Der Feministische Antikriegswiderstand kooperiert mit der Organisation des Regimekritikers

Anschluss bei Nawalnyj

Die russische Oppositionsgruppe Feministischer Antikriegswiderstand will mit dem Netzwerk des inhaftierten Regimegegners zusammenarbeiten.

Der Feministische Antikriegswiderstand (Feministskoje Antiwojennoje Soprotiwlenije, FAS), gegründet einen Tag nach dem Beginn der russischen Invasion in der Ukraine, gehört zu den exponiertesten Gruppen der Opposition. Es gibt tägliche Berichte über Ak­tionen. In einem Telegram-Kanal, der über 40 000 Follower hat, geben Aktivistinnen Tipps für Widerstand im Alltag, tauschen Berichte über Folgen des Kriegs aus, organisieren Solidaritätskampagnen oder führen theoretische Debatten. Zusätzlich zu diesen Internetaktivitäten wird die Zeitung Schenskaja Prawda (Frauenwahrheit) vertrieben – Werbeslogan: »Eine Zeitung, die man ohne Scham Mutter und Oma zeigen kann!« Thematisiert werden alle Aspekte des Kriegs in ihrem Bezug auf Frauen und Trans-Personen: unter anderem Mobilisierung, Anstieg der häuslichen und sexuellen Gewalt, Care-Arbeit im Zusammenhang mit Kriegsverletzungen, Flucht, Repression, imperiale und koloniale Ideologien.

Der FAS verbindet wie keine andere Gruppe die zwei wichtigsten politischen Lager der Opposition gegen den Krieg, das linke und das liberale. Inhaltliche Schnittmengen finden sich am ehesten beim Widerwillen gegen die konservativen Werte der von Präsident Wladimir Putin propagierten »Russischen Welt«.

Die Entscheidung des FAS, mit dem Netzwerk Aleksej Nawalnyjs zu ko­operieren, dürfte bei vielen Linken in Russland und Ausland dennoch Fragen aufwerfen. Am 20. Februar erklärte der FAS, von nun an die Internetplattform von »Nawalnyjs Stäben« zu nutzen – so heißen seit 2017 die regionalen Büros der Anhänger des bekanntesten russischen Oppositionellen. Immer wieder hat der liberale Politiker versucht, eine eigene Partei unter verschiedenen Namen zu registrieren, immer wieder wurde es ihm verweigert eine eigene Partei aufzubauen; die Stäbe fungieren als Ersatz für Ortsverbände. Doch das Thema Parteigründung hat sich vorerst erledigt: Nawalnyj ist seit 2021 auch Russlands bekanntester politischer Gefangener, verurteilt zu bislang neun Jahren Haft. Seine »Stiftung zur Bekämpfung der Korruption« sowie die Stäbe wurden als extremistische Organisationen verboten.

Im Oktober vorigen Jahres wurden die Stäbe neu gegründet, allerdings nur als Betreiber einer Internetplattform mit hohen Standards für sichere Kommunikation. Diese Sicherheit gibt der FAS, der im Dezember vom russischen Justizministerium ins Register der »ausländischen Agenten« auf­genommen worden war, als Grund an, die Ressourcen von Nawalnyjs Stäben zu nutzen. Auf die inhaltliche Ausrichtung, betonen die Administratorinnen des FAS, könnten die Admins von Nawalnyjs Stäben keinen Einfluss nehmen.

Das es auch inhaltliche Bezugspunkte gibt, zeigt ein Interview, das der FAS-Telegram-Kanal bereits am 2. Februar mit Kira Jarmysch führte, der ehemaligen Pressesprecherin und Assistentin Nawalnyjs. Sie war selbst mehrmals wegen ihrer politischen Aktivitäten in Administrativhaft genommen worden. Russland hat Jarmysch bereits im August 2021 verlassen, seit Oktober 2022 ist sie im Register der »ausländischen Agenten« verzeichnet.

Die Zusammenarbeit mit Nawalnyj ist im linken Lager höchst umstritten

Im Interview spricht die studierte Journalistin darüber, dass für sie »oppositionelle Haltung und Feminismus« verbunden seien. »Putins Regime nutzt Erniedrigung und Gewalt als Instrumente der Kontrolle über verschiedene Gruppen der Bevölkerung. Gefangene werden gefoltert, LGBT-Personen erniedrigt, häusliche Gewalt gegen Frauen ist alltäglich«, sagt Jarmysch. Und sie fügte hinzu: »Gewalt nach Gender-Merkmal und Gender-Ungerechtigkeit – es sind Teile eines größeren Problems. Man muss sie an der Wurzel bekämpfen: der Staatsführung, die solches Verhalten kultiviert und begünstigt.« Für sie sei heute nur noch ein politischer Unterschied von Bedeutung: ob man für oder gegen Putin sei.

Die Zusammenarbeit mit Nawalnyj ist jedoch im linken Lager höchst umstritten. Die Strukturen seiner Anhänger sind sehr hierarchisch organisiert, er geht ungern Bündnisse mit bereits bestehenden Parteien und Organsationen ein. Sein insgesamt prowestlich-liberales Programm versteht sich als Leiter einer oppositionellen Sammlungsbewegung, in dem Feminismus einen Platz hat, aber nicht als verbindliche gemeinsame Basis verstanden wird, bleibt in vielen Punkten vage. Offen auftretende politische Fraktionen gibt es nicht, interne Debatten dringen nicht an die Öffentlichkeit.

Wie die Feministin Jarmysch mit dem ehemaligen stellvertretenden Energieminister Wladimir Mil­ow, einem rechten Wirtschaftsliberalen und Befürworter der Verschärfung der Migrationsabwehr, auskommt, erfahren Außenstehende nicht. Nawalnyj drückte sich stets um eine Antwort auf die Frage, wie er zu LGBT-Rechten steht, und meidet generell Themen, die potentielle Gegner des Kremls spalten könnten.

Noch mehr Probleme dürften Feministinnen mit Nawalnyjs engem Vertrauten Leonid Wolkow haben, der beschuldigt wurde, im Rahmen von Nawalnyjs Wahlkampf für das Moskauer Bürgermeisteramt 2013 eine Mitarbeiterin des Wahlstabs sexuell belästigt zu haben. Gefeuert wurde ­damals nicht der Stabsleiter Wolkow, sondern sein Stellvertreter Maksim Katz, der sich auf die Seite der Frau gestellt hatte.

Öffentlich bekannt wurde der Vorfall jedoch erst Jahre später, als Katz seine eigene politische Karriere neu begann und zudem mit der Mitarbeiterin, die den Belästigungsvorwurf erhoben hatte, verheiratet war. In liberalen Oppositionskreisen führte dies zu hässlichen Debatten, die Nawalnyj nicht kommentierte. Vor diesem Hintergrund überrascht es nicht, dass der FAS betont, er sei unabhängig von Nawalnyj und die Zusammenarbeit sei technisch und nicht inhatlich. Dennoch ruft der FAS nun verstärkt zu weltweiten Solidaritätsaktionen mit Nawalnyj auf.