Mexikos Präsident López Obrador will die Befugnisse der Wahlbehörde beschneiden

Hände weg von meiner Stimme

Die mexikanische Regierung treibt eine Wahlreform voran, die Kritiker als einen Angriff auf die Demokratie werten. Zehntausende Menschen protestierten gegen die Pläne.

Mexikos Präsident Andrés Manuel ­López Obrador dürfte sich bestätigt sehen: Das gerade unter seiner Ägide verabschiedete Gesetz, das den Haushalt der staatlich finanzierten, aber unabhängigen Wahlbehörde Instituto Nacional Electoral (INE) kürzen soll, bringt ihm zwar starke Proteste und Vorwürfe ein, er schwäche die Demokratie Mexikos – doch auch im fünften Jahr nach seinem Wahlsieg hat er viele Anhänger in der Bevölkerung. Die Aufsichtsbehörde, die der als links geltende Präsident per Reform verkleinern möchte, sei korrupt, von den Konservativen vereinnahmt und mit einem Jahresbudget von umgerechnet 765 Millionen US-Dollar zu teuer.

Tatsächlich verschlingen Wahlen in Mexiko im internationalen Vergleich überdurchschnittliche Mengen an Geld, was zum Teil daran liegt, dass fast der gesamte ­legale Wahlkampf per Gesetz von der Regierung finanziert wird. Das Wahl­institut stellt auch die Wählerausweise aus und überwacht die Stimmabgabe in den abgelegenen und gefährlichen Ecken des Landes.

Das Vertrauen der Bürger in die In­stitution ist höher als in das Oberste Gericht, was auch einen historischen Grund hat: Die Wahlbehörde spielte eine Schlüsselrolle beim friedlichen Übergang zur Mehrparteiendemokratie im Jahr 2000 nach 71 Jahren Herrschaft des Partido Revolucionario Institucional (Partei der institutionellen Revolution) und wurde für eine Umgebung geschaffen, die nicht besonders demokratiefreundlich ist. Im Vergleich zu ­anderen Institutionen gilt sie als schwer korrumpierbar. »Wenn das US-amerikanische Wahlsystem auf Vertrauen basiert, basiert das mexikanische Wahlsystem auf Misstrauen«, sagte Lorenzo Córdova, der der INE vorsteht, der Bostoner Tageszeitung Christian Science Monitor. Entsprechend aufwendig ist das System gestaltet.

Präsident Obrador, der sich gerne als »Mann des Volkes« inszeniert und gegen »die korrupten Eliten« wettert, kommt weiterhin auf Zustimmungswerte über 60 Prozent.

Das Wahlsystem gilt weltweit als vorbildlich, die Reform würde dessen Verwaltung allerdings erheblich einschränken. Die in dem neuen Gesetz vorgesehenen Einsparungen sehen vor, das Personal der Behörde um 85 Prozent zu verringern. Zudem sollen Wahlen in kürzerer Zeit organisiert werden, die Vorschriften für Wahlkampfauftritte von Amtsträgern sollen gelockert und Strafen für illegale Wahlkampffinanzierung verringert werden. Der Senat, in dem López Obradors Wahlbündnis Juntos Hacemos Historia (Gemeinsam schreiben wir Geschichte) unter Führung seiner Partei Movimiento Regeneración Nacional (Bewegung der Nationalen Erneuerung, Morena) über eine Mehrheit verfügt, billigte die Reform, die noch von Obrador unterzeichnet werden muss, mit 72 zu 50 Stimmen.

Politische und zivilgesellschaftliche Organisationen sowie Tausende Bürger und Bürgerinnen versammelten sich Ende Februar auf dem Zócalo, dem Hauptplatz von Mexiko-Stadt, und in anderen Städten unter dem Slogan »Mi voto no se toca« (Hände weg von meiner Stimme), um ihren Unmut über die Reform der Wahlbehörde zu zeigen. Sie betrachten sie als Angriff auf die Demokratie und befürchten, sie werde sich negativ auf die Möglichkeit, überall im Land das Wahlrecht gleicher­maßen wahrzunehmen, und die Legitimität der Präsidentschafts- und Parlamentswahlen im Jahr 2024 auswirken. Zwar darf López Obrador nicht erneut antreten, da die Verfassung Mexikos dem Präsidenten nur eine einmalige sechsjährige Amtszeit erlaubt, der Machterhalt seiner Partei dürfte aber sein höchstes Ziel sein.

Obrador, der sich gerne als »Mann des Volkes« inszeniert und in aus­giebigen Pressekonferenzen gegen »die korrupten Eliten« wettert, kommt weiterhin auf Zustimmungswerte über 60 Prozent, auch Morena steht in Umfragen gut da. Diese nach wie vor sehr hohe Zustimmung lässt sich zum Teil auf die von seiner Regierung eingeführten Sozialprogramme und Arbeitsmarktreformen zurückführen, so wurden der Mindestlohn erhöht und Arbeitnehmerrechte gestärkt. Gleichzeitig tritt Obrador als autoritärer Populist auf und wettert gern gegen die Justiz sowie andere Regulierungs- und Aufsichtsbehörden.

Die Opposition plant, die Reform vor dem Obersten Gerichtshof als verfassungswidrig anzufechten.

Mit der Wahlbehörde hat López Obrador zudem eine persönliche Vor­geschichte, in der Kritiker einen der Gründe für seine Ablehnung der In­stitution sehen: die Präsidentschaftswahl 2006. Bei dieser trennten lediglich 243 934 Stimmen beziehungsweise 0,58 Prozentpunkte den Wahlsieger ­Felipe Calderón (den Kandidaten des konservativen Partido Acción Nacional) vom zweitplatzierten Obrador. Dieser monierte, dass es in 34 Prozent der Wahllokalen des Lands zu Unregelmäßigkeiten gekommen sei, erklärte sich selbst zum Wahlsieger und forderte eine Neuauszählung der Stimmen (Nur der Verlierer zählt, Jungle World 29/2006).

Das Bundeswahlgericht Tribunal Electoral del Poder Judicial de la Federación (TEPJF) entschied, dass nur in den 44 000 Wahllokalen, die Obradors Partei zufolge als rechtlich umstritten anzusehen sind, die Stimmen neu ausgezählt werden sollten. Etwa sechs Prozent der rund vier Mil­lionen dort nachgezählten Stimmen wurden annulliert. Auf das endgültige Ergebnis wirkte sich das nicht aus. Obrador hatte daraufhin seine Anhänger immer wieder zu großen Protesten aufgerufen.

Während einige internationale Wahlbeobachter, wie beispielsweise die Election Observation Missions (EOM) der Europäischen Union, die Wahl als fair einstuften, berichteten lokale zivilgesellschaftliche Organisationen von Irregularitäten. Insbesondere mexi­kanische Linke beschuldigten konservative Kräfte, die Neuauszählung ab­gelehnt zu haben, um den Wahlsieg eines eher linken Kandidaten zu verhindern.

Auch 2012, als López Obrador mit über sechs Prozentpunkten Abstand deutlicher gegen seinen damaligen Konkurrenten Enrique Peña Nieto (PRI) verlor, kritisierte er die INE. In López Obradors drittem Anlauf auf das Präsidentenamt erklärte ihn die Institution 2018 zum Sieger. Die Opposition plant nun, seine Reform vor dem Obersten Gerichtshof als verfassungswidrig anzufechten, weitere Proteste sind zu erwarten.