestrichen werden; Regelungen sollen außerhalb des Strafgesetzbuchs getroffen werden.

Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) widersprach postwendend: Er warnte »vor Vorfestlegungen« und verwies auf die im Koalitionsvertrag vereinbarte Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin, deren Ergebnissen nicht vorgegriffen werden solle.

Die aus Mediziner:innen und Jurist:in­nen bestehende Kommission ist nun zusammengestellt und wurde Anfang März präsentiert. Sie soll noch vor ­Ostern ihre Arbeit aufnehmen. Dem Koalitionsvertrag zufolge soll die Kommission prüfen, wie sich der Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuchs regulieren ließe, und außerdem über die Möglichkeit der Legalisierung der Eizellspende und Leihmutterschaft beraten. In einem Jahr soll das Gremium Ergebnisse und Empfehlungen vorlegen. Ob dann noch Zeit wäre, um bis Ende der Legislaturperiode im Jahr 2025 den Paragraphen 218 ­­zu streichen und neue gesetzliche Regelungen einzuführen, ist fraglich.

Über eine Reform wird seit Jahrzehnten gestritten. Die Grünen fordern zwar, dass der Paragraph 218 überarbeitet und »Abbrüche außerhalb des Strafgesetzbuches geregelt« werden sollen. Und auch die SPD schrieb in ihrem Wahlprogramm: »Schwangerschaftskonflikte gehören nicht ins Strafrecht.«

Wäre der selbstbestimmte Abbruch eine normale Gesundheitsleistung, würde sich auch die medizinische Versorgungslage verbessern.

Eine Hürde könnte das Bundesverfassungsgericht sein, das in der Vergangenheit eine Liberalisierung verhinderte. Nach der Wiedervereinigung musste die Abtreibung für die Bundesrepublik neu geregelt werden, weil die Gesetze in der DDR deutlich liberaler gewesen waren – sie sahen eine Fristenregelung vor – und in den neuen Bundesländern weiter galten.

Ein 1992 erlassenes Gesetz sollte die liberalere Fristenregelung der ehemaligen DDR mit den Gesetzen der alten Bundesländer zusammenführen. Es sah vor, dass Abtreibung in den ersten zwölf Wochen nach einer verpflichtenden Beratung nicht rechtswidrig sei. Dieses Gesetz wurde im Jahr darauf vom Bundesverfassungsgericht gekippt. Mit Verweis auf den Artikel 2 Absatz 2 des Grundgesetzes, der das Recht auf körperliche Unversehrtheit festhält, entschied das Gericht, dass Abtreibung grundsätzlich nicht erlaubt werden dürfe.

Der derzeit bestehende Paragraph 218 folgt dieser Vorgabe: Eine Abtreibung ist in den ersten zwölf Schwangerschaftswochen nach einem verpflichtenden psychologischen Beratungsgespräch zwar straffrei, bleibt aber rechtswidrig. Bereits 1975 war in der BRD ein Liberalisierungsversuch des Paragraphen – der eine Fristenlösung vorgesehen hatte, der der Bundestag 1974 zugestimmt hatte – am Bundesverfassungsgericht gescheitert.

Es gilt allerdings als keineswegs sicher, dass das Bundesverfassungsgericht heutzutage erneut eine Liberalisierung verhindern würde. Ein Weg zu einer Liberalisierung könnte sein, einen Schwangerschaftsabbruch als Gesundheitsleistung anzusehen und ihn damit nicht mehr im Strafrecht, sondern im Sozialrecht zu regeln.

Das würde nicht nur die Entkriminalisierung und Entstigmatisierung von selbstbestimmten Abbrüchen bedeuten, sondern zudem eine Kostenübernahme durch die Krankenkassen. Bislang erfolgt die Kostenübernahme nur aufgrund einer medizinischen oder kriminologischen Indikation oder wenn die Frau sozial bedürftig ist.

Eine allgemeine Kostenübernahme forderten unter anderem die Grünen bereits in ihrem Wahlprogramm für die Bundestagswahl 2021, aber auch die Doctors for Choice. Dabei handelt es sich um ein deutschlandweites Netzwerk von Ärzt:innen und Medizinstudierenden, die für einen selbstbestimmten Umgang mit Sexualität, Fortpflanzung und Familienplanung eintreten.

Konservative Kritiker:innen wollen die im Paragraphen 218 festgelegte Rechtswidrigkeit des selbstbestimmten Abbruchs beibehalten, um ihn weiterhin zu stigmatisieren und zu tabuisieren.

Wäre der selbstbestimmte Abbruch eine normale Gesundheitsleistung, würde sich auch die medizinische Versorgungslage verbessern. Mehr Arztpraxen könnten Schwangerschaftsabbrüche vornehmen und sie wären ein fester Teil der Aus- und Weiterbildung von Ärzt:innen. Dies würde in die Lehrpläne, Infrastruktur und letztendlich Personalfragen der Universitäten eingreifen.

Selina Zahn, eine Medizinstudentin aus Leipzig, berichtete der Jungle World, dass während ihres Studiums zwar die juristischen und moralischen Aspekte einer Abtreibung, kaum aber die Praxis gelehrt werde. »Niemand will so richtig darüber reden«, sagte sie. Ein entsprechender Wandel im Gesundheitssystem dürfte mehrere Jahre dauern.

Es gibt allerdings bereits Widerstand gegen die Vorhaben der Grünen. Die bayerische Frauen- und Familienministerin Ulrike Scharf (CSU) sagte in einer Pressemitteilung, eine Abschaffung des Abtreibungsparagraphen 218, der »seit Jahrzehnten gut funktioniert« und »für gesellschaftlichen Frieden« gesorgt habe, sei »ein Alptraum«. Sollte der Paragraph gestrichen werden, werde sie sich mit »ganzer Kraft« für die Prüfung der neuen gesetzlichen Regelungen durch das Bundesverfassungsgericht einzusetzen.

Ihre Parteikollegin An­drea Lindholz, stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, sagte: »Die Forderung nach der Abschaffung des Paragraphen 218 ist für mich das völlig falsche Signal und kommt zur Unzeit.« Sie wünsche sich, »dass ­wir viel mehr darüber sprechen, wie Schwangeren ein Leben mit dem Kind ermöglicht werden« könne.

De facto wollen die konservativen Kritiker:innen die im Paragraphen 218 festgelegte Rechtswidrigkeit des selbstbestimmten Abbruchs beibehalten, um ihn weiterhin zu stigmatisieren und zu tabuisieren. Die strafrechtliche Regelung erzeugt bei ungewollt Schwangeren Gefühle von Angst und Scham und gefährdet deren psychische Gesundheit. Würde der Paragraph gestrichen und eine Abtreibung stattdessen als Gesundheitsleistung gelten, würde Betroffenen der Zugang zu Informationen erleichtert und die Angst vor finanziellen Nöten wie auch der Stigmatisierung genommen werden.